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Erich Fromm - populärer Philosoph, unbekannter jüdischer Denker?

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Domagoj Akrap: Erich Fromm - ein jüdischer Denker. Jüdisches Erbe, Tradition, Religion, Bd. 86.

Wien/Berlin: Lit-Verlag 2011.

272 Seiten, EUR 24,90,-

ISBN-AT 978-3-643-50323-7

Erich Fromm war eine der Persönlichkeiten, die ganz selbstverständlich ein Teil der intellektuellen Landschaft meiner Jugend waren. "Die Kunst des Liebens" (erschienen 1956) und "Haben oder Sein" (1976) waren die beiden Bücher, an denen man irgendwie nicht vorbeikam - obwohl ich vermute, dass jeweils höchstens eines davon genauer gelesen wurde. Gerade Fromms Popularität, die griffigen Begriffe, die er prägte, standen einer tieferen Beschäftigung mit ihm vielleicht im Weg.

Nebenbei, es würde mich interessieren, wie viele meiner Generation - die in den sechziger Jahren Geborenen und in den siebziger, achtziger Jahren Sozialisierten - eine ähnliche Begegnung mit Fromms Denken hatten. Was mir damals nicht bewusst sein konnte, war die Tatsache, dass unser Interesse an Fromm im Kontext eines gesellschaftlichen Klimas stand, dass rückblickend unter "Post-68" subsummiert werden kann. Es war offenbar einer bestimmten gesellschaftlichen Konstellation zu verdanken, dass Fromms Bücher allgegenwärtig waren. Und damit teilten sie das Schicksal vieler Bestseller - plötzlich war ihre Zeit vorbei.

Dass Fromm ein jüdischer Autor oder zumindest ein Autor jüdischer Abstammung war, war dabei ein Faktor, der einerseits vielleicht nicht zentral für seine Rezeption, andererseits aber auch nicht völlig unwesentlich für sie war. Sein jüdische Herkunft, sein Emigrantenschicksal verliehen ihm eine Art von Nimbus, eine Credibility, irgendwie passend zum quasi-prophetischen Charakter seiner Schriften. Trotzdem, das Judentum erschien mir nie als wesentlicher Aspekt seines Denkens.

Umso überraschender war es für mich, als Domagoj Akrap mir vor einigen Jahren davon erzählte, dass er eine Arbeit über Erich Fromm verfassen wolle. Es gehe ihm dabei nicht nur um eine Biographie, sondern er wolle darin vor allem auf Fromm als jüdischem Denker eingehen. Ob es dazu denn eigentlich genügend Grundlage gebe, war meine spontane und skeptische Frage dazu. Lasse sich denn in einem so gar nicht traditionell-jüdischen, sondern allgemein-humanistischen Werk, auch wenn es sich immer wieder auf die religiöse Tradition bezieht, genug finden, um es als "jüdisches Denken" einordnen zu können? Mehr noch, widerspreche das nicht genau der Intention Fromms, Antworten auf allgemeine menschliche Probleme zu finden?

Um es vorweg zu sagen, Akrap hat die Aufgabe, die er sich mit dieser Vorgabe gestellt hat, mit mustergültiger Konsequenz durchgeführt. Er beantwortet die Frage nach der Stellung des Judentums in Fromms Werk vorweg: "Das Judentum, die jüdische Religion, war nicht primär Gegenstand seiner Untersuchungen und Analysen, trotzdem war es ihm wichtig, die bedeutendste Schrift des Judentums, die hebräische Bibel, in einem eigenständigen Werk genauer zu behandeln und ihre seine eigene Interpretation beizufügen" (S. 22). Daher sei es "weder mit inhaltlichen Argumenten noch auf Grund definitorischer Grössen gerechtfertigt", den Denker Fromm "aus der Kontinuität jüdischen Denkens" auszuschliessen. Die Ursache, dass es doch geschehe, sieht Akrap eher in einer Judaistik begründet, die jüdisches Denken entweder in der Tradition der "Wissenschaft des Judentums" sehe oder einer zionistischen Geschichtsschreibung verpflichtet sei. Es bedürfe daher eines fächerübergreifenden Zugangs, wie ihn die "Jewish Studies" bieten, um dem heterogenen jüdischen Denken des 20. Jahrhunderts gerecht zu werden, argumentiert der Autor (vgl. S. 23).

Das Buch ist recht klar strukturiert. Nach einleitenden Überlegungen, warum die Begriffe "jüdische Philosophie" und "jüdisches Denken" sich auch auf das Werk von Erich Fromm anwenden lassen, erfahren wir über "Biographie und Fromms Werdegang" etwa aus seiner Prägung durch ein deutsches, aber jüdisch-orthodoxes Elternhaus. Der "Jekke" Fromm ist in jungen Jahren durch seinen "eigenwilligen und charismatischen" Lehrer Salman Baruch Rabinkow (1882-1941?) in Heidelberg stark beeinflusst worden. Dieser soll einer der vielen weitgehend vergessenen, aber sehr einflussreichen jüdischen Denker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewesen sein - was heute schwer zu belegen ist, da Rabinkow keine eigenen Schriften hinterlassen hat.

Akrap zitiert auch aus den Aufsätzen Fromms, die er in jungen Jahren geschrieben hat und in denen er sich mit Fragen der jüdischen Jugend auseinandersetzte. Offenbar bestand eine Nähe des jungen Fromm, wie bei vielen seiner Zeitgenossen, zum Zionismus. Als säkularer und sozialistischer Jude bleib er später einerseits stets in skeptischer Distanz zur israelischen Politik. Er verurteilte aber auch sehr klar den Terrorismus gegen Israel.

Akrap befasst sich dann mit Fromms Religionsbegriff, der sehr weit gefasst ist (und der nebenbei nach meiner Auffassung eines der erfolgreichsten und untergründig am stärksten nachwirkende Konzepte der Frommschen Philosophie ist). Nach Fromm ist das religiöse Bedürfnis allgemein menschlich, so dass faktisch jede Gesellschaft in irgendeiner Form "religiös" geprägt ist, auch wenn das Formen wie Konsumverehrung oder Personenkult annimmt. Die Aufgabe, die sich für Fromm stellte, war eine utopische: dem radikalen Humanismus zum Durchbruch zu verhelfen, die Menschen, die stets in Gefahr sind, falschen Göttern und dem "Goldenen Kalb" zu huldigen, zur geistigen Freiheit zu führen. Wie Akrap zeigt, war daher die Auseinandersetzung Fromms mit seinem jüdischen Erbe und der jüdischen Tradition, vor allem der Bibel, davon geprägt, dass er darin bereits diese "Religion" des radikalen Humanismus angelegt sah. Der Mensch müsse zu sich selbst kommen und sich von autoritären und destruktiven Formen des Lebens und der Gesellschaft befreien.

Die "Liebe zum Leben", die "Biophilie", als Gegensatz zu nekrophilen, destruktiven Lebensformen, war für ihn das Erbe der jüdischen Tradition. Sie stellte Fromm in seinen späteren Jahren in den Mittelpunkt seiner Philosophie. Er wurde damit auch einer der ersten bedeutenden Warner vor den Fehlentwicklungen einer technisierten Gesellschaft, welche das "Haben" des Konsums in den Mittelpunkt stellt, obwohl dieser auf Kosten der natürlichen Grundlagen des menschlichen "Seins" geht und einem menschenwürdigen Leben für alle widerspricht.

Im utopischen Kern von Fromms Denken sieht Akrap jenes Element, durch das er sein jüdisches Erbe einerseits radikal uminterpretiert hat, mit dem er seinem Judentum aber auch treu geblieben ist. Daher stellt Akrap ein Wort von Steven Schwarzschild an das Ende seiner Ausführungen: "(...)Fromm did not leave Judaism. Judaism left him, or rather Jewry left him" (S. 246 - 247). Es sei daher an der Zeit, "Fromm wieder unter die Zelte Jakobs aufzunehmen", so Akraps Schlussfolgerung.(S. 247). Judentum als "Big Tent" also, unter dem sehr verschiedene Denkansätze einen Platz finden können? Nicht nur in Zusammenhang mit diesem Vorschlag zu einer Neulektüre des Werkes von Erich Fromm erscheint das als eine interessante Konzeption.