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Rekonstruktion der Synagoge in Olmütz (Tschechische Republik)

Bob Martens

Rekonstruktion der Synagoge in Olmütz (Tschechische Republik)

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Zum Titelbild: Jakob Gartner: Aussenansicht der Synagoge in Olmütz. Postkarte, 1894/97, mit freundlicher Genehmigung U. Prokop.

Seit über einem Jahrzehnt wird in der Zeitschrift DAVID über die virtuellen Rekonstruktionsergebnisse betreffend zerstörter Synagogen berichtet. Zunächst betraf dies vordergründig Wiener Standorte. Inzwischen sind die synagogalen Bauwerke in der Bundeshauptstadt flächendeckend bearbeitet1 und es folgte eine Ausweitung der Tätigkeit in das Bundesland Niederösterreich (Wiener Neustadt, DAVID Nr. 89, und Mödling, DAVID Nr. 91). Überdies wurden die Grenzen des heutigen österreichischen Bundesgebietes verlassen, und so konnte in DAVID Nr. 93 (Neue Synagoge in Brünn von Architekt Max Fleischer) erstmals das Wirken von Wiener Architekten in den ehemaligen Kronländern beleuchtet werden. In diesem Beitrag wird die Bautätigkeit eines weiteren in Wien ansässigen Architekten vorgestellt, und zwar in Olmütz.

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Die von Jakob Gartner errichtete Synagoge in Olmütz.

Jakob Gartner (1861-1921) wurde in Prerau (Tschechien) geboren und in Brünn und Wien ausgebildet. Im Zuge seiner Praxisjahre arbeitete er unter anderem zwei Jahre lang am realisierten Projekt des sefardischen Tempels in der Zirkusgasse (Atelier Hugo Wiedenfeld). Wie Fleischer und Stiassny war auch Gartner Vorstandsmitglied der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. Obgleich er ab 1888 erfolgreich als selbstständiger Architekt tätig war und eine Reihe von Wohn- und Geschäftshäusern sowie Villen errichtete, nahm der Synagogenbau in seinem Gesamtwerk einen bedeutenden Platz ein. Gartner war als „Synagogen-Architekt" ziemlich präsent, und so entstanden innerhalb eines guten Jahrzehnts an vier Wiener Standorten entsprechende Tempelbauten: Humboldtgasse (1896), Braunhubergasse und Kluckygasse (beide 1898) sowie Siebenbrunnengasse (1907/08).

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Blick in den Hauptraum von der Frauengalerie aus.

Gartner war auch außerhalb Wiens sehr produktiv, was die Realisierung von Synagogen anbelangt. Nachdem mehrere Bauten fast gleichzeitig errichtet wurden, waren auch hier unübersehbare Ähnlichkeiten Teil des Programmes. Die von ihm konzipierten jüdischen Sakralbauten in Olmütz, Troppau (Tschechien) und Debrecen (Ungarn) verfolgen ähnliche Architekturthemen und vermitteln eine fast zwillingshafte Erscheinungsform.

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Die Synagoge in Troppau (Opava, Tschechische Republik). Historische Postkarte undatiert, Städtisches Museum Troppau mit freundlicher Genehmigung B. Martens.

Aufgrund der guten Auftragslage war Gartner wohl nicht darauf erpicht, seine Arbeiten umfassend zu publizieren; insofern verwundert es nicht, dass er auch in zeitgenössischen Nachschlagewerken höchstens am Rande erwähnt wird. Während in Wien kein einziger Synagogenbau erhalten blieb, entgingen unter anderem die Synagogen in Prerau und Tyrnau der Zerstörung: Erstere wurde allerdings in eine orthodoxe Kirche verwandelt, und Letztere ist in einem renovierungsbedürftigen Zustand, wird jedoch für Ausstellungszwecke genutzt.

 

Einweihung 1887

Die Stadt Olmütz (tschechisch: Olomouc) liegt im östlichen Teil der Tschechischen Republik am Fluss March. Mit heute in etwa 100.000 Einwohnern ist es die fünftgrösste Stadt dieses Landes.

Wie kam es zum Bau der Synagoge in Olmütz? Die jüdische Gemeinde traf sich zunächst in einem Bethaus in der Vorstadt. Aufgrund des rasanten Wachstums der Nutzerschaft wurde am 29. November 1894 der Bau einer eigenständigen Synagoge beschlossen, welche der Grösse und Bedeutung der Gemeinde entsprechen sollte. Eine Liegenschaft am neu entstandenen Maria-Theresia-Platz in unmittelbarer Nähe der ehemaligen Stadtbefestigung fungierte dabei als Bauplatz. Die Ausrichtung des Bauwerks gen Osten war auf diesem Grundstück behindert, und aus diesem Grund musste der Thoraschrein an der südöstlichen Seite positioniert werden.

Die Synagoge wurde als freistehender Bau mit einer Gesamthöhe von 38 Metern konzipiert und bereits am 28. Juni 1895 baubewilligt. Ebenso zügig verliefen die Bauarbeiten, sodass die feierliche Einweihung am 11. April 1897 erfolgen konnte. Die Fassade zeichnete sich durch ein horizontal strukturiertes Backsteinmauerwerk aus und wurde durch Fenster mit Rosetten und Stilelementen entsprechend gegliedert. Im Hauptraum befanden sich insgesamt 440 Sitzplätze für Männer. Über eine Stiege gelangte man zur Frauenempore mit immerhin 304 Sitzplätzen.

Nicht im Zuge der Pogromnächte (November 1938), sondern erst in der Nacht vom 15. auf den 16. März 1939 wurde die Synagoge durch Brandlegung devastiert. Unmittelbar danach wurden die baulichen Überreste beseitigt und das Grundstück der Stadt Olmütz überlassen. Nach dem Zweiten Weltkrieg fungierte der leere Bauplatz als Standort für eine Statue von Lenin und Stalin. Jahrzehnte später wurde die Nutzung als Parkplatz intendiert, eine Funktion, welche bis heute währt.

Umfassendes Bildmaterial

In diesem Beitrag werden die von Robert Wieczorek im Rahmen seiner Diplomarbeit2 bearbeiteten Rekonstruktionsergebnisse präsentiert. Im Zuge seiner Recherchen vor Ort ergab sich ein Treffen mit Miroslav und Peter Papousek, die beide für die jüdische Kultusgemeinde in Olmütz tätig sind. Ebenso war der Austausch mit Jaroslav Klenovsky von enormer Bedeutung, zumal von ihm bereits seit mehreren Jahrzehnten die mährische Synagogenarchitektur aufgearbeitet wird3. Es konnte deshalb umfassend Kenntnis von Bildmaterialien sowie schriftliche Unterlagen über die Synagoge erlangt werden.

Anders als bei manchen anderen Standorten war die Olmützer Synagoge umfassend mittels einer reichhaltigen Fülle an Fotografien dokumentiert. Dieser Sakralbau stellte nicht nur ein beliebtes Postkartenmotiv dar, sondern auch das Interieur wurde von mehreren Standorten aus fotografiert. Dies kann durchaus als eine Seltenheit bei Gartner angesehen werden. Ebenso standen umfassende Planunterlagen mit Konstruktionsdetails zur Verfügung. Überdies konnte auf eine Fülle an Textmaterialien betreffend der Synagoge zurückgegriffen werden, wie z.B. eine Baubeschreibung, Protokolle über den Verlauf des Baues, sowie gar den Abriss der Synagoge.

Weitere synagogale Standorte in Tschechien sind derzeit in Arbeit bzw. stehen kurz vor der Fertigstellung. In erster Linie handelt es sich dabei um Sakralbauten der Architekten Max Fleischer, Jakob Gartner und Wilhelm Stiassny.

 

1  Martens, Bob/Peter, Herbert: Die zerstörten Synagogen Wiens - Virtuelle Stadtspaziergänge. Wien: Mandelbaum 2009.

2   Wieczorek, Robert: Virtuelle Rekonstruktion der Synagoge in Olmütz (Olomouc)  [Diplomarbeit TU-Wien]. Wien 2011.

3  Klenovsky, Jaroslav; Papousek, Miroslav: Zidovska obec v Olomouci. Olomouc 1997-98.