Ausgabe

„…und beten und flehen zu Dir in diesem Hause“

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Elisheva Shirion: Gedenkbuch der Synagogen und jüdischen Gemeinden Österreichs. Hg. v. Meier Schwarz Synagogue Memorial.

Horn: Berger und Söhne 2012.

218 Seiten, 169 S/W-Abbildungen, Euro 29,90.-

ISBN 978-3850285650

In diesem Jahr  erschien - in deutscher Sprache - ein Gedenkbuch der Synagogen und jüdischen Gemeinden in Österreich. Es handelt sich um den fünften Band der Gedenkbuchreihe, die sämtliche Synagogen, die in Deutschland und den deutschsprachigen Gebieten existierten, beschreibt. Diese Reihe wurde von Prof. Meier Schwarz ins Leben gerufen, der in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts anfing, die Standorte der zerstörten Synagogen in Deutschland aufzusuchen und zu dokumentieren.

Eingeleitet wird das Buch mit einem historischen Abriss der Geschichte des Judentums in Österreich. Die Zeit vom frühen Mittelalter bis zur  Ära Kaiser Josephs II. hat der an der Bar Ilan Universität lehrende Historiker und Judaist Schlomo Spitzer verfasst. Die anschliessende Periode bis zur Gegenwart stammt von Milka Zalmon. Diese Beiträge gewähren wichtige Einblicke in das kulturelle und ökonomische Umfeld, in welchem das österreichische Judentum eingebunden war.

Das eigentliche Herzstück dieses Buches ist die systematische Aufzeichnung sämtlicher jüdischer Gemeinden in Österreich, wie sie noch vor dem Jahre 1938 bestanden hatten. Autorin ist Elisheva Shirion, die sich in akribischer Arbeit nicht nur der Synagogenbauten, sondern auch der Lokalgeschichte und Strukturen von Gemeinden und Tempelvereinen angenommen hat. Mitberücksichtigt sind Mikwaot, Friedhöfe und andere lokale Einrichtungen; auch zahlreiche heute schon längst vergessene Persönlichkeiten: Rabbiner, Kantoren, Gemeindevorsteher, Architekten werden erwähnt und  - so weit bekannt - biographisch gewürdigt.

Zu Beginn wird der jüdischen Gemeinde in Wien breiter Raum gewidmet, beginnend mit der Baugeschichte des Wiener Stadttempels, der 1826 eingeweiht werden konnte, und der Etablierung einer israelitischen Kultusgemeinde im Jahre 1852. Bedeutende Rabbiner wirkten am Wiener Stadttempel: ganz zu Beginn der Prediger Isak Noah Mannheimer, welcher gemeinsam mit dem aus Hohenems stammenden Kantor Salomon Sulzer den „Wiener Ritus" eingeführt hatte. Es folgten Persönlichkeiten wie Adolph Jelinek, Moritz Güdemann, Zwi Perez Cajes, David Feuchtwang und als letzter Oberrabbiner vor 1938 Israel Taglicht.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs die Wiener jüdische Gemeinde sprunghaft an. Weitere Bethäuser werden errichtet. Schon in den Jahren 1854-58 entstand der sogenannte Leopoldstädter Tempel. Dieses Bauwerk bot Tausenden Besuchern Platz und entsprach in seinem Erscheinungsbild einem respektablen Ringstrassengebäude. Sechs Jahre später wurde - auf Initiative osteuropäischer Zuwanderer - die sogenannte „Schiffschul" erbaut; sie galt als orthodoxes Gegenstück zum Leopoldstädter Tempel, in dem der Wiener Ritus praktiziert und von den alteingesessenen Juden bevorzugt wurde. 

Bemerkenswerte Synagogenbauten liessen zwischen 1871-89 die Wiener Vororte-Gemeinden Sechshaus (Turnergasse), Floridsdorf (Holzmeistergasse), Ottakring (Hubergasse) und Währing (Wienerstrasse) errichten. 1885 erbaute Hugo von Wiedenfeld - nach Motiven der Alhambra - den „Türkischen Tempel" (Zirkusgasse) für die  schon seit dem 18. Jahrhundert bestehende sephardische Gemeinde in Wien. Es folgten allein in der Leopoldstadt 1892/93 die „Polnische Schul" (Leopoldsgasse) für die aus Polen zugewanderten Juden, ferner die Synagogen in der Pazmaniten- und Malzgasse. Ausserdem existierten in diesem von Juden am dichtesten besiedelten Bezirk noch vor 1938 über 40 Bethäuser, auf die in diesem Buch näher eingegangen wird. Leider existiert von diesen kaum Bildmaterial.

Um die Jahrhundertwende bildeten sich zahlreiche Tempelvereine, auf deren Initiative zahlreiche Synagogen errichtet wurden. Man denke an die historistischen Bauten von Max Fleischer und Jacob Garner; einen architektonischen Höhepunkt repräsentierten die Tempelbauten in Hietzing (Eitelberggasse) und Rudolfsheim (Storchengasse).

In Niederösterreich lebten ca 10.000 Juden, die sich flächendeckend in fünfzehn Kultusgemeinden organisiert hatten. Sie sind alle verschwunden; nur in Baden bei Wien leben heute mehrere jüdische Familien, für die die alte Tempelruine wiederhergestellt und neu adaptiert wurde. Erwähnenswert ist auch die stilistisch hochinteressante Synagoge in Sankt Pölten, welche Anfang der achtziger Jahre Jahre neu renoviert wurde; seit 1988 ist dort das „Institut für Geschichte der Juden" untergebracht. Eine jüdische Gemeinde existiert in Sankt Pölten nicht mehr.

Das heutige Burgenland war mit zehn Kultusgemeinden relativ dicht besiedelt. Das vorliegende Buch geht in ausführlicher Weise auf die oft jahrhundertelang zurückliegende Geschichte und das tragische Ende dieser Gemeinden ein. Heute leben nur einzelne jüdische Familien im Burgenland. Wie ein Mahnmal steht die Tempelruine in Kobersdorf und harrt einer Renovierung; in Stadt Schlaining wurde die ehemalige Synagoge renoviert und zu einem Kulturzentrum umfunktioniert, ebenso das Gebäude in Oberwart. Unbeschadet blieb die Privatsynagoge im Hause des Oberhoffaktors und Landesrabbiners Samsom Wertheimer. Sie bildet heute den attraktiven Mittelpunkt des im Wertheimer-Haus untergebrachten „Österreichischen Jüdischen Museums".

Kommen wir auf die restlichen Bundesländer zu sprechen: In der Steiermark, Kärnten, Salzburg, Oberösterreich und Tirol durften sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Juden wieder ansiedeln. Kultusgemeinden bildeten sich in den Hauptstädten Graz, Klagenfurt, Salzburg, Linz und Innsbruck, aber auch Steyr. Der bedeutendste, im Stil der deutschen Renaissance errichtete Sakralbau stand in Graz. Auch er wurde ein Raub der Flammen. Nur die Synagoge in Salzburg überstand den Novemberpogrom und dient heute der kleinen Gemeinde als Stätte des Gebetes. In Graz, Salzburg, Linz und Tirol haben sich nach dem zweiten Weltkrieg nur sehr kleine Gemeinden wieder etabliert.

Die  jüdische Gemeinde in Hohenems, die auf eine jahrhundertelange kontinuierliche Geschichte zurückblicken konnte, wurde völlig ausgelöscht; übriggeblieben sind ein schöner Waldfriedhof und das ehemalige Synagogen-Gebäude, welches neu renoviert und für ein Kulturzentrum mit Musikschule adaptiert wurde. In der Villa Rosenthal ist seit 1991 das Jüdische Museum Hohenems untergebracht.

Der vorliegende Band ist nicht nur für österreichische Juden ein wichtiges Erinnerungsbuch, sondern eröffnet allen Menschen dieses Landes ein Stück wenig bekannter Heimatgeschichte.