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Als auch Ruhm und Ehre nichts mehr nützten

Fabian BRÄNDLE

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Der moderne Fussball, heute weltweit Sportart Nummer eins, hatte in Deutschland viele jüdische Impulsgeber. Bekanntester Pionier ist bestimmt Walther Bensemann (1873-1934), Gründer mancher süddeutscher Vereine, Veranstalter der sogenannten „Ur-Länderspiele" im Jahre 1899, ein Jahr später beteiligt an der Gründung des Deutschen Fussball-Bunds (DFB) und 1920 Initiator des heute noch beliebten Fussballmagazins „Kicker". Bensesmann glückte rechtzeitig die Flucht vor den Nationalsoziasten, ein Jahr nach Hitlers Machtergreifung verstarb er indessen im Schweizer Exil.

Der jüdische Sport in Deutschland war sowohl Ausdruck der Emanzipation als auch der Integration. Der zionistische Philosoph und Soziologe Max Nordau hatte im späten 19. Jahrhundert das sogenannte „Muskeljudentum" propagiert. Gegen die antisemitischen Strategien, jüdische Körper als krank, tuberkulös und allgemein schwächlich zu diskriminieren, forderte Nordau dazu auf, sich in der aufkommenden Sportbewegung zu stählen. Die Ihnen bekannten „Maccabi"- Bewegung war eine Folge davon. Andererseits war die neue jüdische Mittelschicht auch weltoffen und oft anglophil. Der Fussball, von Britannien her auf den Kontinent importiert, war den bürgerlichen Kaufleuten und Akademikern Ausdruck von Modernität und Fortschritt. So auch dem jungen jüdischen Kaufmannssohn Julius Hirsch aus Karlsruhe, über den wir dank der akribisch recherchierten, flüssig geschriebenen, im engagierten Göttinger Verlag „Die Werkstatt" erschienenen Biographie des namhaften Sporthistorikers Werner Skrentny Näheres erfahren.

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Ganz rechts ist Julius Hirsch zu sehen im Dress des KFV, links sein Freund und Mitspieler Gottfried Fuchs.

Fussballerisches Debut 1909

Die Familie Hirsch stammt aus Obergrombach in Nordbaden. Vater Berthold Hirsch war Kaufmann in Karlsruhe, Mutter Emma Directrice in einem Modegeschäft. Das Paar hatte sieben Kinder, was die Mutter körperlich und psychisch sehr belastete. Sie musste daher mehrmals die psychiatrischen Kliniken von Achern und Illenau aufsuchen. Dort kam Sohn Julius am 7. April 1892 zur Welt. Hirsch war ein aufgeweckter, kräftiger Knabe, der gute Zeugnisse nach Hause brachte, sehr zur Freude seines bildungsbeflissenen, tüchtigen Vaters. Die Heimatstadt Karlsruhe, die in diesen Jahre zur Grossstadt wurde, war dem Heranwachsenden ein interessantes Milieu, denn sie war gleichsam Pionierort der Fussballbewegung mit Vereinen wie dem Karlsruher FV (KFV) und Phoenix. Die badische Residenzstadt kannte schon aufregende Derbys, als andernorts noch am Barren geturnt wurde. Julius Hirsch trat 1902 dem KFV bei und beendete 1908 die Oberrealschule. Bereits 1909 gab er als Stürmer sein Debüt in der starken, erfolgreichen ersten Mannschaft, der mit Gottfried Fuchs ein weiterer äusserst spielstarker Stürmer angehörte. Fuchs avancierte wie Hirsch zum Nationalspieler. Die beiden blieben Freunde. Fuchs galt in Fachkreisen als „Fussball-Millionär", war ein erfolgreicher Geschäftsmann. 1933 gelang ihm die über die Schweiz die Flucht in die USA.

Die sportliche Karriere „Julle" Hirschs war also lanciert. Bald folgten erste Berufungen in Landesauswahlen sowie erste Pokalgewinne, noch im regionalen Rahmen. 1910 gewann Hirsch mit dem KFV endlich die deutsche Meisterschaft. Im Jahre 1911 wurde Hirsch zum ersten Mal in die Nationalmannschaft berufen. Ein Jahr später erzielte er in Zwolle beim 5:5 gegen die Niederlande nicht weniger als vier Tore, ein erster Rekord! Internationaler Karrierehöhepunkt war sicherlich die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Stockholm von 1912. In der Trostrunde erzielte Gottfried Fuchs gegen Russland zehn Tore, noch heute ein Rekord in Deutschland. 1913 wurde Hirsch mit dem fränkischen Verein SpVgg Fürth erneut deutscher Meister. Dann unterbrach der Krieg die Karriere von Hirsch, der sich unterdessen als Kaufmann betätigte.

Im Krieg kämpfte Hirsch wie die meisten anderen jüdischen Männer tapfer, hatte aber Glück, meistens nicht an vorderster Linie dienen zu müssen. Er überlebte unverwundet und erhielt das Eiserne Kreuz Zweiter Klasse. Während des Krieges kam es zu virulenten antisemitischen Manifestationen, welche die Behörden dazu brachten, statistische Untersuchungen über die Einsatzorte jüdischer Soldaten und Offiziere zu unternehmen.

Tödlicher Irrglaube an seinen Ruhm

Bereits 1919 kickte Julius Hirsch wieder für Fürth, wechselte aber bald zurück zum KFV. In Karlsruhe heiratete er 1920 Ellen Hauser, eine gelernte Modistin. Das Paar hatte zwei Kinder, die den Zweiten Weltkrieg als getaufte „Mischlinge" überleben sollten. 1924 beendete Hirsch seine Fussballerkarriere, zwei Jahre später gründete er zusammen mit seinem Bruder Max die „Signalflaggenfabrik", die indessen nie so richtig rentieren sollte. Noch vor der Machtergreifung Hitlers wurde im Februar 1933 ein Konkursverfahren eröffnet. Hirsch hatte also nur wenige flüssige Mittel, als der staatlich organisierte Terror gegen die Juden begann. Er verliess sich auf seinen Ruf als famoser Sportsmann und verpasste mehrere Möglichkeiten, mit seiner Familie zu emigrieren. Alte Freunde setzten sich für ihn ein. Aus dem KFV ausgeschlossen, wirkte Hirsch als Trainer, verarmte aber weiter. 1937 arbeitete er als Hilfslohnbuchhalter bei einer jüdischen Firma, die aber ein Jahr später „arisiert" wurde. 1938 reiste Hirsch zu Schwester Rosa und von dort aus nach Schweden, wo er seinen alten Freund Gottfried Fuchs traf. Nach Deutschland zurückgekehrt, beging er einen Selbstmordversuch und wurde psychiatrisiert. 1939 bis 1942 arbeitete er als Zwangsarbeiter für das Städtische Tiefbauamt Karlsruhe, 1943 wurde er deportiert und wohl unmittelbar nach seiner Ankunft in Auschwitz-Birkenau ermordet.

Lange schwiegen der DFB und die deutsche Gesellschaft zum tragischen Schicksal des einstigen Rekordschützen.  Erst 1998 wurde eine Sporthalle in „Julius-Hirsch-Halle" umbenannt, im Jahre 2000 widmete der DFB anlässlich seiner Jubiläumsausstellung dem Spieler einen eigenen Raum. 2005 verlieh der DFB erstmals den „Julius-Hirsch-Preis" für engagierte Projekte. Der legendäre Spieler Julius Hirsch hat seinen gebührenden Platz im neuen Deutschland gefunden, sein Name soll fortan Zeichen setzen im Kampf gegen Rassismus und Verfolgung.

Weiterführende Literatur:

Skrentny, Werner: Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet. Biografie eines jüdischen Fussballers. Göttingen 2012.

Bernett, Hajo: Der jüdische Sport im nationalsozialistischen Deutschland 1933-1938. Schorndorf 1978.

Beyer, Bernd-M: Der Mann, der den Fussball nach Deutschland brachte. Das Leben des Walther Bensemann. Ein biografischer Roman. Göttingen 2003.

Havemann, Nils: Fussball unterm Hakenkreuz. Frankfurt am Main 2005.

Heinrich, Arthur: Der Deutsche Fussballbund. Eine politische Geschichte. Köln 2000.

Schulze-Marmeling, Dietrich (Hg.): Davidstern und Lederball. Die Geschichte der Juden im deutschen und internationalen Fussball. Göttingen 2006.

Wildmann, Daniel: Der veränderbare Körper. Jüdische Turner, Männlichkeit und das Wiedergewinnen von Geschichte in Deutschland um 1900. Tübingen 2009.