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Von den "Milchunruhen" zur parteiischen Äquidistanz

Stephan GRIGAT

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Die KPÖ als Protagonistin antisemitischer Ressentiments in der Nachkriegszeit und als Sprachrohr des stalinistischen Antizionismus wurde hier bereits beschrieben. (siehe DAVID, Heft. 72, 2007) Die maßgeblich von KP-Funktionären initiierten „Milchunruhen" samt der daran anschließenden Kampagne müssen als eine der massivsten parteikommunistischen Manifestationen von Antisemitismus außerhalb des Herrschaftsbereichs des Realsozialismus gelten. Die antisemitischen Ausfälle in der unmittelbaren Nachkriegszeit sollten der KPÖ ein Ankommen in der postnazistischen Gesellschaft ermöglichen. Ähnlich wie die anderen Parteien versuchten auch die Parteikommunisten durch Anbiederung an das nationalsozialistisch geprägte Bewußtsein der österreichischen Bevölkerung Unterstützung in eben dieser zu erlangen.

Das Verhalten während des Slansky- und Ärzteprozesses läßt sich in erster Linie aus dem Bedürfnis erklären, das stalinistische Herrschaftssystem unter allen Umständen zu verteidigen. Aufgrund des grassierenden Antisemitismus in der postnazistischen österreichischen Gesellschaft mag auch die Hoffnung bestanden haben, in eben dieser Gesellschaft Verständnis für das realsozialistische, als Maßnahmen gegen die „kosmopolitische Konspiration" getarnte antisemitische Vorgehen zu wecken. Doch der ebenfalls aus der Zeit des Nationalsozialismus in die Demokratie in modifizierter Form übernommene Antikommunismus verunmöglichte eine erfolgreiche diesbezügliche Agitation selbst dann noch, wenn sie sich ausgesprochen populistischer Argumentationen bediente.

1968 wurde über die Auseinandersetzungen mit dem stalinistischen Antisemitismus und Antizionismus ein Teil des Kampfes zwischen Reformern und Dogmatikern in der KPÖ ausgetragen. Nachdem sich in diesem Kampf die Stalinisten durchgesetzt hatten, geriet die KPÖ in eine Position gesellschaftlicher Marginalität, aus der sie sich bis heute nicht befreien konnte.

In der Parteikrise 1990/91 nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus gab es keine öffentlich wahrnehmbaren Auseinandersetzungen über Antisemitismus und Antizionismus, aber nach Angaben ehemals führender Parteifunktionäre spielten antisemitische Ressentiments bei den Angriffen auf den reformorientierten Kurzzeitvorsitzenden Walter Silbermayr und seine Unterstützer durchaus eine Rolle.

Seit Anfang des neuen Jahrtausends gibt es in der KPÖ eine bemerkenswerte Entwicklung. Der parteiinternen Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Antizionismus kommt eine gewisse Bedeutung bei der versuchten Neupositionierung der KPÖ nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus zu. Gegen Ende ihres Bestehens öffnete sich die Theoriezeitschrift „Weg und Ziel" einer kritischen Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Antizionismus in der Partei. (siehe Weg und Ziel, Nr. 2, 1998) In den letzten Jahren spielte die Abgrenzung der Führungsebene der KPÖ von einem traditionellen Antiimperialismus, wie er von Teilen der KP und von linksradikalen Splittergruppen nach wie vor propagiert wird, auf dem Weg der Transformation der KPÖ zu einer Linkspartei mit einem irgendwie marxistisch gearteten Hintergrund eine wichtige Rolle. Anfänglich war die Kritik des Antizionismus allerdings ausgesprochen verhalten, und die Positionierung in bezug auf den Nahostkonflikt von einem veritablen Zick-Zack-Kurs gekennzeichnet.

In einem Bericht über eine Reise in die palästinensischen Gebiete vom April 2002 hatte Walter Baier, der Parteivorsitzende der Jahre 1994 bis 2006, noch die Politik der Sharon-Regierung als den „schlimmsten Feind Israels" bezeichnet. Ein rechtskonservativer Demokrat an der Spitze des Staates wäre demnach eine größere Gefahr für Israel als antisemitische Terrororganisationen wie Hamas und Hisbollah oder auch als das iranische Regime. 2002 hielt Baier auf einer „Palästina-Solidaritätdemonstration" in Wien vor der versammelten antiimperialistischen Linken einen Redebeitrag, in dem er zwar eingangs das „Existenzrecht des Staates Israel" außer Zweifel stellte, aber dem israelische Militär unterstellte, es führe „keinen Kampf gegen den Terrorismus, sondern einen zur Einschüchterung, Erniedrigung und Demütigung des palästinensischen Volkes. Das ist kein Krieg für die Sicherheit Israels, sondern ein Krieg gegen die Menschlichkeit." Zwar warf er die Frage auf, ob man „in einem Land wie Österreich diese Kritik an der Politik des Staates Israel üben (kann), ohne antisemitische Vorurteile wachzurufen?" Aber diese Frage wurde eindeutig bejaht: „Eine Antwort habe ich auf unserer heutigen Kundgebung gefunden: Hier sind nämlich viele, die vor wenigen Tagen gemeinsam gegen die Neo-Nazi-Kundgebung, deren Ziel ja darin bestand, die Verbrechen der Wehrmacht und die Verbrechen am europäischen Judentum zu leugnen, demonstriert haben." Vor dem Hintergrund dieses Rückfalls in die traditionsreiche Schuldabwehr der Linken, bei welcher der Hinweis auf den eigenen Antifaschismus stets als Freibrief zum Angriff auf Israel fungiert, überrascht es nicht, daß Baier seine Rede von 2002 mit der Parole beendete „Es lebe die Intifada!", was er heute allerdings als „Fehler" bezeichnet.

In einem Beschluß des Bundesvorstands der KPÖ vom April 2002 heißt es: „Wir distanzieren uns deshalb auch von jenen sich links definierenden Gruppen, denen es offensichtlich an Sensibilität gegenüber antisemitischen Tendenzen fehlt. Dieser Mangel hat sich zu einer ernsten Belastung in der Solidaritätsbewegung entwickelt." Gleichzeitig wird von Israel die „Anerkennung der legitimen Rechte des palästinensischen Volkes, insbesondere das auf die Rückkehr in die Heimat" gefordert, also von Israel verlangt, daß es seine Konstitution als jüdischer Staat aufgibt.

In jüngster Zeit wird die Abgrenzung von den offen israelfeindlichen Gruppen in der Linken sehr viel deutlicher formuliert. Dennoch bleibt die Widersprüchlichkeit hinsichtlich der Einschätzung Israels in den Stellungnahmen bestehen. In einer Erklärung des Bundesausschusses der KPÖ vom Februar 2006 mit dem Titel „Der Frieden ist ein Grundwert der Linken" heißt es: „Kritik an der Politik Israels muß sich klar von jedem Antisemitismus unterscheiden. Das gilt gerade in Österreich, einem Staat, der bis heute mit den Folgen der Verstrickung großer Teile der Bevölkerung in die Shoa nicht im Reinen ist. Antisemitismus besteht nach allgemein akzeptierter Definition nicht allein darin, jüdische Menschen herabzusetzen, ihnen gemeinschaftliche negative Eigenschaften zu unterstellen, sondern auch darin, dem Staat Israel das Existenzrecht zu bestreiten bzw. an ihn andere Kriterien als an andere Staaten anzulegen. Mit Gruppen und Grüppchen, die diese Grenze nicht zu ziehen vermögen, gibt es keine politische Zusammenarbeit." In der selben Erklärung wird Israel jedoch aufgefordert, mit der Hamas zu verhandeln, also mit einer Gruppe, die auch nach Definition der KPÖ antisemitisch ist, da sie dem Staat Israel das Existenzrecht abspricht.

Die KPÖ bezeichnet es auf ihrer Homepage zwar als „jenseitig", daß die Speerspitze der linken Israelfeindschaft in Österreich, die „Antiimperialistische Koordination", der Hamas zum Wahlsieg gratulierte. Im März 2007 fand sich jedoch ebendort die Verlautbarung der Palästinensischen Volkspartei, daß sie sich mit einem Minister an der von der Hamas geführten palästinensischen Einheitsregierung beteiligen wird. Laut Walter Baier kann die Palästinensische Volkspartei zwar nicht als „Schwesterpartei" der KPÖ bezeichnet werden, aber immerhin gehen die guten Beziehungen so weit, daß man derartige Meldungen unkommentiert auf der eigenen Homepage veröffentlicht.

Baier äußerte in einer Kritik an Avigdor Liebermann, dem Vorsitzenden der rechten Partei der russischen Einwanderer in Israel: „Gerade weil wir das Recht des israelischen Volkes verteidigen, wie jedes andere Volk selbst bestimmt und in sicheren Grenzen zu leben, legen wir an israelische Politiker die selben Maßstäbe wie an Politiker überall sonst auf der Welt an." Das Bedürfnis, gegen die antizionistische Vorstellung von der besonderen Perfidie des israelischen Staates zu argumentieren, gerät hier zu einer Ignoranz gegenüber den besonderen Bedingungen, unter denen Israel gegründet wurde und bis heute existieren muß. Diese Bedingungen verunmöglichen es, diesen Staat und seine Exponenten mit „den selben Maßstäben" zu messen, die an andere Staaten angelegt werden.

Ein Novum war, daß Baier im März 2006 einen Artikel über linken Antisemitismus in der konservativen Tageszeitung „Die Presse" veröffentlichte, der zuvor in einer ausführlicheren Fassung in den „Volksstimmen", dem Nachfolgeprojekt der „Volksstimme", erschienen war. Die Veröffentlichung in der „Presse" führte zu heftigen Reaktionen seitens der mittlerweile aus der Partei gedrängten oder in ihr auf Bundesebene marginalisierten Stalinisten. Auf der anderen Seite führte der Text zu einer Einladung seitens der jüdischen Menschenrechtsorganisation B’nai B’rith. Im November 2006 hielt Baier einen Vortrag unter dem Titel „Antisemit und ‚links’? Erkenntnis einer Möglichkeit" bei der Zwi Peres Chajes Loge der B’nai B’rith. Der Auftritt führte zu scharfem Protest gegen die „zionistischen Kriegstreiber" seitens der „Kommunistischen Initiative", in der sich die aus der Partei gedrängten Stalinisten gesammelt haben.

Die Tatsache, daß die Kritik antisemitischer Tendenzen in der Linken seitens eines langjährigen KPÖ-Vorsitzenden Beachtung in rechts-konservativen Medien wie der „Presse" und bei liberal-bürgerlichen Organisationen in Österreich gefunden hat, spricht dafür, daß die kritische Auseinandersetzung mit antisemitischen und antizionistischen Traditionen in der Arbeiterbewegung der KPÖ eine politische Öffnung ermöglichen könnte. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, daß jene Kräfte innerhalb der Partei, die als einzige auf nennenswerte Wahlerfolge verweisen können, wie die steirische und insbesondere die Grazer KP, an solch einer Auseinandersetzung kaum Interesse zeigen. Bisher ist diese Öffnung nur ein Projekt der Bundesleitung und von Teilen der Jugend- und Studentenorganisationen. Von großen Teilen der Parteibasis wird ihm mit Unverständnis oder schroffer Ablehnung begegnet.

Eine ähnliche Konstellation existiert auch in der Linkspartei in der Bundesrepublik Deutschland. Dort hat die stellvertretende Parteivorsitzende Katja Kipping Ende 2006 ein Papier veröffentlicht, das eine unmißverständliche Absage an den traditionellen Antiimperialismus und Antizionismus der Linken einfordert, sich zugleich aber nicht zu einer eindeutigen Solidarisierung mit dem bedrohten Israel durchringen kann. Auch in Deutschland treffen solche Vorstöße auf massiven Widerstand seitens großer Teile der Parteibasis und von vielen Funktionären. Die KPÖ hat das Papier von Kipping nicht auf ihrer Homepage publiziert. Dort finden sich hingegen Stellungnahmen vom außenpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Norman Paech, der für die israelfeindliche Gegenposition zu Kipping in der Linkspartei steht.

Der Lernprozeß von Funktionsträgern wie Walter Baier innerhalb der KPÖ ist ernst zu nehmen. Insgesamt ist allerdings zu befürchten, daß der Prozeß der letzten Jahre in der KPÖ nicht zu einer konsequenten Abkehr von traditionellen antiimperialistischen und vor allem antizionistischen Positionen führt. Wahrscheinlicher ist, daß sie in der Zukunft eine Art aufgeklärten Antizionismus propagiert, in dem die vollmundige Kritik am Antisemitismus der traditionell antiimperialistischen Gruppierungen nur der Legitimation der eigenen Israelkritik dient. Im Augenblick geht bei der KPÖ die Betonung des Existenzrechts Israels einher mit Forderungen, die, würden sie umgesetzt werden, eben diese Existenz in Frage stellen würden. Damit setzt sie einen Schritt in die Mitte der Gesellschaft, denn diese Gleichzeitigkeit stellt ein Wesensmerkmal der österreichischen wie auch der europäischen Außenpolitik dar.

Stephan Grigat ist Mitherausgeber des Bandes „Der Iran - Analyse einer islamischen Diktatur und ihrer europäischen Förderer", der im März 2008 im Studienverlag erschienen ist. Er ist Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft an der Universität Wien und gehört zur Gruppe Café Critique

(www.cafecritique.priv.at).