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Bekenntnis zur Demokratie

Monika KACZEK

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DAVID: Nach dem tragischen Ableben von Barbara Prammer wurden Sie am 2. September dieses Jahres zur Nationalratspräsidentin gewählt. In Ihrer Antrittsrede bezeichneten Sie das Parlament als den Ort, wo vorgelebt werden müsse, was Demokratie ist. Bei manchen Statements und Reden österreichischer PolitikerInnen stellt sich aber schon die besorgte Frage, ob der Grundgedanke demokratischer Werte von einigen überhaupt gewürdigt wird.

Nationalratspräsidentin Bures: Das Bekenntnis zur Demokratie und der damit verbundenen Werte muss die gemeinsame Basis aller demokratisch gewählten VolksvertreterInnen sein.  Wenn einzelne Politikerinnen und Politiker in der tagespolitischen Auseinandersetzung durch manche Äusserungen und Aktionen  diesen Grundkonsens in Frage stellen, wird dies zu Recht kritisiert. Dies aufzuzeigen ist die Aufgabe der politischen MitbewerberInnen, aber auch einer kritischen Öffentlichkeit. Ich bin überzeugt, dass Demokratie eine leidenschaftliche Auseinandersetzung mit konkurrierenden Ideen und Überzeugungen nicht nur verträgt, sondern auch braucht.  Der politische Diskurs muss aber von Respekt gegenüber anders Denkenden getragen sein.  Verächtlichmachung, Verhetzung und Intoleranz schaden dem Ansehen der Politik, vergiften das Klima im Land und gefährden damit auch die Demokratie.

 

DAVID: Seit dem Jahr 1953 werden vom Staat Israel Menschen als „Gerechte unter den Völkern" geehrt, die während des Zweiten Weltkriegs Jüdinnen und Juden vor der Deportation in Vernichtungslager retteten. Heuer wurde diese Auszeichnung am 30. September in Anwesenheit des Botschafters des Staates Israels, Zvi Heifetz, und des Vorsitzenden der Knesset, Yuli-Yoel Edelstein, im Parlament verliehen. Botschafter Heifetz überreichte die posthume Ehrung an die Nachkommen der RetterInnen von vier Verfolgten aus Wien und Tirol. In Ihrer Rede betonten Sie, wie wichtig Zivilcourage und Mut des Einzelnen waren und sind - gerade in Zeiten, in denen Faschismus, Rassismus und Antisemitismus verstärkt auftreten. Welche Aktivitäten können innerhalb der Politik und im weiteren Sinn der Gesellschaft gesetzt werden, damit „Niemals wieder" nicht zu einer leeren Formel wird?

Nationalratspräsidentin Bures: Das „Niemals wieder" als zentrale Lehre aus der Zeit des Nationalsozialismus muss breite Verankerung in der Gesellschaft finden - dies nicht nur im Heute, sondern auch für nachfolgende Generationen. Um dies zu gewährleisten ist eine Vielzahl an Massnahmen, Initiativen und Aktivitäten notwendig. Dazu zähle ich offizielle Gedenkveranstaltungen ebenso wie das Engagement von Einzelnen aus der Zivilgesellschaft. Es geht darum, die Auseinandersetzung mit unserer Geschichte bewusst zu suchen - die Vergangenheit geht uns alle etwas an. Daher sind von Seiten der Politik und der Bildungssysteme bis hinein in den familiären Bereich alle berufen, diese Verantwortung wahrzunehmen. Im Ineinandergreifen aller Initiativen liegt meines Erachtens das Potential für eine kritische Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit. Als ein Beispiel möchte ich die Demokratiewerkstatt nennen: Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichten unseren jungen Menschen über ihre Erfahrungen. Auf diese Weise wird Geschichte auch für junge Menschen erlebbar. Mein Ziel ist es, dieses Angebot auch verstärkt für die breite Zielgruppe junger Lehrlinge zu öffnen.

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Nationalratspräsidentin Bures mit IKG-Präsident Oskar Deutsch. Mit freundlicher Genehmigung Parlament.

DAVID: Während seines Besuchs in Wien betonte Yuli-Yoel Edelstein die guten Beziehungen zwischen Israel und Österreich. Das Verhältnis zwischen beiden Staaten war in den letzten Jahrzehnten nicht immer ungetrübt. Wie könnte diese jetzt bestehende positive Kooperation weitergeführt werden?

Nationalratspräsidentin Bures: Das bilaterale Verhältnis zwischen Österreich und Israel zeichnet sich durch eine besondere historische Komplexität aus. Neben dem intensiven Austausch und Dialog auf politischer Ebene, ist auch der zivilgesellschaftliche Austausch sehr wichtig. Die Vielzahl an österreichisch-israelischen Austauschaktivitäten zeigt, dass sich diese Beziehung zunehmend positiv gestaltet. Zentral ist für mich - nicht nur als Präsidentin des Nationalrates, sondern auch als Vorsitzende des Kuratoriums des Nationalfonds der Republik Österreich und des Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus - eine ehrliche Auseinandersetzung mit unserer Geschichte und damit die Übernahme der Verantwortung für das schreckliche Kapitel der NS-Herrschaft. Eine lebendige Erinnerungskultur ebenso wie wechselseitiges Verständnis sind dabei wesentlich. Und natürlich ist die Bereitschaft, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, wichtig für die österreichisch-israelischen Beziehungen in ihrer Gesamtheit.

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Die Nationalratspräsidentin mit Knesseth-Präsident Edelstein. Mit freundlicher Genehmigung Parlament.

DAVID: Anfang Oktober durfte ich im Rahmen meiner Arbeit für unsere Zeitschrift den jetzt 96-jährigen Marcus Klingberg interviewen, dessen Biographie heuer auf Deutsch erschienen ist. Klingberg war nach dem Zweiten Weltkrieg, den er in der Sowjetunion überlebte, in Israel als Arzt tätig, wo er als KGB-Spion verurteilt und inhaftiert wurde. Wichtige Aspekte seiner Biographie sind der Kommunismus und das Einstehen für politische Werte. Seit seiner Jugend ist Marcus Klingberg Kommunist und wird es immer bleiben. Als ich ihn fragte, was er jungen Menschen von heute über die Bedeutung von politischen und gesellschaftlichen Idealen sagen würde, meinte er, dass dies eine sehr schwierig zu beantwortende Frage sei. Welche Gedanken über die Wichtigkeit einer politischen und moralischen Meinung möchten Sie an Jugendliche weitergeben?

Nationalratspräsidentin Bures: Eine Meinung zu haben, ist Grundvoraussetzung für die aktive Teilhabe am politischen Prozess, für die Ausübung des Wahlrechts und damit für die Mitbestimmung darüber, wie unsere Gesellschaft organisiert werden soll. Dass es gerade für junge Menschen nicht immer leicht ist, sich zu orientieren und eigene Überzeugungen herauszubilden, liegt aber auf der Hand.  Hier kommt der jugendgerechten politischen Bildung in den Schulen aber auch in ausserschulischen Einrichtungen eine grosse Verantwortung zu, wenn es darum geht, das Interesse junger Menschen für unsere Geschichte, für Politik und für die Spielregeln unserer Demokratie zu wecken und zu fördern. Kinder und Jugendliche sind in der Regel von Natur aus neugierig, haben viele Fragen, wir müssen es Ihnen ermöglichen sie zu stellen und verständliche Antworten zu erhalten. In diesem Sinne nochmals der Versuch, Ihre Frage jugendgerecht mit einem Appell an die jungen Menschen in diesem Land zu formulieren: Deine Meinung ist wichtig! Stelle so lange Fragen, bis du zu Deiner Überzeugung  gefunden hast! In einer Demokratie hat jede und jeder das Recht, sich seine eigene Meinung zu bilden und sie auch zu äussern. Bei Wahlen hast du die Chance, Deiner Meinung eine Stimme zu geben und damit unser Zusammenleben mitzubestimmen!

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Nationalratspräsidentin Bures bei der Kranzniederlegung am Wiener Judenplatz. Mit freundlicher Genehmigung des Parlaments bzw. vom Büro (des Büros) der Nationalratspräsidentin.

DAVID: Stichwort Jugend: Sie planen, dem Jugendparlament ein Lehrlingsparlament zur Seite zu stellen, um mehr Jugendliche stärker für Politik zu interessieren. Da die Bemühungen um das politische Interesse junger Menschen sich bisher stark auf SchülerInnen konzentrierte, ist es Ihnen ein Anliegen - wie Sie bei einer Diskussion vor Jugendlichen kürzlich sagten - das Hohe Haus auch den Lehrlingen zu öffnen. Wann wird dieses Lehrlingsparlament eingesetzt werden und welche Themenbereiche sollen behandelt werden?

Nationalratspräsidentin Bures: Das Lehrlingsparlament soll bereits im kommenden Frühjahr Premiere feiern. Dabei haben die Jugendlichen einen Tag lang Gelegenheit, einmal selbst zu erleben, was es heisst, PolitikerIn zu sein und wie im parlamentarischen Prozess Entscheidungen zustande kommen. Auch in der Demokratiewerkstatt soll es ab Herbst 2015 ein eigenes Lehrlingsmodul geben. Ziel der Demokratiewerkstatt ist es, neben den demokratischen Grundlagen zwei weitere wichtige Voraussetzungen für politische Partizipation zu vermitteln: Medienkompetenz und die Bereitschaft, mitzureden. Lehrlinge stehen bereits im Arbeitsleben haben daher oft andere Fragen als SchülerInnen. Es macht auch einen Unterschied, in der Klasse zu diskutieren oder sich unter erwachsenen KollegInnen behaupten zu müssen. Daher werden wir auf die Erfahrung von JugendvertreterInnen und LehrausbildnerInnen zurückgreifen, um sicherzustellen, dass wir die Lehrlinge in ihren Bedürfnissen und Interessen auch wirklich erreichen.

 

DAVID: Da unsere Zeitschrift ein Kulturmagazin ist, würden wir Sie zum Abschluss des Gesprächs auch nach Ihren musikalischen, literarischen und sonstigen kulturellen Vorlieben fragen.
Nationalratspräsidentin Bures
: Bei mir hat sich eine gewisse Vorliebe für Zeitgenössisches herausgeprägt: Egal ob in der Musik, Literatur, Malerei oder der darstellenden Kunst: In der Gegenwartskunst spiegeln sich die Themen und Herausforderungen der Zeit , in der wir aktuell leben, wider  - oft auch gepaart mit visionären Verweisen in die Zukunft. Das finde ich spannend und bereichernd.

 

DAVID: Vielen Dank, Frau Nationalratspräsidentin, für das interessante Gespräch.