Die Zündholzfabrikanten aus dem südböhmischen Schüttenhofen errichtete in Wien eine Geburtsklinik von internationalem Ruf. Das Sanatorium Fürth, während des nationalsozialistischen Regimes enteignet, steht bis heute im Eigentum der Republik Österreich. Am 15. November 2005 schließlich empfahl die Schiedsinstanz des österreichischen Allgemeinen Entschädigungsfonds die Naturalrestitution. Eine späte Einsicht in erlittenes Unrecht.
Im Laufe des 17. Jahrhunderts kamen Vorfahren der Familie Fürth aus dem namensgebenden Städtchen Fürth bei Nürnberg in Bayern in den südböhmischen Raum. In Schüttenhofen (heute Susice) ließ sich ein Teil der Familie, im nicht weit davon entfernten Strakonitz der andere nieder. Sowohl in Schüttenhofen als auch in Strakonitz erlebten die jüdischen Gemeinden im 17. Jahrhundert eine erste Blütezeit und zogen selbst über die Grenzen der Region hinaus viele Familien an. An den nordöstlichen Abhängen des Böhmerwaldes waren die beiden Orte am „Goldenen Steig“ situiert, der alten Goldwäscherroute, die aus dem südbayrischen Raum Richtung Prag führte - im idyllischen Flüßchen Ottawa mitten in Schüttenhofen selbst wurde seit alters her nach Gold gesucht. Auch die alte Salzstraße, die die alpinen Salzvorkommen mit der Goldenen Stadt Prag verband, führte unweit der beiden Städtchen vorbei. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die Orte zudem an der Hauptbahnlinie gelegen, die die Reichshaupt- und Residenzstadt mit den beliebten Kurorten Karlsbad und Marienbad verband – ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis ihrer Erfolgsgeschichte, denn selbst wenn Strakonitz und Schüttenhofen heute abgeschieden erscheinen, so lagen sie damals doch an zentralen Handelswegen und Verkehrsverbindungen.
Pioniergeist in Schüttenhofen
Der geografisch bedingte Reichtum des Böhmerwaldes an Holz und Wasser erwies sich überdies als geradezu ideal für die Ansiedlung von Industriebetrieben. Die technisch-wissenschaftliche Familientradition kam all diesen günstigen Voraussetzungen entgegen, brachte sie doch mehrere bedeutende Chemiker hervor. Als die Phosphor-Streichhölzer im Jahre 1832 durch den Wiener Apotheker S. von Roemer (1788-1842) erstmals gewerbsmäßig hergestellt wurden, erkannte der Stammvater Bernhard Fürth (1796-1849) die geschäftliche Zukunft dieses Produkts. 1839 gründete er in Schüttenhofen die erste europäische Zündholzfabrik. Bereits in den 1860er Jahren expandierte das Unternehmen in die Reichshaupt- und Residenzstadt und gründete die Niederlassung „Zündwaren-Fabrik Bernhard Fürth“. Die beiden Söhne Daniel und Simon besaßen ihre eigenen Zündholzfabriken, die erst 1903 fusionierten und in den neu benannten Familienkonzern „SOLO- Zündwaren- und Wichse-Fabriken A.G“ eingegliedert wurden. Von da an nahm die „SOLO“ einen kometenhaften Aufstieg zur führenden Zündholzmarke auf dem Weltmarkt.
Bernhard Fürth war Kaufmann gewesen, der seinen Kompagnon Josef Scheinost erfolgreich unterstützte: Während Scheinost als technischer Leiter die Produktion der Zündhölzchen leitete, schuf Fürth die wirtschaftlichen Grundlagen für den Vertrieb. Die beiden waren allerdings bald zerstritten, Fürth zahlte Scheinost aus und führte daraufhin den Betrieb alleine weiter. Es ist ein Paradox der Geschichte, daß in der kommunistischen Ära des Landes der Name Scheinost ganz selbstverständlich mit „SOLO“ gleichgesetzt wurde, während man das jahrzehntelange, erfolgreiche Wirken der Familie Fürth tunlichst verschwieg.
Etiketten für Zündholzschachteln der Firmen Solo und Fürth.
Holz-Handel und Fez-Fabrik in Strakonitz
Die Strakonitzer Linie der Familie indessen war schon im 19. Jahrhundert nicht weniger erfolgreich als ihre Schüttenhofener Verwandtschaft.
Bereits 1811 gründete Wolf Fürth in seiner Heimatstadt eine Kappenfabrik und spezialisierte sich auf orientalische Modelle: ein modischer Dauerbrenner, der in der Kolonialisierung Algeriens durch die Franzosen begründet, sich an der romantischen Orient-Schwärmerei des Malers Eugène Delacroix entzündete, über den Schriftsteller Charles Baudelaire bis hin zu Pierre Loti unzählige, nicht nur französische Künstler inspirierte. Von der Kunst aus nahm die Orient-Begeisterung im 19. Jahrhundert bald einen steilen Aufstieg in den bürgerlichen Kreisen Europas und hielt ungebrochen bis weit in die Erste Republik hinein an. Auch die Strakonitzer Fürths zog es in den 1860er Jahren nach Wien; in der Kirchengasse Nr. 25 entstand damals die „Wolf & Cie. Orientalische Kappen-Fabrik“. Später übersiedelte der Betrieb an die noble Dominikanerbastei Nr. 3.
Daneben gab es eine zweite Strakonitzer Linie der Familie Fürth. Sie war im Tischler-Holz-Handel tätig; neben anderen Niederlassungen betrieb sie die „Gebrüder Emil Fürth Tischler-Holzhandels-Firma“ an der Spittelauer Lände Nr. 9, ebenfalls bereits in Wien. Zur Strakonitzer Seite der Familie Fürth gehörte auch der bekannte Physiologe und Biochemiker Otto von Fürth (1867-1938) - geboren in Strakonitz, lebte er allerdings in Graz und verstarb in Wien. Auch der amerikanische Schriftsteller und Journalist Owen Elford stammte aus Strakonitz – 1894 hatte er dort als Otto Fürth das Licht der Welt erblickt. Bemerkenswert ist, daß sämtliche Mitglieder der inzwischen weit verzweigten Familien Fürth über mehrere Generationen hinweg den Kontakt zu ihren südböhmischen Herkunftsorten mit unverbrüchlicher Treue hielten. Zwischen Schüttenhofen und Wien herrschte jahraus, jahrein reger Pendelverkehr.Viele von ihnen reisten selbst mit ihren Bräuten nach Schüttenhofen, um die Ehen sozusagen am Ort des Stammhauses zu schließen; viele bestimmten auch den kleinen lokalen jüdischen Friedhof zu ihrer letzten Ruhestätte, ungeachtet der Tatsache, daß andere Repräsentanten der gleichen gesellschaftlich wohletablierten, wirtschaftlich überaus erfolgreichen Schicht ganz selbstverständlich die Prominentenfriedhöfe in Prag oder Wien bevorzugten.
Sanatoriums- und Kurbetriebe
Daniel Fürth aus der Schüttenhofener Linie verehelichte sich mit Marie Kaufried, der Tochter des Neuhauser Bierbrauers Josef Kaufried und seiner Gattin Anna geborene Neumann aus Neuhaus (heute Jindrichuv Hradec). Zwischen 1853 und 1865 erblickten ihre Kinder Hermine, Julius, Bernhard und Ernst in Schüttenhofen das Licht der Welt. Die Kinder drängten nach Wien. Bernhard und Ernst blieben im Zündholzgeschäft und wurden in Wien Generaldirektor der dortigen Zündholzproduktion bzw. Repräsentant der Schüttenhofener Zündholzwerke. Ernst Fürth, von Beruf Chemiker, erwarb zudem Beteiligungen am Hotel- und Kurbetrieb „Diana-Bad“ an der Wiener Oberen Donaustraße 93-95. Hotel und Badeanstalt in idealer und für damalige Verhältnisse wegweisender Art vereinend, erstreckte sich auf dem Areal ein riesiger Gebäudekomplex. Mit diesem Engagement im Gesundheitswesen folgte Ernst Fürth der neuen Familienlinie, die sein Bruder Julius bereits beschritt. Julius Fürth hatte Medizin studiert, wurde Arzt und kaufte sich 1895 das bereits bestehende „Sanatorium Eder“ in der Josefstädter Schmidgasse Nr. 14 in Wien. Das Gebäude war von dem angesehenen Theophil Hansen-Schüler und Schweizer Architekten Hans Wilhelm Auer in den Jahren zwischen 1886 und 1888 erbaut worden; zu Auers späteren Werken zählt das Bundeshaus Bern. Sehr bald gelang es Julius Fürth, das Haus in der Schmidgasse zu „einem der ersten Sanatorien für Chirurgie, Gynäkologie und Geburten“, wie es noch in einer Anzeige in Lehmanns Adressverzeichnis von 1938 heißt, zu machen. Das Sanatorium Fürth war für die Frauen des jüdischen Mittel- und Großbürgertums die Geburtsklinik ihrer Wahl, so kam etwa Marcel Prawy im Sanatorium Fürth zur Welt.
Enteignet, entrechtet, entwürdigt, umgekommen
Julius Fürth verstarb 1923 und vererbte das Sanatorium an seinen Sohn Lothar (geb. 1897), der mit Susanne Beständig verheiratet war. Lothar Fürth führte das Sanatorium mit wechselndem Erfolg bis ins Frühjahr 1938, als in Österreich die Nationalsozialisten die Macht übernahmen. Nun begann sein Leidensweg der Entrechtung, Beraubung und Erniedrigung, der ihn schließlich in den Tod führte. Nachdem er am 2. April 1938 vor einem wütenden Mob gezwungen worden war, zusammen mit seiner Frau vor dem Sanatorium in einer der zynisch „Reibpartie“ genannten Hetzjagden das Straßenpflaster zu waschen, konnte er dem Druck der Verfolgung nicht weiter standhalten. Am Tag darauf nahm er sich, zusammen mit seiner Frau, das Leben. Wie die vielen, vielen anderen, die ihre einzige Rettung aus der ausweglosen Situation nur mehr im Selbstmord sehen konnten, wurden Lothar und Susanne Fürth Opfer der nationalsozialistischen Terrorstrategie. Andere Familienmitglieder folgten nur allzubald in den Tod: Sie wurden deportiert und umgebracht. Ernst Fürth gelang die Flucht nach Frankreich, wo er 1943 in Paris verstarb.
Wie für die meisten anderen jüdischen Betriebe wurde auch für das Sanatorium Fürth ein sogenannter kommissarischer Verwalter, Mitglied der NSDAP, eingesetzt. Die Weiterführung des Hauses als Sanatorium unterblieb, wohl auch deshalb, da seine vorwiegend jüdische Klientel aufgrund ihrer rassistischen Verfolgung unter dem NS-Regime von der Inanspruchnahme aller Leistungen praktisch über Nacht ausgeschlossen war. Bereits am 1. Mai 1938 beanspruchte die Deutsche Wehrmacht das Gebäude samt dazugehörigem Areal für ihre Zwecke. Die Wehrersatzinspektion Wien bezog am 25. August 1938 die Liegenschaft. Im März 1939 wurde diese schließlich aus dem Nachlaß Lothar Fürths an das Deutsche Reich – Reichsfiskus Heer verkauft.
Der Erlös wurde als „Entjudungs-erlös“ deklariert, auf ein Sperrkonto einbezahlt und zur Gänze zugunsten des als untilgbar verschuldet behaupteten Nachlasses eingezogen. Da die Erben nach Lothar Fürth selbst der nationalsozialistischen Verfolgung und Enteignung ausgesetzt waren, konnten sie weder ihr Erbe antreten noch den Betrieb des Sanatoriums fortführen. 1945 wurde das Gebäude von den U.S.-amerikanischen Besatzungsbehörden beschlagnahmt. Aufgrund des österreichischen Staatsvertrages wurde das Eigentumsrecht an der Liegenschaft 1948 für die Republik Österreich einverleibt, die das Gebäude seither an das Außenministerium der U.S.A. vermietet. Rückstellungsversuche scheiterten. 1966 zog die Sammelstelle A ihren Antrag auf Rückstellung der Liegenschaft zurück, nachdem ihr im Zuge eines Vergleiches zwischen ihr selbst und der Republik Österreich ein Betrag von 700.000.- Schilling zugeflossen war. Die Erben nach Lothar Fürth erhielten davon nichts. Umso bemerkenswerter ist die Empfehlung der Schiedsinstanz für Naturalrestitution vom 15. November dieses Jahres an den zuständigen Bundesminister, die Liegenschaft Schmidgasse Nr. 14, EZ 864, KG Josefstadt an sie zurückzustellen. Möge dieser Entscheid auch Ausdruck des Respekts für die Schicksale und die persönliche Würde der Opfer und ihrer Nachkommen sein.