Ausgabe

„Ich träume und schreibe auf Hebräisch “

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Tal Nitzán: Zu Deiner Frage. Gedichte

Zweisprachig: Deutsch und Hebräisch

Aus dem Hebräischen von Gundula Schiffer

Illustrationen: Jul Gordon

Berlin: Verlagshaus Berlin, Quartheft 61, Edition Plyphon 2015

164 Seiten, Softcover, Euro 18,90

ISBN: 978-3-945832-08-0

Die Stimmen der Lebenden treiben mir zu - zerfetzt
wie vom fernsten Ende des Korridors her.
Sinnlos. Bedeutungslos.
Ich spreche eine fremde Sprache.

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Tal Nitzán, eine der wichtigsten Lyrikerinnen Israels, wurde als Kind argentinisch-stämmiger Eltern in Jaffa geboren und lebt heute in Tel Aviv. Sie übersetzte auch bedeutendsten Texte der klassischen Moderne ins Hebräische, vor allem aus dem Spanischen, der Sprache ihrer Kindheit, die sie in Argentinien, Kolumbien und den USA verbrachte. Seit 2002 erschienen fünf ihrer Gedichtbände auf Hebräisch. Nun liegt zum ersten Mal eine Auswahl ihrer Texte in einer zweisprachigen Ausgabe auf Deutsch und Hebräisch vor, die im Verlagshaus Berlin erschienen ist. Die grossartige und stimmige Übersetzung von Gundula Schiffer wird durch die Illustrationen von Jul Gordon ergänzt.

In vielen Stellen von Tal Nitzáns Gedichten taucht Sprache als Motiv auf und in einem Interview erzählt sie darüber: „Ich träume und schreibe auf Hebräisch. Ich empfinde es als eine ideale Sprache für Poesie. Spanisch bedeutet mir viel, weil es die Sprache meiner Eltern und meiner Kindheit ist. Manche Begriffe kommen mir nur auf Spanisch in den Sinn. Die Namen der Monate zum Beispiel. Als ich als Kind von Israel nach Argentinien zog, wurde ich in der Kluft zwischen der nicht mehr länger nützlichen Sprache und der, die ich noch nicht gelernt habe, stumm. Die Erinnerung an dieses Erlebnis bliebt und bildet wahrscheinlich einen wichtigen Faktor in meinem Leben." 1

Neben der Sprache bewegt die Schriftstellerin auch eine Angst vor Verlust: „ Von Kindheit an war ich mir ständig bewusst, dass alles jeden Moment verschwinden, weggenommen werden kann. Eine Art Bewusstsein des Verlustes. Die Schwierigkeit, mit dieser Stimmung zu leben liegt auf der Hand, doch sie hat auch Vorteile. Jedes Ding ist wertvoller. Alles, was als selbstverständlich hingenommen wird ist ein Geschenk, über das du dankbar bist, wenn es andauert." 2

 

Tal Nitzáns Gedichte nehmen die LeserInnen in Bann. Sie sind Werke voller Schönheit, aber auch Düsternis und Einsamkeit.

Wenn

Wenn ich ein Einsamkeitstier bekäme,
dann wäre es ein Flamingo.
Der rosa Farbfleck wäre weithin sichtbar,
die scheinbar-bangen Beinchen
kreisten mich trippelnd ein,
das dünne Hälschen fände stets
den schmalen Spalt
zwischen mir und allen anderen
und wickelte sich ergeben um den meinen.

 

 

1  http://www.restlessbooks.com/blog/2014/6/17/poetry-doesnt-have-to-win-an-interview-with-tal-nitzan ; 18.03.16

2  http://www.haaretz.com/israel-news/culture/leisure/a-poet-must-know-how-to-kick-1.278332 ; 18.03.16