Ausgabe

Uwe Kraus

Content

Julius Schoeps/Anna-Dorothea Ludewig, „Eine Debatte ohne Ende? Raubkunst und Restitution im deutschsprachigen Raum",
Berlin: Verlag für Berlin-Brandenburg,
ISBN 978-3-86650-641-1,
Euro 16,80 (ab 1.1.2008 19,80 Euro)

Allein der Nicht-Veranstaltungsort der Buchvorstellung „Eine Debatte ohne Ende? Raubkunst und Restitution im deutschsprachigen Raum" belegte bereits die Brisanz des 327seitigen Bandes. Die Berliner Nationalgalerie schlug den Autoren Julius Schoeps und Anna-Dorothea Ludewig den Wunsch aus, ihr Buch in deren Räumen vorstellen zu dürfen. Der Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums in Potsdam, Julius H. Schoeps, plädiert für eine Versachlichung der Diskussion über Raubkunst. Das Ziel sei, den Diskurs über das Thema sachlicher und konstruktiver zu führen, weniger polemisch und emotional sowie fernab von Schlagwörtern wie „Museumsplünderung" und „Beutezug". Hier liege noch vieles im Argen. Wenn das eher stille Thema ins internationale Licht der Öffentlichkeit gerückt werde, beweise das, wie nötig es sei, „mehr als sechs Jahrzehnte nach Kriegsende durch die Kinder- und Enkelgeneration ein Thema aufzuarbeiten, das eigentlich in den 1950er-Jahren hätte diskutiert werden müssen." Der vorliegende Sammelband wird ob seiner breit gefächerten Betrachtungsweise der durchaus kontroversen Diskussion neuen Gesprächs- wie Sprengstoff liefern. Neben einer Armada von Kunstanwälten und -wissenschaftlern hatten Vertreter von Museen und Provenienz-Forscher, deren Bedeutung auf dem diskutierten Terrain zunimmt, an der Tagung teilgenommen, auf deren Beiträgen das Buch aus dem Verlag für Berlin-Brandenburg fußt.

Wie schwer vor Ort Provenienzforschung sei, verdeutlicht Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Die Zukunft koste Geld, für Provenienzforschung oder für Entschädigungen. Denn nicht alle Kunstwerke müssten zwangsläufig aus den Schauräumen verschwinden. Den Weg zu fairen und gerechten Lösung habe die Washingtoner Erklärung, in der sich 44 Staaten dazu verpflichtet haben, den Rückübertragungen nachzukommen und Ansprüche nicht verjähren zu lassen, aufgezeigt. Eine gütliche Einigung mit Erben sparen horrende Anwaltskosten. Während Roth einen „Feuerwehrfonds" für Museen ins Gespräch bringt, spricht Schoeps sich für einen „Rückkauffonds" aus, mit dessen Hilfe Museen die von Erben der einstigen Eigentümer geforderten Kunstwerke in ihrem Bestand halten können. „Denkbar sind beispielsweise zinslose Darlehen von privaten Kunstmäzenen oder Stiftern, das gab es in der deutschen Geschichte schon."

Martin Roth hält es für einen großen Fehler, dass nicht EU-weit recherchiert werde. „Die Verschleppung der Kunst durch die Nationalsozialisten kannte keine Grenzen, weshalb aber die Suche nach ihr?" Ein Dilemma ist, dass sich die Museen mangels finanzieller Mittel für entsprechende Fachkräfte um Herkunftsforschung herummogeln. Mit 1-Euro-Jobbern oder ABM-Kräften sei Provenienz-Forschung auf wissenschaftlichem Niveau nicht möglich. Auch Monika Tatzkow, Autorin des weltweit ersten Handbuchs der Kunstrestitution, verlangt von den Museen, „aus ihrer Bunkermentalität herauszutreten."

Der Repräsentant der Jewish Claims Conference in Deutschland, Georg Heuberger, fordert mehr Unterstützung von den Museen bei der Aufklärung des Verbleibs von NS-Raubkunst und vermisst das nötige Engagement, die Herkunft ihrer Werke gründlich zu prüfen. „Eine flüchtige Durchsicht der Inventare auf eventuelle Zuweisungen der Gestapo reicht nicht aus", ist sich Heuberger mit Ute Haug, einer anderen Autorin des Bandes, einig. „Verständlich ist, dass es in Museen personelle und finanzielle Engpässe gibt, aber gerade deshalb sollten sie qualifizierten externen Forschern den Zugang zu ihren Akten und Archiven nicht verbauen." Er rät dazu, sich im Ausland umzuschauen und von positiven Beispielen in Österreich, den USA und Großbritannien zu lernen. Georg Heuberger stellt aber auch klar, dass „das Gros der Restitutionen keine bekannten Kunstwerke sind, die auf internationalen Auktionen Millionen Euro einbringen. Wir reden im Großteil der Fälle von Büchern, Grafiken, Autographen, die für die Erben einen in erster Linie emotionalen Wert besitzen." Gleichzeitig plädiert er dafür, die Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 in ihrer Gesamtheit zu betrachten, „ohne juristisch nach dem Grad der fortschreitenden Entrechtung" zu differieren.

Nach Angaben des Münchner Kunstrechtlers Hannes Hartung sehen sich die EU-Staaten über 600 laufenden Verfahren ausgesetzt. Hartung verdankt der sehr schnell publizierte Konferenzband eine differenzierte rechtliche Wertung und Betrachtung sowie eine im Anhang angefügte informative Übersicht der Restitutionspraxis in Europa. Auch wenn es bislang keine verbindlichen Regelungen gebe, müsste gerade Deutschland angesichts der historischen Verantwortung eine Vorreiterrolle einnehmen.

Die Historikerin Esther Tisa Francini rät zu einer neuen Betrachtungsweise, die auch all jene Stücke betrifft, die z. B. von der Schweiz aus zum Lebensunterhalt des Besitzers stückweise veräußert wurden. Schwer zu beantworten sei nach über 70 Jahren, wie bedroht Verfolgte des NS-Regimes auch im Ausland waren und welche Rolle den Steuerbehörden zukam. So fordert Tisa Francini, von theoretischen politischen Diskussionen wegzukommen und zu den Quellen zurückzukehren. Dazu entwickelte sie fünf Fragekomplexe zur wissenschaftlichen Beurteilung von Restitutionsansprüchen.

„Eine Debatte ohne Ende?" bietet zu einem auch für Studenten und Privatinteressenten moderaten Preis ein in seinen gedanklichen Ansätzen vielschichtiges „Handbuch der Restitutionspraxis", das der endgültigen Klärung der Herkunft vieler Werke oberste Priorität einräumt. Schoeps und Ludewig gaben ein streitbares, sehr subjektives Buch heraus, das von der Kompetenz seiner Autoren lebt und den Dialog befördern dürfte. Und das Kirchner-Bild „Berliner Straßenszene" von 1913 auf dem Titel widerspiegelt wohl gleichsam die ganze aktuelle Problematik der Restitution, die Aufforderung zum genaueren Hinschauen wie die vielen Unschärfen.