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Die Teilnehmer des ersten Klesmerworkshops in Österreich, zwölf Musiker aus verschiedenen Bundesländern arbeiteten im ehrwürdigen Stift Viktring bei Klagenfurt täglich acht Stunden lang, um dem Zauber der Klesmermusik auf die Spur zu kommen. Es galt, am letzten Tag unseres Workshops ein grosses Konzert im Stiftshof auszurichten. Mit einigen Gebirtig-Liedern brachte ich meinem Ensemble, wie später dem Publikum, Jiddisch, die Mameloschn, näher.
Die Vorsitzende der Österreichisch -Israelischen Gesellschaft in Kärnten Ilse Gerhardt hatte mich gefragt, ob ich bereit wäre, einen Klesmerworkshop in Kärnten durchzuführen, eine musikalische Arbeit, die ich in dieser Form noch nie bestritten hatte. Ich dachte, dass ich ja schliesslich in Krakau oft mit Musikern arbeite, die das Genre nicht kennen. Und die Ergebnisse sind so erstaunlich, dass das Publikum überhaupt nicht auf die Idee käme, die Musiker spielten diese Musik zum ersten Mal. In Alfred Patzelt habe ich einen wunderbaren Klarinettisten, der mich in musikalisch-komplizierten Fragen nicht im Stich lässt. 40 Jahre lang war er Mitglied des Wuppertaler Sinfonieorchesters. Ort des Geschehens war das musische Bundesrealgymnasium im ehemaligen Stift Viktring bei Klagenfurt. Vom 11. bis 17. Juli 2009 versuchte ich mit 12 Musikerinnen und Musikern eine Klezmerband in der aussergewöhnlichsten besetzung zusammenzuschweissen: vier junge Mädchen im Alter von 17- 24, und Herren gesetzten Alters - der älteste, Edgar Hettich, ist stolze 86 Jahre alt und spielt Viola.1 Von Anfang an herrschte eine wunderbare Stimmung im Workshop. Die dicken Mauern des Renaissance-Stiftes liessen die heissen Sommertemperaturen nicht ins Haus. Das Arbeitspensum war enorm; Kommentar der jungen Musiker: „Wie viele Stücke denn noch?" Schlussendlich waren es genau 22 Musikstücke, die beim Abschlusskonzert präsentiert wurden. Ein wunderbares Orchester, das sich da in wenigen Tagen formiert hatte! Unsere Arrangements waren fast kammermusikalisch angelegt, und wir gaben dann, wie die Klagenfurter Tageszeitung schrieb, „ein fulminantes Konzert" im Renaissancehof von Stift Viktring. Mehr als 300 begeisterte Zuhörer füllten den Arkadenhof.
Ich, ein Klesmer?
Hätte mir früher jemand gesagt, ich sei ein Klesmer, hätte ich ihn ungläubig angeschaut. Spätestens 1986, anlässlich einer Konzertreise durch mehrere israelische Städte, unter anderem
Ber Sheva, die Partnerstadt von Wuppertal, wo ich seit 1973 lebe, registrierte ich diesen Begriff. Als ich mit der Gitarre zum Konzertsaal kam, sagten die Leute: „Do senen ja di Klesmorim." (Musikanten). Damals hatte ich allerdings zur Instrumentalmusik der osteuropäischen jüdischen Wandermusikanten noch gar keinen Bezug, denn ich interessierte mich mehr für die jiddischen Lieder des Krakauer Dichters Mordechaj Gebirtig (1877-1942). Seit dem Jugendaustausch 1967 in Berlin Beat Band Brücke Berlin Tel Aviv singe ich ein Lied in hebräischer Sprache von Naomi Schemer, Jeruschalajim schel zahav - Jerusalem aus Gold. Sehr schnell habe ich aber begriffen, dass es wichtiger ist, in jiddischer Sprache zu singen, weil die Muttersprache der osteuropäischen Juden Gefahr läuft, unterzugehen. 1984 organisierte ich im Wuppertaler Opernhaus das erste Jiddisch-Festival auf deutschem Boden. Das Festival war ein grosser Erfolg. Im gleichen Jahr besuchte ich meinen Freund Sidney Weill, er leitete die Jugendabteilung in der jüdischen Gemeinde Zürich. Ich schlug ihm vor, dort ein Jiddisch-Folk-Festival zu machen. Der Gemeinderat hielt ihn für verrückt. Wir liessen uns nicht beirren. Drei Tage dauerte das Festival in der Lavater Strasse, in Zürich-Enge stand eine 200 Meter lange Menschenschlange nach Karten. Sie waren ausverkauft. 1986 hörte ich in Köln die amerikanische Klesmerband The Klezmorim aus San Francisco, ausgezeichnete Blechbläsermusik mit furiosen Jazzeinwürfen. Jetzt kamen die ersten Klesmerbands aus New York nach Berlin und fanden heraus, dass es im deutschsprachigen Raum ein grosses Interesse für jüdische Musik gab. 1990 initiierte ich das 1st International Jiddisch-Festival in Krakau. Hier stand zum ersten Mal die amerikanische Klezmer Conservatory Band aus Boston auf der Bühne und gab ein umjubeltes Konzert. Viele junge musikbegeisterte Menschen hörten es im Radio und wollten diese ungewohnten jazzigen und lebensbejahenden Töne nachspielen, eine regelrechte Klesmerzeit setzte ein. 1993 organisierte ich mein letztes grosses Festival in Leverkusen. Danach wollte ich wieder kreativ arbeiten, komponieren und vor allem die Werke Gebirtigs singen und veröffentlichen. Seit 1991 widme ich mich der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Die Ergebnisse dieser Arbeit machen mich sehr glücklich. Es ist wie ein Traum, zu sehen, wie wildfremde Jungen und Mädchen im Alter von 14 - 19 Jahren mit den Liedern Gebirtigs zu einer Familie zusammenwachsen. Für mich ist es vor allem politische Aufklärung - wenn man etwa an die Ereignisse in der Jugendbegegnungsstätte Auschwitz denkt, wo sich im Frühjahr 2009 junge österreichische SchülerInnen rassistisch und antisemitisch äusserten. Hier ist Aufklärung angesagt.
Klesmer-Stimmung im Übungszimmer. Manfred Lemm (in der Mitte mit Hut) brachte seine 12 Musiker ganz schön in Forn - und auf Touren. Fotos: Nina Lattritsch/ Musikforum
Chapeau
Der Wuppertaler Sänger und Komponist Manfred Lemm, 1946 in Potsdam geboren, gehört zu den Protagonisten der deutschen Jiddisch-Musikszene. Massgeblich hat er zur Renaissance dieser Liedkultur in Europa beigetragen. Das Jiddisch-Festival in Krakau, das er 1990 ins Leben rief, gehört heute zu den Highlights des Krakauer Kulturlebens. Im Mittelpunkt von Lemms künstlerischem Schaffen stehen die Lieder des Krakauer Tischlers Mordechaj Gebirtig (1877-1942), dessen Gesamtwerk er als Buch und auf vier CDs veröffentlicht hat. Mit Kindern und Jugendlichen führt er europaweit Jiddisch-Workshops durch. Das jiddische Lied ist besonders geeignet, Jugendlichen eine Welt vor Augen zu führen, die durch Gewalt und Terror fast völlig vernichtet wurde.
Ilse Gerhardt
1 Lisa Schechtner (Klarinette), Karin M. Schneider und Martin Striebel (Violine), Edgar Hettich (Viola), Vera Gleirscher (Violoncello) und Wolfgang Majé (Kontrasbass), Angela Appenzeller und Gerhard Aichner (Akkordeon), Hans Kofler (Gitarre).