Hedwig Brenner: Jüdische Frauen in der bildenden Kunst IV. Ein biographisches Verzeichnis. Unter Mitarbeit von Jutta Obenland. Herausgegeben von Erhard Roy Wiehn.
Konstanz : Hartung-Gorre Verlag 2011.
178 Seiten, mit Bilder-CD, Euro 19,80,-
ISBN 978-3-86628-333-6
Hedwig Brenner ist 94 Jahre alt und frisch gekürte Trägerin des Verdienstkreuzes am Bande der Bundesrepublik Deutschland. Und des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst. Nur mit Mühe überlebte sie die NS-Zeit im Czernowitzer Ghetto. Ging dann, 1945, nach Rumänien. Nicht weniger als 130 Ausreiseanträge stellte sie nach eigener Aussage von hier, bis sie samt Familie endlich, 1982, nach Haifa gehen durfte. Eine gehörige Portion Humor hat sie sich dennoch - oder gerade deshalb, als Überlebensstrategie - bewahrt: Eine „Metamorphose von der Physiotherapeutin zur Lexikographin" habe sie durchlebt, resümiert sie ihre Vita im Schnelldurchlauf und lacht.
Damals im Oktober 2011, als sie im Hörsaal des Dessauer Bauhauses Rede und Antwort steht zu den Triebfedern ihres Lexikons „Jüdische Frauen in der bildenden Kunst". Als Physiotherapeutin sei es ihr nicht anders ergangen als vielen FriseurInnen, fährt sie fort: Zahlreiche Klientinnen hätten ihr vertrauensvoll das Herz ausgeschüttet. Dies habe ihr Interesse an Frauenbiographien entfacht. Und letztlich den Grundstein für ihr Werk „Jüdischen Frauen in der bildenden Kunst" gelegt, dessen vierter Band 2011 erschien.
Brenners kleines Opus magnum in Paperback hat mit Band IV einen stattlichen Umfang erreicht - 1072 Seiten voller Künstlerinnen-Biographien. In aller Welt gesammelt. Einziger gemeinsamer Nenner: Die jüdischen Wurzeln und die künstlerische Tätigkeit - sei es als Videokünstlerin oder als Malerin, als Graphikerin, Fotografin, Bildhauerin, Architektin. Bekannte und Vergessene weilen darunter. Gut Erforschte und Verdrängte. Längst Verstorbene und Hochlebendige. So findet im neuen Band die US-amerikanische Kultfotografin Nan Goldin (*1953) Platz neben der weithin vergessenen, in Sobibor ermordeten ungarisch-österreichischen Malerin Gina Eibenschütz (1889-1942). Schon im ersten Buch stiess die vielgezeigte Allround-Künstlerin Sonia Delaunay (1885-1979) auf die dauerignorierte Malerin Else Meidner (1901-1987). Zeitlebens und zu ihrer Verzweiflung wurde Meidner in den Schatten ihres Gatten, des Malers Ludwig Meidner, gedrängt. Als „Pionierarbeit" titulierte der Herausgeber der „Jüdische Frauen in der bildenden Kunst", Erhard Roy Wiehn, bereits den ersten Band. 1998 erschien er. Jetzt, nach Abschluss des vierten, scheint Wiehns Adelung endgültig berechtigt. Brenner indes bleibt bescheiden: „Ich hätte nie gehofft, dass es vier Bände werden würden."
„Mein unkonventionelles Lexikon" nennt Brenner ihr Werk. Nicht weniger als „ins rechte Licht rücken" soll es - „die hervorragende Rolle jüdischer Frauen auf dem ihnen jahrhundertlang verwehrten Gebiet der bildenden Kunst". Nicht dezidiert ForscherInnen, sondern „Kunstinteressierte" sind Brenners Zielgruppe. Wissenschaftlicher Pedanterie bietet sie daher kaum Platz: Weder wurden die Texte auf kunsthistorische Treffgenauigkeit lektoriert. Noch lassen sich alle Quellen auf Anhieb erschliessen. Bei manchem Namen ist die Verwunderung gross - verfügte Architektin Lilly Reich tatsächlich über jüdische Vorfahren? Gleichwohl, dies alles kann dem opulenten Unterfangen kaum schaden. Als schier unerschöpflicher Ideenpool kann er mühelos auch WissenschaftlerInnen zu vertiefender Recherche inspirieren. Denn seit Gisela Breitlings rühmlichem Buch „Die Spuren des Schiffs in den Wellen" (1980), das nicht nur genderbewusste KunsthistorikerInnen in Deutschland aufrüttelte, sondern nach eigenem Bekunden auch Hedwig Brenner im fernen Haifa zu ihrem Vierbänder motivierte, hat sich zwar einiges getan. Aber eben nur einiges: In den meisten Lexika bleiben Künstlerinnen unverändert unterrepräsentiert. Erst recht die jüdischen, deren Lebenswege - u.a. wegen der Shoah - mitunter beinahe nicht rekonstruierbar sind. Gut also, dass Brenner schon 2011 in Dessau über einen möglichen fünften Band der „Jüdischen Frauen in der bildenden Kunst" nachdachte. Gern würde sie darin Architektinnen stärker berücksichtigen. „Sofern", wendet sie ein, der „liebe Gott will". Hoffentlich will er.