Wie in anderen europäischen Staaten auch, waren Juden in Österreich bis ins 18. Jahrhundert nicht als wehrwürdig anerkannt. Es war ihnen also untersagt, ins Militär einzutreten. In Kriegszeiten (wie im Dreissigjährigen Krieg) wurden freilich immer wieder Menschen aus der jüdischen Bevölkerungsgruppe zu militärischen Hilfsdiensten herangezogen. Doch es war die seltene Ausnahme, dass Juden als Kämpfer eingesetzt wurden.
Diese Regelung galt indessen nur für Angehörige der jüdischen Religion. Sobald ein Jude zum Christentum übergetreten und getauft war, hatte er auch die Erlaubnis, im kaiserlichen Heer zu dienen, und selbst die Offiziersränge standen ihm offen.1
Wohlhabende Juden, die an ihrer Religion festhielten, unterstützten die Kriegszüge des Kaisers durch finanzielle und anderwärtige Ressourcen. Samuel Oppenheimer wirkte in Wien als Hofbankier und Hoflieferant. Er versorgte die österreichischen Truppen während der Türkenkriege und am Anfang des Spanischen Erbfolgekrieges. „Retter aus Türkennot", so lobte ihn selbst Prinz Eugen. Beim Tode Oppenheimers, der im Übrigen auch den Bankrott seiner Firma bedeutete, schuldete ihm der Staat sechs Millionen Gulden.2 Doch noch im 18. Jahrhundert stellte Maria Theresia mit Entschiedenheit die Wehrunwürdigkeit der Juden fest: „Von ihrer Zulassung zum Heer kann keine Rede sein!"3
„Nutzbarmachung" in der Aufklärung
Im Zeichen der Aufklärung trat unter Joseph II. eine Änderung der Situation ein. Die jüdische Bevölkerung sollte einerseits rechtlich geschützt werden (1782 Toleranzpatent), andererseits sollte sie von der Bevölkerungsmehrheit so weit als möglich assimiliert werden. Schon 1781 belegte ein anonymer Autor in Prag die Gründe, warum Juden u.a. in der Armee dienen sollten. In seiner Broschüre „Beleuchtung der Materie über die Duldung der Juden von einem Freund der Wahrheit, Menschlichkeit und Aufklärung" untermauerte er seine Forderung nach Militärdienst für Juden mit den Worten, „damit sie endlich einmal aufhören, ein besonderes Volk, einen statum in statu zu bilden". Josephs II. Politik wollte nicht eine Gleichberechtigung der Juden, sondern vielmehr „Toleranz", also „Duldung".4
Am 20. August 1787 unterbreitete Graf Brigido Kaiser Joseph II. einige Vorschläge betreffend die weitere Behandlung der jüdischen Bevölkerung. Unter Punkt 3 behandelte der Graf auch den Militärdienst: Wie alle anderen Untertanen sollten „die Juden conscribirt und zum Militärfuhrwesen- und Stuckknechtdienst abstellt werden". Erklärend fügte er hinzu:
„Wenn gleich ein noch herrschendes Vorurtheil unter dem Militär, sie unter den Gewehrstand selbst zu nehmen, zur Zeit nicht räthlich sein sollte, so wird solches eben durch diese Veranlassung sich nach und nach verlieren, und dann kein Bedenken mehr obwalten, ob ein Jude nicht auch unter dem Gewehre dienen könne, wozu er nach seinen körperlichen Fähigkeiten ebenso gut als jeder andere gesunde Mensch taugt, und daher in sich billig ist, dass er eben mit andern Menschen gegen den Staat gleiche Verbindlichkeiten tragen, mithin auch zu dessen Beschützung einwirken solle."5
Joseph II. erliess am 13. Februar 1788 jene Resolution, nach welcher alle zum Militärdienst tauglichen Juden „wenigstens von Anfang zu dem Fuhrwesen, dann zu der Artillerie als Stuckknechte" einzuteilen wären, „gleich bei jetzigem Kriege" (gegen die Türken).6 Mit gleichem Datum schrieb der Kaiser an den Hofkriegsrat, dass „der Jude als Mensch, als Mitbürger des Staates, zu allem demjenigen verwendet werden" sollte, „was jedem Andern obliegt". Seine Religion würde „dadurch nicht gekränkt", weil es ihm freistehe, „das zu essen, was er will, und zu Nichts anderem am Sabbat verhalten werden muss, als was die Noth fordert und was auch ein Christ am Sonntag zu thun schuldig ist".7
Das Gesamturteil über Joseph II. und seine Politik Minderheiten gegenüber kann im Grossen und Ganzen positiv ausfallen. Einerseits bewies er Weitblick, andererseits blieb er ein Kind seiner Zeit. Joseph II. befreite die Jüdinnen und Juden „von der Schmach des gelben Flecks, von dem Leibzoll etc." und erweckte dadurch ihr „Selbstbewusstsein und das Ehr-gefühl" zu neuem Leben. Summa summarum: Der Kaiser beseitigte nicht alle Lasten, aber er tat vieles für die jüdische Bevölkerung. Und dies zu einer Zeit, als die Juden durchaus noch in weiten Teilen Europas „hart bedrückt und geknechtet wurden."8
Freilich war die Tätigkeit der Juden als kaiserliche Soldaten zunächst auf das militärische Fuhrwesen (den sogenannten „Train") beschränkt. Diese Waffengattung galt im Vergleich mit den anderen als weniger geachtet, und bereits zuvor waren Juden schon mehr oder weniger regelmässig zu Vorspann- und Fuhrwerksdiensten herangezogen worden.9 Doch nun wurde ein Schritt in eine neue Richtung getan. Wer in die Zukunft schaute, dem wurde klar, dass die Juden nur dann in der Lage sein würden, vollen Anspruch auf Bürgerrechte zu erheben, wenn sie auch in der Lage wären, sämtliche Bürgerpflichten zu erfüllen. So konnte keine finanzielle Leistung letztlich die „Blutsteuer" ersetzten, die schliesslich auch neue Rechte bringen sollte.10
Pflicht, Gehorsam und Emanzipation
Die Reaktionen der jüdischen Gemeinden auf die Öffnung des Militärs für das Judentum waren aller-dings durchaus unterschiedlich. Die orthodoxen Gemeinden im Osten der Monarchie fürchteten, dass viele junge Menschen ihrer Umgebung entfremdet würden. Dagegen begrüssten die stärker dem Libe-ralismus zugewandten Juden diese Massnahme als wesentlichen Schritt hin zur rechtlichen Gleichstellung.11 Der jüdische Soldat wollte für Tapferkeit wie auch Treue gegenüber dem habsburgischen Herrscherhaus stehen.
Oberrabbiner Ezechiel Landau forderte von den neuen jüdischen Rekruten in Prag12, sie sollten sich in ihr Schicksal fügen, „ohne Murren" folgen und weiter „treu aus Pflicht und geduldig aus Gehorsam" sein. Dabei sollten die angehenden Soldaten freilich niemals ihre Religion und deren Pflichten vergessen. Indem sie sich und der gesamten jüdischen Nation „Dank und Ehre" erwerben würden, könnte man zugleich sehen, dass die „bisher unterdrückte Nation ihren Landesfürsten und ihre Obrigkeit liebe und im Falle der Noth ihr Leben aufzuopfern bereit" ist. So würden die pflichtgetreuen jüdischen Soldaten „auch jener Fesseln entledigt werden, die uns zum Theil noch drücken".13
Ein weiteres Beispiel für die Hoffnung, dass dem jüdisches Volk durch Tapferkeit und Treue sein Platz in der menschlichen Gesellschaft zuteil und untermauert werde, ist die im Jahr 1789 veröffentlichte Schrift des aus jüdischer Familie stammenden Joseph Fischhof „Der Nationalkummer oder Gespräch zwischen zween jüdischen Studenten über die Kriegsdienste der Juden in den k. k. Staaten, von einem Israeliten". Darin forderte er seine „Religions-genossen auf, dem Staat soviel als möglich auch mit ihrem Blute zu dienen und das Vaterlande so gut als ihre christlichen Mitbrüder zu vertheidigen". Der Hintergrund für diesen Appell war der neue Türkenkrieg.
Das Jahr 1789 brachte insofern eine bedeutende Änderung, als nun jüdische Soldaten nicht nur beim Fuhrwesen, sondern auch bei der Infanterie dienen konnten.14 Ebenfalls 1789 wurde für diese jüdischen Soldaten eine eigene Eidesformel festgelegt, die sie anstatt der für Christen üblichen Formel15 lautete: „... So wahr uns Gott durch die Verheissung des wahren Messias und seines Gesetzes und die zu unseren Vätern gesandten Propheten zum ewigen Leben helfen werde." Dieser Schwur wurde auf die Thora abgelegt.16
Pionierrolle Österreichs
Österreich zählte zu den ersten Ländern Europas, die in der Neuzeit den Militärdienst für Juden geöffnet hatten.17 Seit den Napoleonischen Kriegen standen den Juden zwar alle Waffengattungen offen, dennoch gab es ihnen gegenüber noch immer Ressentiments. Noch 1818 erging vom Hofkriegsrat der Vorschlag, jüdische Soldaten sollten „wegen der minderen Angemessenheit" bei der Kavallerie, der Artillerie etc. nicht verwendet werden.18 Tatsächlich blieb die Zahl der bei der Kavallerie oder Jägertruppe verwendeten jüdischen Soldaten gering. Dagegen waren sie im Fuhrwerksdienst, im Sanitätsdienst und bei der Verwaltung vergleichsweise zahlreich vertreten.19
Auf alle Fälle: Jüdische Soldaten gehörten von 1789 an in der Armee zum Alltag. Im Jahr 1815 fiel auch das Eheverbot für Juden im Militär. Bis dahin hatten sie nur in Ausnahmefällen Heiratserlaubnis erhalten, nun wurden die Juden ihren christlichen Kameraden auch in dieser Beziehung gleichgestellt. Ferner stellte sich die Frage, ob Juden Offiziere und somit auch Vorgesetzte christlicher Soldaten werden konnten. Diese Frage wurde zunächst entschieden verneint, und zwar in der Habsburgermonarchie wie in anderen Staaten Europas. Im Jahr 1789 wurde ein Ansuchen des Prager Juden Moyses Zier um Erlangung des Offiziersgrades abgelehnt. In den Jahren 1795 und 1799 stiessen ebensolche Ansuchen von jüdischen Ärzten auf taube Ohren.
Zwar lässt sich heute nicht mehr genau feststellen, wann tatsächlich der erste jüdische Soldat zum Offizier ernannt wurde,20 doch etwa um das Jahr 1808 dürfte man die Offiziersränge letztlich auch für jüdische Soldaten geöffnet haben. Im Jahr 1815 erteilte der Hofkriegsrat auf eine diesbezügliche Anfrage folgende Erklärung:
„Es unterliegt keinem Anstande, dass hoffnungsvolle junge Leute Israelischer Nazion ... als Kadetten oder als ex-propiis Gemeinde bei den Regimentern assentirt werden können, wo sodann ihre Vorrückung zu Officiers-Chargen einzig nur von ihrer Verwendung und Brauchbarkeit abhängig werde, da nach den humanen Grundsätzen der österreichischen Regierung die Region keinen Unterschied mache, und bereits mehrere Individuen Israelischer Nazion als Officiere und Stabsofficiere in der k. k. Armee dienen."21
Summa summarum ist es nicht falsch, zu behaupten: „Die Monarchie übertrumpfte die anderen europäischen Mächte noch dadurch, dass Juden auch im Offizierskorps zugelassen wurden."22
Revolution und Neoabsolutismus
Es wurde bereits aufgezeigt: Das Judentum in der Habsburgermonarchie war alles andere als ein homogenes Ganzes. Daher erscheint es von Interesse, kurz auch auf jene Vertreter des Judentums einzugehen, die in den Jahren 1848/49 gegen das kaiserliche Militär und die offizielle Politik auftraten. In Österreich traten viele Juden auf die Seite der revolutionären Nationalgarde, die gegen das kaiserliche Heer kämpfte. Unter den ersten Toten der Revolution befanden sich auch zwei Juden: der Technikstudent Karl Heinrich Spitzer und der Webergeselle Bernhard Hirschmann.
In den Kriegen von 1848/49 fochten jüdische Soldaten im kaiserlichen Heer wie auch in der ungarischen Nationalarmee, der Honvéd. Diese betrachtete ihre Erhebung als Widerstand gegen die österreichische zentralistische Herrschaft über Ungarn. Die politische Interessenslage führte zu einem Zusammenschluss zwischen den ungarischen Liberalen und den reformistischen Juden. Letztere unterstützten die nationalistischen Ziele der Ungarn und hofften, über die Konstitution die vollständige Emanzipation zu erlangen. „In der Honvéd-Armee wurden zahlreiche Juden zu Offizieren ernannt, ein oder zwei brachten es sogar bis zum Major, dem höchsten Rang, den ein Nicht-Berufssoldat in der Revolutionsarmee erreichen konnte."23 So dienten Tausende ungarische Juden in der Honvéd-Armee (wobei allerdings auch mindestens ebenso viele in der habsburgischen Armee ihren Dienst versahen).
Die ersten Jahre nach der Niederschlagung der Wiener wie auch der ungarischen Revolution waren von den Versuchen des jungen Kaisers Franz Joseph geprägt, eine „neoabsolutistische" Herrschaft zu errichteten.
Die zahlreiche Beteiligung von (Reform-)Juden an den Aufständen führte zunächst dazu, sie als „gefährliche" und unzuverlässliche Demokraten einzustufen.24 Die österreichische Armeeführung liess in der Folge einige jüdische Gemeinden in Ungarn streng bestrafen, eine Anzahl von ungarischen Juden wurde eingekerkert. Andererseits dürften jüdische Soldaten, „die der Dynastie treu ergeben waren", keinerlei Diskriminierung erlitten haben.25
Trotz verschiedenartiger Probleme stieg die Zahl der jüdischen Soldaten an. In den Kriegen 1859 und 1866 betrug sie schätzungsweise 10.000 bis 20.000 Mann (einige Quellen sprechen sogar von geschätzten 30.000 Mann). In Wien wurde 1866 sogar ein eigenes „Hilfs-Comité für Soldaten israelitischer Religion" gegründet, das für bedürftige jüdische Soldaten und deren Angehörige sorgte. Im Jahr 1859 standen nach zeitgenössischen Angaben 157 jüdische Offiziere in den Reihen der kaiserlichen Armee. Im Jahr 1859 standen nach zeitgenössischen Angaben 157 jüdische Offiziere in den Reihen der kaiserlichen Armee, im Jahr 1866 waren es 200.26
Zusammengefasst: Jüdische Soldaten leisteten in der k. k. Armee so manchen blutigen Dienst und verwiesen dadurch auf ihr Recht, als Bürger israelitischen Glaubens voll und ganz mit den übrigen Staatsbürgern Österreich-Ungarns gleichgestellt zu werden.
1 Vgl. Schmidl, Erwin A.: Juden in der k. (u.) k. Armee 1788-1918, Studia Judaica Austriaca XI, Eisenstadt: Österreichisches Jüdisches Museum in Eisenstadt, 1989, S. 28f.
2 Vgl. Bruckmüller, Ernst (Hrsg.): Österreich Lexikon/In drei Bänden, Bd.2/2004, S. 523.
3 Schmidl 1989, S, 32.
4 Schmidl 1989, S. 30.
5 Bericht von Graf Brigido, zit. nach: Wolf, G.: Juden im österreichischen Heere/Eine historische Skizze: Österreichische Militärische Zeitung, 1869, X. Jahrgang, Bd. 2, Wien: Verlag der Redaktion, 1869, S. 127f.
6 Resolution Josephs II. vom 13. Februar 1788, zit. nach: Wolf, 1869, S. 128.
7 Schreiben Josephs II. vom 13. Februar 1788 an den Hofkriegsrat, zit. nach: Wolf, 1869, S. 128).
8 Wolf 1869, S. 126.
9 Vgl. Schmidl 1989, S. 33.
10 Vgl. Wolf 1869, S. 129.
11 Vgl. Schmidl 1989, S. 52f.
12 Dies wurde in der Broschüre „Soll der Jude Soldat werden?", Wien 1788 festgehalten.
13 Ansprache des Oberrabbiners Ezechiel Landau an die neuassentierten Soldaten, zit. nach: Wolf 1869, S. 129f.
14 Vgl. Schmidl, 1989, S. 37.
15 „... So wahr mir Gott helfe und das Heilige Evangelium, durch Jesum Christum, unseren Herrn!"
16 KA: HKR 1789 9-246, zit. nach Schmidl 1989, S. 37.
17 Vgl. Schmidl 1989, S. 41.
18 KA: HKR K1-5/109, zit. nach Schmidl 1989, S. 48.
19 Vgl. Schmidl 1989, S. 48.
20 Vgl. Schmidl 1989, S. 50.
21 KA: HKR 1815 G 1 7/657, zit. nach Schmidl, 1989, S. 50.
22 Deák, István: Der k. (u.) k. Offizier/1848-1918, Wien-Köln-Weimar: Böhlau Verlag, 1991, S. 208.
23 Deák 1991, S. 209.
24 Vgl. Schmidl 1989, S. 54.
25 Deák 1991, S. 209.
26 Vgl. Schmidl 1989, S. 54f.