Ausgabe

Gesetz-Ritus-Brauch

Ilan Beresin

Inhalt

Joel Berger: Gesetz-Ritus-Brauch. ­Einblicke in jüdische Lebenswelten. Hg.v. Haus der Geschichte Baden- Württemberg.

Heidelberg: Universitätsverlag 2019.
446 Seiten, Euro 19,60
ISBN: 978-3-8253-6969-9
https://www.winter-verlag.de/de/detail/978-3-8253-6969-9/Berger_Gesetz_Ritus_Brauch/

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Frömmigkeit fusst im Judentum nicht auf Theologie, sondern auf gelebtem Glauben und Ritus. Die Unterscheidungen, die das Gesetz, der Bund G‘ttes mit Seinem Volk, erfordern, prägen je nach Auslegung Tradition und Lebensform. Jüdisches Leben in Deutschland wurde in der Shoa vernichtet. Die Gemeinden der Nachkriegszeit sind Neuanfänge, gespeist aus vielen Vorbildern. Sie können erst künftig eigenständige Traditionen entwickeln.

In den vergangenen Jahrzehnten sind Erinnerungen von Überlebenden aufgezeichnet worden, die vernichtete Primärquellen ersetzen sollen. An vielen Orten haben zunächst meist Privatleute und Privatinitiativen Überreste – Friedhöfe, Synagogen, Erinnerungsstücke – gerettet, in Publikationen bekannt und ihren Wert der Öffentlichkeit verständlich gemacht. Privatforscher und Fachhistoriker haben dazu sehr beachtliche Übersichtswerke geschaffen. Gemeinsam – in freilich sehr unterschiedlichen Graden –  ist allen diesen Aufsätzen, Broschüren und Büchern, das sie vor allem aus deutschsprachigen, meist staatlichen Quellen schöpfen und deren Perspektive nicht vermeiden können. Mit der Ermordung der Menschen sind im Holocaust auch die meisten genuin jüdischen Quellen vernichtet worden.

Württemberg hat das Glück, dass sein ehemaliger Landesrabbiner Dr. h.c. Joel Berger schon von seinem Lehrer Prof. Alexander Scheiber am Budapester Rabbinerseminar mit volkskundlichen und historischen Fragestellungen vertraut gemacht wurde. In seiner über 20-jährigen Amtszeit in Stuttgart und auch in den Jahren danach hat er am Ludwig- Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen, am Haus der Geschichte Baden- Württemberg bei vielen Veranstaltungen und in regelmässigen Sendungen vieler ARD-Rundfunkanstalten Geist, Geschichte und Gehalt jüdischer Kultur und Frömmigkeit bekannt gemacht.

Die Beiträge des Bandes ersetzen teilweise den angedeuteten Mangel genuin jüdischer Quellen. Sie reichen von der Schilderung  jüdischer Berufe bis zur Feier jüdischer Feste, vom Lernen und vom Wandel jüdischer Gelehrsamkeit oder der Verwendung von Orgelmusik in der Synagoge bis zu jüdischen Erzählformen in der Haggada, bei Eli Wiesel oder in der Kunst Marc Chagalls. Der Schwerpunkt liegt auf der Zeit seit der Aufklärung, doch reichen die Wurzeln der Erzählung naturgemäss weit in die Vergangenheit. Quellen und Themen (z.B. Textilindustrie) schöpfen häufig aus Württemberg und Süddeutschland, haben aber auch Osteuropa und den Raum der k.u.k. Monarchie im Blick.

Nur einige wenige Beiträge wurden unverändert aus früheren Publikationen übernommen. Die Beiträge sind etwa zu einem Drittel völlig neu erarbeitet worden, die restlichen liegen jetzt in ganz wesentlich veränderter und erweiterter Fassung vor. Für die künftige Arbeit an Aspekten der deutschen Geschichte und ihrer Erforschung ist der jüdische Blick unverzichtbar, den Joel Berger mit diesen Beiträgen leistet.