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Vor 60 Jahren

Karl PFEIFER

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Es sind leider nur noch wenige, die – so wie ich – den israelischen Unabhängigkeitskrieg vom Anfang bis zum Ende als Soldat erlebt haben und die Ereignisse vor 60 Jahren schildern können.

Als ich im Frühjahr 1946 der Palmach beitrat, fühlte ich mich einer Elite zugehörig, so wie es uns auch im Unterricht vermittelt wurde. Die meisten kamen aus linken zionistischen Jugendbewegungen und Palmach hatte den Ruf eine „bewaffnete Jugendbewegung" zu sein.

Palmach war während der acht Jahre ihres Bestehens immer eine kleine Einheit der Hagana und umfasste nie mehr als 6 bis 7 Prozent der Hagana. Im Jahr 1947 hatte Palmach lediglich 2200 aktive Kämpfer mobilisiert und das Budget für dieses Jahr betrug 600.000 Pfund, wovon 480.000 Pfund aus der Arbeit der Palmachmitglieder stammten. Die Offiziere wurden nur bei ihrem Vornamen genannt und es gab noch im Herbst 1948 keine Rangabzeichen. Die meisten von uns arbeiteten zwei Wochen in den Kibbuzim und beschäftigten sich zwei Wochen mit militärischen Übungen.

Wasserleitung

Nach drei Monaten harter Ausbildung – mit täglichem 12 km Lauf – leisteten wir am 15. Juni 1946 zu Mitternacht im Speisesaal des Kibbuz Jagur – nicht weit von Haifa - den Eid, dem jüdischen Volk treu zu dienen. Jigal Allon – der damalige Kommandant des Palmach – hielt eine Ansprache. Er sprach von „Tohar haneschek", der Sauberkeit der Waffe - darunter verstand man, dass man sich als Waffenträger seiner Verantwortung bewusst sein muss, Zivilisten und Gefangene zu schonen. Dies sollte erst im Krieg seine Bedeutung erlangen. Wir waren alle bewegt und hatten das Gefühl, richtig entschieden zu haben, als wir uns freiwillig meldeten. Uns beeindruckte, dass wir vor Beginn der Vereidigung mit Gewehren ausgestattet wurden und dass Maschinengewehre und Mörser aufgestellt waren.

Zwei Wochen nach unserer Vereidigung am 29. Juni 1946 kam es zum Schwarzen Sabbat, als die britische Armee in jüdischen Siedlungen Waffen suchte und in Jagur auch fündig wurden. Tausende Juden, die man verdächtigte, der Hagana anzugehören, wurden interniert, doch unsere Ausbildung und die Arbeit gingen weiter. Anfang 1947 kam ich nach Ramat Jochanan, wo ich einen Pfadfinderkurs besuchte. Wir – Burschen und Mädchen - lernten mit dem Kompass umzugehen und unseren Weg in den Hügeln von Galilea in der Nacht zu finden.

Im Sommer 1947 wurde ich von Ramat Jochanan nicht weit von Haifa zum zweiten Palmach-Regiment in den Negev gesandt, um die dorthin führende Wasserleitung zu bewachen. Sie machte die weit verstreuten jüdischen Siedlungen – meist Kibbuzim – erst möglich. Die Straßen, die zu den Siedlungen führten waren oft genug noch nicht asphaltiert und die Autos wirbelten viel Staub auf. Unsere Einheit von zehn Palmachmitgliedern und einem Unteroffizier war zunächst im religiösen Kibbuz Beerot Jizchak stationiert. Man bat uns, freiwillig der jüdischen Hilfspolizei seiner Majestät, des britischen Königs, beizutreten, damit wir legal eine Waffe tragen konnten.

Irgendwann Ende des Sommers 1947 wurden wir nach Tekuma gesandt. In dem nicht weit vom Gazastreifen liegenden religiösen Moshav siedelten religiöse Einwanderer aus Ungarn und Rumänien, die erst seit kurzem im Land waren. Im Moschav übten wir mit dem Maschinengewehr und patrouillierten Tag und Nacht. Wir hatten einen „Tender", vorne saß der Fahrer und unser Unteroffizier, hinten im offenen Auto befanden wir uns in britischer Uniform. Unsere Aufgabe: Diejenigen Beduinen zu fassen, die meistens in der Nacht die lebensnotwendige Wasserleitung sabotierten. Wir fuhren abends hinaus, um dann zu Fuß zum Ort zu gelangen, wo wir die ganze Nacht geduldig warteten. Wir hatten kein Glück und erwischten niemand, wir wirbelten zwar viel Staub auf, doch konnten wir vielleicht auch deswegen keinen einzigen Saboteur fassen. Die Beduinen kannten sich hier besser aus, aber die Anzahl der Sabotageakte ging doch zurück.

Ende November 1947 wurde mein Jahresurlaub fällig. Ich beschloss diesen bei meinem 15 Jahre älteren Bruder Erwin zu verbringen. Erwin kam 1946 nach sieben Jahren Dienst in der britischen Armee nach Jerusalem zurück und mietete im bucharischen Viertel von Jerusalem ein Untermietzimmer bei einer warmherzigen sympathischen „bucharischen" Familie. Ich fühlte mich sehr bevorzugt, denn einige meiner Freunde, die so wie ich 1943 ins Land gekommen waren, hatten in der Schoah ihre ganze Familie verloren, ich hatte aber meinen einzigen Bruder im Land.

Und so kam ich voll der Freude am 28. November nach Jerusalem. Am 29. November hörten wir gespannt im Radio die Abstimmung der UNO-Generalversammlung, mit der die Teilung des Landes beschlossen wurde. In den Strassen Jerusalems wurde getanzt, aber schon am nächsten Morgen meldete das Radio einen arabischen Überfall auf zwei jüdische Autobusse in der Nähe von Kfar Syrkin mit sieben Todesopfern. Am gleichen Tag wurde auch ein Jude an der Schnittstelle zwischen Jaffa und Tel Aviv ermordet.

Ich verabschiedete mich von meinem Bruder und fuhr noch am 1. Dezember zurück zu meiner Einheit, obwohl ich noch eine Woche Urlaub hatte. Als ich zurückkam, waren alle erstaunt und ich wurde sogar belächelt. Wir dachten es würde mit der gewohnten Routine weitergehen und zunächst schien es in Tekuma auch so.

Im Dezember 1947 kehrte der Mufti Hadj Amin el Husseini zurück ins Land, der bald in Konflikte mit anderen arabischen Führern verwickelt war. Schon am 2. Dezember 1947 begannen ein arabischer Generalstreik und Angriffe eines arabischen Mobs auf jüdische Viertel in den gemischten Städten Haifa und Jerusalem. Aus den Tageszeitungen und aus dem Radio erfuhren wir, wie dramatisch die Lage war. Kritik an der Führung der Hagana wurde laut, die man beschuldigte, nicht auf die Ereignisse vorbereitet gewesen zu sein. Auch wurde gefordert, die hebräische Presse zu zensurieren, damit die Araber nicht von der Berichterstattung profitierten. Bereits in der ersten Woche nach Bekanntgabe des Teilungsplans der UNO gab es 62 jüdische Opfer. Der Einsatz des arabischen Mobs ließ bei Juden und Arabern den falschen Eindruck entstehen, es handle sich lediglich um eine Fortsetzung der Unruhen von 1936-39. Mit solchen Aktionen glaubten die arabischen Führer ihre Unzufriedenheit mit dem Teilungsplan der UNO auszudrücken und damit die Juden und ihre Unterstützer in der Welt von der Verwirklichung der Teilung abhalten zu können. Sie sollten sich täuschen. Die Sowjetunion und ihre Verbündeten unterstützten die Errichtung eines jüdischen Staates und in den Häfen Frankreichs und Italiens missachteten die Gewerkschaften immer wieder Streiks, um das Beladen und Auslaufen von Schiffen mit illegalen jüdischen Einwanderern zu ermöglichen. Die schändliche die Rolle, die Hadj Amin el Husseini und andere Araber an der Seite Hitlers spielten, war noch nicht vergessen.

Nach den ersten ungezügelten Angriffen kamen überlegtere und besser geplante Aktionen, die von den Juden mehr Opfer forderten. Es kam zu Feuerüberfällen, zum großen Teil von Scharfschützen, insbesondere in den gemischten Städten. Während des ganzen Monats Dezember 1947 schossen Araber fortdauernd von Jaffa auf die angrenzenden jüdischen Viertel von Tel Aviv. Die Araber ließen auch durch ihnen freundlich gesinnte Briten Autobomben in dicht besiedelte jüdische Gegenden, zumeist in die Stadtmitte bringen.

In Tekuma hatte sich in der Zwischenzeit nichts geändert. Wir wohnten zu fünft in einem Zimmer einer Baracke und gingen eine Woche in der Nacht und in der nächsten am Tag auf Patrouille, immer zu Fuß. Am morgen des 13. Dezember 1947 sollte ich mit meinen Kameraden nach einer Woche des Nachtdienstes wieder am Tag ausschwärmen. Doch ich fühlte einen stechenden Kopfschmerz und fragte einen Kameraden, ob er mit mir tauschen würde. Er sagte zu und ich sah ihn nie wieder.

Am Nachmittag erhielten wir einen Anruf von der britischen Polizei in Gaza, dass die fünf Kameraden in einen Hinterhalt von Beduinen geraten und massakriert worden waren. Ich schlief in der darauf folgenden Nacht ganz allein im Zimmer, denn meine vier Mitbewohner waren nicht mehr am Leben. Ein fürchterliches Gefühl.

Am späten Nachmittag des 14. Dezember fuhren wir mit unserem Tender und einem Lastauto, um in der Polizeistation von Gaza die Leichen abzuholen. Als wir in die Nähe dieser Tegartfestung [1] kamen, standen Araber mit Gewehren in einer Entfernung von 20-30 Metern und schossen auf uns. Sie waren schlechte Schützen und trafen nur das Auto.

Angekommen in der Festung empfing uns ein britischer Polizeioffizier mit der Nachricht, dass die Leichen bereits nach Beersheva transferiert wurden. Wir baten ihn, uns eine Schutzbegleitung zu stellen, doch er weigerte sich. Zum Glück fuhren wir nach Einbruch der Dunkelheit wieder zurück, denn wieder schossen Araber auf uns, doch auch diesmal erzielten sie keinen Treffer.
Am nächsten Morgen fuhren wir nach Beersheva, hier hatte in der Polizeistation die britische Armee das Sagen, die Offiziere hatten schon von unserem Abenteuer in Gaza gehört und begrüßten uns freundlich. Wir wurden verköstigt und man bot uns Zigaretten an. Wir waren ja britische Hilfspolizisten in Uniform, und das bewog den britischen Kommandanten, uns eine Schutzbegleitung zu gewähren. Vor uns fuhr ein Tank, hinter unseren beiden Fahrzeugen zwei Panzerwagen mit britischen Soldaten. Als Araber auf uns Steine warfen, hörten wir den britischen Hauptmann, dessen Kopf in der Luke des Tanks sichtbar war, den Schießbefehl erteilen. Eine Salve aus einem Maschinengewehr wurde so abgefeuert, dass vor den Füßen der Steine werfenden Araber sich eine Staubwolke bildete und diese sofort die Flucht ergriffen. Wir brachten die Leichen in den nahen Kibbuz Mishmar Hanegev. Gefallen waren unser Unteroffizier Israel Berkovits, 19, die Soldaten Jizchak Jehoschua Schuster 19, Arie Schwarzmann 17 (er meldete sich als 16jähriger und gab an 18 zu sein) Shabtai Selins, 18 und Schmuel (Mula) Unger, 17. Ehre sei ihrem Andenken.

Als wir, die fünf Überlebenden unserer Einheit, Ende 1947 in das neu errichtete Militärlager „Mekorot" bei Nir Am transferiert wurden, waren wir froh. Endlich wurden wir einer größeren Einheit zugeordnet. Irgendwie erinnerte manches an die Aufbruchstimmung, die man in vielen Wildwestfilmen sehen kann. Manche liefen mit langen Bärten und Hüten der australischen Armee herum, sie gehörten zu den „Chajot Hanegev", die später mit auf Jeeps montierten Maschinengewehren Aktionen in arabischen Siedlungen durchführten.

Wir bewachten unseren Stützpunkt und gingen untertags oder nachts auf Patrouille, die uns in die Nähe arabischer Dörfer brachte.

Der jüdische Verkehr zwischen den Siedlungen wurde erheblich gestört und schon Anfang Januar 1948 wurden wir, die wir als britische Hilfspolizisten legal Waffen tragen durften, auf einen offenen Jeep gesetzt und fuhren vor den Karawanen in den Norden nach Rechovot oder Tel Aviv und zurück nach Nir Am. In den arabischen Dörfern wurde auf uns aus nächster Nähe geschossen, aber zunächst hatten wir Glück. Sehr bald sollte sich das ändern.

1) Benannt nach dem prozionistischen Iren Sir Charles Tegart, der zentrale Polizeistationen als Festungen errichten ließ.