Den schwarzen Fernsehbildschirm  durchdringen das Heulen von Sirenen und derbe Männerschreie. Eine Tür öffnet  sich hastig, keuchend betätigt ein verängstigter Junge den Lichtschalter. Die  Szenerie: ein alter, muffiger Keller in Wien. Die Person: der verschreckte Ferry  Dobler. Die Zeit: 10. November 1938, der Morgen nach der „Kristallnacht". Troller, am 10. Dezember 1921 in Wien als Sohn eines  jüdischen Textilhändlerehepaares geboren, wurde geprägt von der ehemaligen  Kaiserstadt, nach dem Frieden von Saint Germain nur mehr „Wasserkopf" der  geschrumpften österreichischen Republik: „Jeder Wiener ist sich bewußt, daß er  von seiner Geburtsstadt auf Lebenszeit geformt und geknetet ist wie ein Kipfel  oder Knödel, wohin immer es ihn auch verschlägt und mit welchem Reisepaß er sich  auch identifiziert."2 So nimmt es wenig Wunder, dass Troller in einem  seiner jüngsten Bücher, „Das fidele Grab an der Donau. Mein Wien 1918-1938", ein  ganz persönliches Porträt seiner Geburtsstadt in der Zwischenkriegszeit vorlegt.3 Gewährte er in seiner 1988 im Anschluss an den Erfolg der Fernsehtrilogie  erschienenen Autobiografie „Selbstbeschreibung" noch Einblicke in das  Trollersche Familienleben, vom autoritären Vater Karl und der gutmütigen Mutter  Vilma über das hitzige Fußballspiel mit Freunden auf den Straßen Wiens bis hin  zu ersten sexuellen Erfahrungen mit der Tochter seines Klassenlehrers, so legt  Troller im „fidelen Grab" eine an den kulturellen, politischen und  gesellschaftlichen Leitfiguren orientierte Geschichte der Ersten Republik vor,  hinter der der erfahrene und belesene Literat erkennbar ist. Der „Anschluss" Österreichs an Hitlerdeutschland im März 1938  bedeutete für den 16jährigen Gymnasiasten „das Ende meiner Kindheit."4 Die erste Station seiner gefahrvollen Flucht sollte das tschechoslowakische  Brünn werden, wo Georg Stefan bei seinem Onkel Norbert Troller, in der Familie  nur „Onkel Nori" genannt, unterkam. (Besagter Norbert Troller sollte später von  den Nationalsozialisten verhaftet und in mehrere Konzentrationslager gebracht  werden. Im KZ Theresienstadt war er in die sogenannte „Maleraffäre" verwickelt.5)  Doch auch Brünn erwies sich nur als kurzfristige Passage auf der Flucht vor der  NS-Rassenpolitik. Die Errichtung des „Reichsprotektorats Böhmen und Mähren" im  Frühjahr 1939 zwang Georg Stefan Troller im April dieses Jahres zur erneuten  Flucht, diesmal mit dem Zug über Italien nach Frankreich. „Paris kam mir schäbig  vor, die Bewohner muffig und kleinkariert."6 Und doch war er hier –  zumindest vorläufig – sicher vor nationalsozialistischer Willkür und  antisemitischer Agitation. Wie so viele Emigranten richtete jedoch auch Troller  ein Auge ständig auf die Heimat. „Ohne es zu merken, verwandelt man sich zum  absurden ‚Bei-unsnik’ oder ‚Chez-nousist’. Der Flüchtling leidet an Heimweh nach  einem Land, das ihn hasst, und kann dasjenige nicht lieben, das ihn immerhin  existieren läßt."7 Nur wenige Monate nach Trollers Ankunft in Paris  begann der Zweite Weltkrieg. Der 18jährige Emigrant, sein Vater und ein weiterer  Verwandter wurden als „feindliche Ausländer" in ein französisches  Internierungslager gesperrt, wiewohl sie ja als „Volksschädlinge" und „rassisch  Minderwertige" kurze Zeit vorher aus ihrer Heimat vertrieben worden waren. Im Juni 1940 überrannte Hitler den Norden Frankreichs, die  Internierungslager konnten vor den heranrückenden deutschen Verbänden nicht mehr  rechtzeitig evakuiert werden. „Wieder haben sie mich erwischt, so happig sind  die nach mir. Mit Kompressormotoren rasen sie hinter mir her, sie werden mich  noch am Ende der Welt einholen."8 Troller konnte zwar aus dem Lager  fliehen, fand sich jedoch inmitten feindlicher Truppen wieder. Ein deutscher  Landser nahm ihn auf seinem Motorrad mit Richtung Süden. Ihre Wege trennten sich  im Quartier. „‚Servas, Jud!’ ruft er mir gemütlich hinterher."9 Nach  Einsetzung der Vichy-Regierung kam Troller noch einmal für wenige Wochen nach  Paris, bevor er in Marseille seine endgültige Fahrt ins Exil Übersee antrat. Zunächst saß Georg Stefan Troller mit seinen  Schicksalsgenossen wochenlang in Casablanca fest, ehe ein Dampfer die  Flüchtlinge der nationalsozialistischen Rassenpolitik von der Westküste Afrikas  an die Ostküste Amerikas brachte. „Wir landeten in New York, ohne daß ich mich  erinnern kann, angesichts der Freiheitsstatue in Tränen ausgebrochen zu sein,  wie sich das gehörte."10 New York sollte für Troller alles andere als  die Befreiung von den Fesseln des Flüchtlingsdaseins werden. Als kleiner  Arbeiter verdiente sich der junge Europäer, geprägt vom Komment der  Donaumetropole Wien, sein Überleben in der Neuen Welt. Nichts schien seinem  bisherigen Dasein mehr zu widersprechen als der American Way of Life. Schnell  reifte der Wunsch, zu neuen Orten und damit auch zu einem neuen Leben  aufzubrechen. „Auf der Landkarte […] hatte ich Orte mit solchen magischen Namen  entdeckt wie Santa Fé und Albuquerque, da mußte ich hin. Weg von der New Yorker  Stallwärme, dem Emigrantenmief, und das hieß am Ende, weg von mir selbst. Meinem  alten Ich."11 Santa Fé als Projektion des besseren, freien Lebens  blieb eine Chimäre. „Ich schaffte es nie nach Santa Fé, der Indianerstadt."12 Dennoch oder gerade wegen ihrer Sehnsuchtswirkung war sie namensgebend für den  zweiten Teil der Corti/Troller-Trilogie.13 Amerika, das Land der  unbegrenzten Möglichkeiten, erwies sich für Georg Stefan Troller als „Mutterland  der Pleuelstangen und Nockenwellen"14, das für ihn nie Heimat und  Identifikationsobjekt werden konnte. Nach Pearl Harbour und dem Kriegseintritt  der USA meldete sich der 21jährige Europäer freiwillig zur amerikanischen Armee.  „Und daß die U.S. Army auf die Dauer nicht ohne mich auskommen konnte, war  klar."15 Als Dolmetsch für die Befragung der deutschen  Kriegsgefangenen setzte Troller Mitte 1943 nach Casablanca über. „Als Kafkas  Mistkäfer hatte ich die Alte Welt verlassen, als Gary Cooper kehre ich wieder.  Die Reconquistà hat begonnen, meine höchstpersönliche Rückeroberung…"16 Über Nordafrika, Italien und Frankreich führte Troller sein  Weg mit der amerikanischen Armee nach Deutschland, das er vom Westwall im  Saargebiet bis nach Dachau durchquerte. „Nichts von Deutschland drang, zu meiner  immensen Perplexität, an mein Herz. Und in jenem Moment, wo ich ‚aufs  Salzburgische’ niederblickte, wußte ich mit fast verzweifelter Hoffnung, es  mußte dies sein oder nichts."17 Anfang November 1945 kehrte der  heimattrunkene Troller in das Wien der Nachkriegszeit zurück, in das Wien des  „Dritten Mannes", der Ami-Liebchen und des Schleichhandels. Bald jedoch musste  er erkennen, dass seine Liebe zu Wien eine einseitige war. Nur solange er in der  Uniform der amerikanischen Besatzungsmacht auftrat, wurde ihm Respekt  entgegengebracht. Im Glauben, der junge GI verstehe kein Deutsch respektive  Wienerisch, drangen noch immer (oder: schon wieder?) die Worte „Judenbua" oder „Saujud"  an seine Ohren. Die Entnazifizierung blieb an der Oberfläche, sodass sich der  latente österreichische Antisemitismus nur verbergen musste um weiterzubestehen.  Georg Stefan Troller fand keinen Anschluss mehr an diese Nachkriegsgesellschaft.  „Noch während ich der Heimat nachlaufe, wende ich mich innerlich von ihr ab."18 Nach Ende seiner Dienstzeit und dem unrühmlichen Zerbrechen einer Wiener Liebe  ging Troller in die USA zurück. Es folgten Studien an den Universitäten in Los  Angeles und Berkeley, ausgedehnte Reisen in den Süden Amerikas, bei denen er  auch einen Zwischenstopp in Santa Fé, „meiner Traumstadt aus New Yorker  Emigrantenjahren"19, machte, sowie längere Aufenthalte in Mexiko und  Guatemala. Doch die Liebe zu Europa zwang Troller in die Alte Welt zurück,  zunächst mit einem Fulbright-Stipendium an das Theaterwissenschaftliche Institut  der Universität Wien, dann an die Sorbonne in Paris. Hier sollte er in der Folge  heimisch werden. Wie bei so vielen Medienpersönlichkeiten dieser  Nachkriegsphase führte auch Georg Stefan Trollers Weg über das Radio zum  Fernsehen. Von 1962 bis 1971 berichtete er für den Westdeutschen Rundfunk (WDR)  in seinem Fernseh-Feature Pariser Journal aus der französischen  Hauptstadt und brachte damit persönliche Eindrücke der Seine-Metropole in die  deutschen Wirtschaftswunderwohnzimmer. Nach 58 Folgen der äußerst erfolgreichen  Dokumentarreihe wechselte Troller 1972 zum Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF),  für das er 70 Personenbeschreibungen drehte und damit einen neuen Stil  des Dokumentarismus ins deutsche Fernsehen brachte.20 Unter den  Porträtierten finden sich Roman Polanski, Ingrid Bergman, Georges Simenon oder  Arthur Rubinstein, denen Troller seine literarische Reverenz in dem Buch „Ihr  Unvergesslichen. 22 starke Begegnungen" erwiesen hat.21 Troller lässt  immer wieder mit Büchern und Filmen aufhorchen, zuletzt etwa mit dem bereits  erwähnten Wien-Erinnerungen „Das fidele Grab an der Donau" und mit „Dichter und  Bohemiens. Literarische Streifzüge durch Paris"22 oder den beiden  sehr persönlichen Filmwerken Selbstbeschreibung, eine semidokumentarische  Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben, und Tage und Nächte in Paris.  Nach diesem Porträt seines Lebensumfelds arbeitet Georg Stefan Troller derzeit  an der Fortführung der Stadtannäherungen, diesmal in seiner Geburtsstadt Wien  für Tage und Nächte in Wien. Anfang der 1970er, also etwa zeitgleich mit den ersten  Personenbeschreibungen, begann die filmische Zusammenarbeit Georg Stefan  Trollers mit Axel Corti. „Paris, 21. Mai 1973: Letzte Version meines  Dokumentarspiels ‚Der junge Hitler’ mit dem Orientexpreß an Regisseur Axel Corti  nach Wien geschickt. Mein erstes Drehbuch."23 Vier weitere Arbeiten  für Corti sollten bis Mitte der 1980er folgen. Die Ausstrahlung des letzten  Teils der Trilogie Wohin und zurück, der unter dem Titel Welcome in  Vienna auch regulär in den Kinos lief, fiel in die Zeit der  Waldheim-Debatte. Im Rahmen der Filmfestspiele von Cannes entbrannte eine  hitzige Diskussion über Österreichs Nachkriegsgeschichte und die hiesige  Verdrängungsmentalität. „Zu meiner Überraschung ist der gewaltige Saal gesteckt  voll. Axels dichte Atmosphäre des Kriegsendes vom Mai ’45, mit Schubert  untermalt, schafft gleich in den ersten Filmminuten herzbeklemmende Anteilnahme.  […] Zuletzt Diskussion, auf eine Viertelstunde angesetzt. Eine geschlagene  Stunde später, als der Saal geräumt werden muß, ist noch immer das halbe  Publikum da." Und der Erfolg sollte anhalten. In Pariser Kinos war Welcome in  Vienna 18 Monate lang zu sehen. „Wird dort geradezu ein Kultfilm. Auch in  Wien zeigte ihn ein Kino viele Wochen. Ich war zufällig da und kaufte mir ein  Billet, natürlich inkognito. Es erkannte mich auch niemand. Junges Publikum, das  atemlos und leicht überfordert hinsah. Am Ende nachdenkliches Schweigen, bei den  Mädchen sogar Tränen. Für mich ein winziges Stück Heimkehr."24 Anmerkungen 1 Hufen, Fritz/Jäschke, Th. (Hg.): Ausgestoßen.  Schicksale in der Emigration. Drei Fernsehfilme von ZDF, SRG, ORF. Wilhelm  Goldmann Verlag. München 1982. 2 Troller, Georg Stefan: Selbstbeschreibung. Rasch und  Röhring. Hamburg 1988, S. 8. 3 Troller, Georg Stefan: Das fidele Grab an der Donau.  Mein Wien 1918 – 1938. Artemis und Winkler. Düsseldorf / Zürich 2005. 4 Troller, Selbstbeschreibung, S. 62. 5 Troller, Norbert: Theresienstadt. Hitler’s Gift to  the Jews. Translated by Susan E. Cernyak-Spatz. Edited by Joel Shatzky. The  University of North Carolina Press. Chapel Hill / London 1991. 6 Troller, Selbstbeschreibung, S. 85. 7 Troller, Selbstbeschreibung, S. 91. 8 Troller, Selbstbeschreibung, S. 104. 9 Troller, Selbstbeschreibung, S. 107. 10 Troller, Selbstbeschreibung, S. 132. 11 Troller, Selbstbeschreibung, S. 137. 12 Troller, Selbstbeschreibung, S. 143. 13 Troller, Georg Stefan: Santa Fe. Ein Drehbuch.  Mitarbeit: Axel Corti. Residenz Verlag. Salzburg / Wien 1985. 14 Troller, Selbstbeschreibung, S. 148. 15 Troller, Selbstbeschreibung, S. 168 f. 16 Troller, Selbstbeschreibung, S. 180. 17 Troller, Selbstbeschreibung, S. 232. 18 Troller, Selbstbeschreibung, S. 240. 19 Troller, Selbstbeschreibung, S. 283. 20 Marschall, Susanne / Witzke, Bodo: „Wir sind alle  Menschenfresser". Georg Stefan Troller und die Liebe zum Dokumentarischen.  Gardez! Verlag. St. Augustin 1999. 21 Troller, Georg Stefan: Ihr Unvergeßlichen. 22 starke  Begegnungen. Artemis und Winkler. Düsseldorf 2006. 22 Troller, Georg Stefan: Dichter und Bohemiens.  Literarische Streifzüge durch Paris. Artemis und Winkler. Düsseldorf 2003. 23 Troller, Georg Stefan: Personenbeschreibung.  Tagebuch mit Menschen. Rasch und Röhring. Hamburg 1990, S. 244.