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Die Initiative Respekt.

Tina WALZER

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Im November 2012 findet die mit Spannung erwartete Wahl in der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG Wien) statt. David stellt in dieser Ausgabe die Initiative Respekt von Patricia Kahane und Amos Davidovits vor. Für unsere Rosch HaSchana-Ausgabe planen wir Interviews mit Oskar Deutsch (Atid) und Martin Engelberg (Chaj - Jüdisches Leben).

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Mitglieder der Initiative Respekt, von links nach rechts:

Thomas Feiger, Paul Sills, David Salomonovitz, Bernhard Segall, Sonia Feiger, Lewi Ilkanaev, Ruth Bachmayer, Michael Kalwil, Robert Wilder, Amos Davidovits, Francois Schall, Joana Radzyner, Eva Beresin, Daniel Gallner, Ilana Ventura, Julie Klein, Patricia Kahane, Dorly Singer. Mai 2012. Foto: Mit freundlicher Genehmigung Linda Martonosi.

DAVID: Frau Kahane, Herr Davidovits, zu den kommenden Wahlen der Israelitischen Kultusgemeinde Wien treten Sie mit einer neuen Wahlliste an, der Initiative Respekt. Was kann man sich darunter vorstellen?

Patricia Kahane: Wir sind eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von säkular bis religiös und von sozialdemokratisch bis konservativ. Viele unserer Mitglieder sind seit Jahren ehrenamtlich in der IKG Wien tätig.

Wieso werden Sie gerade jetzt aktiv?

Kahane: Im Laufe unserer langjährigen Arbeit in verschiedenen Bereichen unserer Gemeinde hat sich langsam eine ziemliche Frustration eingestellt. Vor einem Jahr war noch nicht so klar, dass Ariel Muzicant sein Amt als Präsident der IKG Wien zurücklegen wird. Wir wussten aber, es kommen Wahlen, und es kommt die Gelegenheit, zu versuchen, jetzt gestaltend und korrigierend einzugreifen.

Wie kamen Sie denn zu dem Namen Initiative Respekt? Was bedeutet das?

Kahane: Für uns alle, Mitglieder der IKG Wien mit und ohne offizielle Funktionen, ist eines besonders störend: der mangelnde Respekt, die Art des Umgangs miteinander.

Sie haben für Ihre Partei, ihre Gruppierung, bewusst einen deutschen, und keinen hebräischen Namen gewählt? Die Liste von Oskar Deutsch heisst ATID (hebr. Zukunft), jene von Martin Engelberg nennt sich CHAJ (hebr. Leben), dann gibt es noch die Misrachi (hebr. Osten bzw. „religiöses Zentrum") und die Sefardim. Wollten Sie sich von den anderen abheben?

Kahane: Wir haben einen deutschen Namen gewählt, weil wir alle Wiener Juden sind und unsere gemeinsame Sprache nun einmal Deutsch, und nicht Hebräisch, ist. Die IKG Wien ist unserer Meinung nach eine Verwaltungsinstitution, sie übt per se keine religiöse Funktion aus. Diese liegt vielmehr beim Rabbinat.

Viele beschäftigt das nun bereits seit Monaten: Wen werden Sie denn als Präsidentschaftskandidatin oder -kandidaten nominieren?

 

Kahane: Wir wollen in erster Linie nicht einen Präsidenten stellen, sondern unsere Expertise, legitimiert durch den Wählerwillen, in die Entscheidungsgremien einbringen. Es ist nicht wichtig, wer Präsident oder Präsidentin ist, es kommt auf das Plenum und die Kommissionen an. Das Plenum ist das höchste Gremium der IKG - nicht das Präsidium. Jemand aus unserer Gruppe wird natürlich zu gegebener Zeit den ersten Listenplatz einnehmen, pro forma wäre das dann der Kandidat für den Präsidententitel. Wir glauben, wenn alles optimal läuft, könnten wir die drittstärkste Fraktion werden.

In einem Ihrer Folder sprechen Sie von einer dringend notwendigen wirtschaftlichen Konsolidierung der IKG Wien und konstatieren dort eine Schuldenpolitik. Worum geht es in ihrem politischen Programm?

Amos Davidovits: Die Subventionen vom Staat werden zwangsläufig sinken, mehr Sozialhilfe wird nötig werden: Die IKG wird da verstärkt einspringen müssen. Sie hat aber bereits jetzt Schwierigkeiten, eine ausgeglichene Bilanz zu erreichen. Das wird in Zukunft noch viel schwieriger werden. Daher soll die Effizienz der IKG verbessert werden.

Wie wollen Sie die Gegebenheiten ändern?

Davidovits: Wir wollen erreichen, dass die richtigen Prioritäten gesetzt werden. Wir wollen aber auch unsere Ziele Menschlichkeit und Respekt erreichen, ohne dass zusätzlich viel Geld ausgegeben werden muss. Es soll nur richtig ausgegeben, vor allem gerecht verteilt werden.

Sie führen als Beispiel auf Ihrer Internetseite den Umbau des Friedhofswärter-Hauses auf dem jüdischen Friedhof Währing an. Was stört Sie daran?

Davidovits: Wir sind daran interessiert, dass der Friedhof als Denkmal präsentiert und dass seine Geschichte dokumentiert wird. Aber: Ein zusätzlicher Beetsaal ist dort, unserer Meinung nach, unnötig. 500 Euro pro Monat sollen laut Ariel Muzicant die Kosten für einen Friedhofswärter und für den Betrieb des Betsaales betragen. Man wird dort aber dann auch noch einen Schammes und vielleicht einen Vorbeter brauchen. Das kann sich mit 500 Euro kaum ausgehen. Ausserdem existiert sowohl bei Lauder Chabad in der nahegelegenen Hofzeile im 19. Bezirk eine Synagoge, als auch in der Grünangergasse im 9. Bezirk. Der Währinger Friedhof liegt genau dazwischen. Beide Einrichtungen verfügen über Rabbiner, Lauder Chabad hat sogar Platz für 400 Personen.

Unserer Meinung nach wäre es klüger gewesen, das gesamte Haus als Museum und Informationszentrum zu planen, das am besten von der Gemeinde Wien als Museum der Stadt Wien betrieben würde. Das wäre ein Beispiel dafür, wie man durch andere Prioritäten Geld sinnvoller ausgeben könnte. Am Schlimmsten ist jedoch, dass darüber keine offene Diskussion mit den IKG-Mitgliedern geführt wurde.

Kahane: Ich finde, ein geraderer und offenerer Weg wäre besser, um auch die öffentliche Hand zur Mitfinanzierung zu motivieren.

Sie haben auch die Forderung nach Transparenz in Ihr Programm aufgenommen. Was meinen Sie damit?

Kahane: Bei der Transparenz geht es um den Umgang untereinander, der wirklich unbefriedigend ist. Das Präsidium fungiert als Machtzentrum, alle anderen Organe werden quasi zu Anhängseln - vieles wird dem Kultusvorstand erst nachträglich zur Genehmigung vorgelegt, und es findet keine intellektuelle Auseinandersetzung statt. Die Lösungen werden vorgegeben, über sie wird dann unter mehr oder weniger offenem Fraktionszwang abgestimmt.

Wie wollen Sie die bestehende Routine verändern?

Kahane: Unser Ziel ist es, die Arbeitsweise in den Gremien so zu verändern, dass sie wieder den Statuten entspricht. Die Kultusvorstände brauchen rechtzeitig vor den Sitzungen vollständige Unterlagen, um informierte und verantwortungsvolle Entscheidungen treffen zu können. Eine Tischvorlage während der Sitzung kann dazu nicht ausreichen. Ausserdem gibt es viele nicht religiöse Gemeindemitglieder. Sie nehmen die IKG zumeist nur für die religiösen Meilensteine des Lebens (Brit Mila, Bar/Bat Mitzwa, Hochzeit, Beerdigung) in Anspruch. Ein offener, ehrlicher Umgang mit allen würde sie möglicherweise motivieren, sich mehr in die Geschicke der Gemeinde einzubringen. Es ist nämlich unser aller Gemeinde!

Wie schätzen Sie die Zukunft der IKG Wien ein?

Kahane: Nach dem sehr starken Präsidenten Muzicant wird es in jedem Fall gravierende Änderungen in der Struktur der IKG geben, die sich auf vielen Ebenen auswirken werden. Ein Auseinanderbrechen der IKG Wien ist aber nicht zu erwarten.

Wie ist denn Ihre Haltung gegenüber Or Chadasch? Die progressive jüdische Gemeinde hat ja in Wien eine schwierige Position.

Davidovits: Wir sind offiziell eine orthodoxe Gemeinde, da ist der Spielraum relativ gering, und wir sind eine sogenannte Einheitsgemeinde. In den USA zum Beispiel ist das anders, dort leben Millionen Juden in verschiedensten Gemeinden. Das lässt sich nicht einfach auf Wien umlegen. Die Kontakte der heutigen IKG zur liberalen Gemeinde Or Chadasch sind informell und teilweise durchaus positiv - die IKG unterstützt ihre Synagoge, und wichtige Ereignisse können im Gemeinde-Insider angekündigt werden. Nichtjuden können jedoch heute nicht in die IKG aufgenommen werden. Deshalb sind die möglichen Lösungen für Or Chadasch nicht befriedigend.

Wie schätzen Sie die politische Rolle der Sefardim ein?

Kahane: In der bucharisch-sefardischen Gemeinde steht ein Generationswechsel bevor, der für die Entwicklung der gesamten Gemeinde positiv sein wird. Die ersten beiden Zuwanderergenerationen waren zu einem Teil, migrationsbedingt, sozial eher schwach und auf die Hilfe der IKG angewiesen. Die Jungen, young professionals, werden eine eigenständige Politik machen. Das bestehende Koalitionsabkommen mit ATID im Kultusrat (Subventionen gegen Handheben) wollen viele nicht mehr.

Sie machen sich auch Gedanken um die Jugend der Orthodoxie. Was könnte die IKG beitragen, ihr mehr Wege zu eröffnen?

Kahane: Es gibt orthodoxe Eltern, die ihren Kindern mehr bieten wollen als Cheder und Jeschiwa, neben der religiösen Erziehung also auch ein „weltliches Studium" an einer Universität. Wir wollen Wege suchen, ihnen das zu ermöglichen. Es geht hier nicht darum, dass die IKG noch eine eigene Schule gründen soll, sondern um Unterstützung, ideell und mit Know-how. Die ZPC [Zwi Perez Chajes-Schule; Anm. d. Red.] hat hier viel Erfahrung und Wissen, das sie teilen könnte.

Ein weiteres Thema wäre eine Schul-Initiative für nicht religiöse Kinder, die auch für nicht-jüdische Kinder offen ist, wie zum Beispiel in Frankfurt und Berlin. Idealerweise wäre das eine Schule der Stadt Wien, andernfalls eine private Elterninitiative.

Aber gibt es nicht schon genug jüdische Schulen in Wien? In der Malzgasse und in der Tempelgasse bestehen ja ebenfalls Bildungseinrichtungen.

Kahane: Das sind orthodoxe Schulen, wo die Ausbildung mit dem 13. Lebensjahr bzw. der Schulpflicht endet. Die Matura können Kinder dann nur auf einer Jeschiwa im Ausland machen. Heute würden sich viele Familien aber wünschen, dass die Kinder zu Hause bleiben können, sie wollen so junge Kinder nicht mehr ins Ausland ins Internat schicken. Die IKG sollte hier eine Expertengruppe bilden und klären, wie die Kinder eine Ausbildung in den profanen Fächern bekommen können, ohne die besonders schwere Externisten-Matura machen zu müssen. Vor allem die Geschicke der orthodoxen Mädchen hängen oft in der Luft. Mit der jetzigen Ausbildung können sie praktisch nur Kindergärtnerin oder Religionslehrerin werden. Wären die jungen Frauen auch „profan" ausgebildet, könnten sie mehr zum Familieneinkommen beitragen.

Wie sehen Sie die Rolle der IKG Wien in der österreichischen Gesellschaft?

Kahane: Die Zeit der Beschränkung auf die Opferrolle ist vorbei, wir sind hier Staatsbürger - wir sind zwar Wenige, aber wir werden gehört. Deshalb sollte die IKG unserer Meinung nach kontinuierlich Öffentlichkeitsarbeit machen, indem sie zum Beispiel eine professionelle Pressestelle schafft. Auch die Präsenz der IKG in der jüdischen Welt könnte verbessert werden, unsere Gemeinde sollte in internationalen jüdischen Organisationen viel stärker vertreten sein.

Sie buchstabieren IKG mit Innovativ - Kompetent - Geradlinig. Worauf sind Sie stolz, was möchten Sie in die Gesellschaft einbringen?

Kahane: Die IKG Wien muss ein wertvoller Teil der österreichischen Gesamtgesellschaft werden.

Davidovits: Damit die IKG Wien als ein Teil der Gesamtgesellschaft akzeptiert wird, müssen neue Wege beschritten, neue Methoden eingeführt werden, eine grundlegende Reform von innen heraus - aber keine Revolution.

Kahane: Das gelingt der IKG auch bisher schon in Teilbereichen. ESRA beispielsweise ist heute ein in Mitteleuropa führendes Zentrum für posttraumatische Belastungsstörungen, und das Thema Flüchtlinge wird noch lange aktuell sein. Ähnlich könnte man sich auch in anderen Bereichen spezialisieren und führende Positionen einnehmen.

Frau Kahane, Herr Davidovits, vielen Dank für das Gespräch!

  

Amos Davidovits, 61, Unternehmer, seit 10 Jahren in der Kontrollkommission der IKG aktiv.

Patricia Kahane, 58, Unternehmerin, seit 1988 im Maimonides Zentrum und der Sozialkommission der IKG aktiv.

 

Weitere Informationen: www.initiative-respekt.org; www.facebook.com/IKG.Respekt