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„Ein Schmarotzer übelster Sorte“: Die Karriere des Rudolf Raue

Gabriele ANDERL

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Nach Abbruch seines Hochschulstudiums hatte er sich beruflich in den unterschiedlichsten Branchen versucht. Eigene Angaben, denen zufolge Rudolf Raue in der Zwischenkriegszeit auch „als Innenarchitekt und im Kunsthandel" tätig gewesen ist, lassen sich nicht verifizieren.

Im Dezember 1938 wurde Raue zum kommissarischen Verwalter von mindestens drei Antiquitätengeschäften bestellt, die sich in jüdischem Eigentum befanden. Er beteiligte sich auch an der „Arisierung" eines weiteren Unternehmens derselben Branche sowie an der Enteignung einer privaten prähistorischen Sammlung - jener von Robert Wadler.

Rudolf Raue war am 30. August 1898 in Olmütz im mährischen Sudetenland geboren worden und dann nach Wien übersiedelt. Ursprünglich römisch-katholisch, trat er später als Nationalsozialist aus der Kirche aus. Er besuchte eine Realschule und studierte nach der Matura sechs Semester an der damaligen Technischen Hochschule in Wien. Aus den im Archiv der Technischen Universität vorhandenen Unterlagen geht hervor, dass er von 1917/18 bis 1920/21 und nochmals im Sommersemester 1922 für das Fach Maschinenbau inskribiert gewesen ist. Allerdings wurde ihm das Sommersemester 1921 nicht angerechnet, weil er die Studiengebühren nicht bezahlt hatte. Er erwarb auch nur wenige Zeugnisse und legte die I. Staatsprüfung nicht ab.2 Im Briefkopf einiger von ihm verfasster Schriftstücke scheint später trotzdem der Ingenieurstitel auf.

Zwischen 1916 und 1918 hatte Raue als Reserveleutnant insgesamt 20 Monate Frontdienst bei der Infanterietruppe geleistet und war dafür unter anderem mit dem Militärverdienstkreuz mit den Schwertern und dem Karl-Truppenkreuz ausgezeichnet worden. Nach dem Krieg war er bis 1925 als Ingenieur bei einer Maschinenbaufirma in Holland und als Bankbeamter im Arrangementbüro der Wiener Börse tätig, danach gemäss eigenen Angaben „als Innenarchitekt und im Kunsthandel". In einem im Dezember 1938 verfassten Lebenslauf präzisierte er, dass er „grösstenteils mit dem Kunsthistorischen Museum (Dir. Dr. Demel) und dem Naturhistorischen Museum gearbeitet" habe. In verschiedenen während der NS-Zeit ausgefüllten Fragebögen bezeichnete er sich als „selbständigen Kaufmann (Kunsthandel)", später auch als „Kunstexperten". In einem Nachkriegsverfahren gab er an, „Fachmann für Ausgrabungen" gewesen zu sein. Aus den Aufzeichnungen im Zentralgewerberegister geht aber lediglich hervor, dass Raue das Gewerbe des Kunst- und Antiquitätenhandels am 23. Jänner 1943 am Standort Getreidemarkt 15 / 18, also unter seiner Wohnadresse, angemeldet und im April den Gewerbeschein erhalten hat. Im Spätherbst 1944 wurde Raue in den Stand der Dorotheumsexperten aufgenommen. Das Auktionshaus hatte die NSDAP-Gauleitung Wien um ein politisches Führungszeugnis - „ausschliesslich für dienstliche Zwecke" - gebeten, und der Gaupersonalamtsleiter hatte Raues Einstellung befürwortet.

Über Raues berufliche Position sowie sein Verhältnis zur NS-Bewegung geben verschiedene teils von ihm selbst, teils von Parteistellen ausgefüllte Personalbögen Auskunft, wobei die Angaben in einigen Details voneinander abweichen.3 So lässt sich der Zeitpunkt seines Parteibeitritts nicht präzise festlegen, er ist aber mit grosser Wahrscheinlichkeit mit Mitte 1933 zu datieren. Raue wurde unter der Mitgliedsnummer 6.294.936 geführt. Seit dem 10. November 1938 - also dem Novemberpogrom - war er Blockleiter der Ortsgruppe Windmühle in Wien und gehörte - schon aus beruflichen Gründen unerlässlich - der Reichskammer der bildenden Künste an. Er war auch Mitglied der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) und des Reichslehrerbundes (RLB).

1938 schien es Raue wie den meisten anderen ehemaligen „Illegalen" opportun, mit Nachdruck auf seine nationalsozialistische Betätigung während der Zeit des Parteiverbotes (1933 - 1938) hinzuweisen: „Propaganda sowie Kartenverkauf" vermerkte er in einem Fragebogen, wobei er noch Anzeigen und „Haussuchungen" erwähnte. Die Richtigkeit seiner Angaben wurde von der Kreisleitung bestätigt. Während des Ständestaates hatte er freilich auch der Vaterländischen Front angehört, allerdings erst seit Ende Oktober 1937, „da vorher verweigert", wie es in einem der Fragebögen heisst, und nur wegen des Gewerbescheines.

„Genannter Pg. [Parteigenosse] ist ein braver Mitarbeiter und ist in jeder Weise berücksichtigungswürdig", stellte der Ortsgruppenleiter am 6. Jänner 1940 zusammenfassend fest. In einem Gutachten vom November 1944 klingen allerdings gewisse Zweifel an Raues bedingungsloser Identifizierung mit der Bewegung an. Sein Verhalten während der Verbotszeit und zum damaligen Zeitpunkt sowie sein Charakter und seine Spendenbeteiligung werden zwar als „gut", seine wirtschaftliche Lage als „sehr gut" bezeichnet, und es wird festgestellt, dass weder in politischer noch in moralischer Beziehung Nachteiliges gegen ihn vorliege, doch gleichzeitig fügt der Ortsgruppenleiter hinzu:

„Es muss aber bemerkt werden, dass er bis zu seiner Einrückung Zellenleiter unserer Ortsgruppe war, nach seinem Wiedereintritt ins zivile Leben nicht mehr zur Mitarbeit zu bewegen ist, so dass es den Eindruck erweckt, dass er sich für alle Fälle einem neuerlichen Einsatz zu entziehen gedenkt."

Kriegsdienst hatte Raue nur kurze Zeit geleistet: vom 18. Februar bis zum 15. April 1940 als Leutnant bei der Luftwaffe. Als er später für das Volkssturmaufgebot gemustert wurde, konstatierte der Kreisarzt eine Claudicatio intermittens - eine arterielle Verschlusskrankheit, die so genannte „Schaufensterkrankheit". In der Folge dürfte Raue nicht mehr zum Wehrdienst eingezogen worden sein. Die Hintergründe für seinen Rückzug aus den parteipolitischen Aktivitäten bleiben im Dunkeln. Möglicherweise waren dafür weniger ideologische als praktische Überlegungen ausschlaggebend. Seine „sehr gute" wirtschaftliche Lage und seine Bestellung zum Dorotheums-Experten deuten darauf hin, dass er in diesen Jahren beruflich erfolgreich und ein viel beschäftigter Mann gewesen ist.4

Im Dezember 1938 war Rudolf Raue mit Schreiben des Staatskommissars in der Privatwirtschaft und unter Zustimmung von Leopold Blauensteiner, dem „treuhändischen Leiter aller Institutionen für bildende Kunst des Landes Österreich" und Landesleiter der Reichskammer der bildenden Künste, sowie der Kreisleitung der NSDAP zum Unterbevollmächtigten für drei Geschäfte in jüdischem Besitz ernannt worden. Es waren dies: die Kunst- und Antiquitätenhandlung Josef Berger & Sohn in der Mollardgasse 10 im sechsten Bezirk sowie die Antiquitätengeschäfte Adolf Löwy (1., Rauhensteingasse 7) und Richard Klein (4., Karlsgasse 16).

Die Antiquitätenhandlung Josef Berger & Sohn

Das bedeutendste der betroffenen Unternehmen war die Firma Josef Berger & Sohn. „Antike Raumkunst. Grosses Lager original antiker Möbel und Kunstgegenstände. Wertbeständig - geschmackvoll - preiswert. Kostenlose Beratung in allen Fragen der Wohnkultur" lautete das Firmenlogo. Inhaber war bis 1938 der handelsgerichtlich beeidete Sachverständige und Schätzmeister Kommerzialrat Rudolf Berger.

Raue hatte laut Auftrag

„wie alle übrigen Kommissare (...) die Bestandsaufnahme der Waren vorzunehmen und die Einkaufspreise sowie den heutigen Marktwert der einzelnen Objekte festzustellen".

Mit Rücksicht „auf den besonderen Umfang der durchzuführenden Schätzungen" hatte die Landesleitung der Reichskammer der bildenden Künste gegen eine separate Pauschalvergütung für diese Leistungen nichts einzuwenden.5 Das von der Vermögensverkehrsstelle bewilligte Gehalt Raues betrug monatlich 450 RM. Für die Schätzung der Firma erhielt er zusätzlich eine einmalige Pauschalzahlung in der Höhe von 650 RM. Im Falle der Firma Josef Berger & Sohn erstreckte sich Raues Auftrag auch auf das Privatvermögen des Inhabers. Raue legte schliesslich den Gewerbeschein des bisherigen Eigentümers zurück und liess die Firma im Handelsregister löschen. Er organisierte auch den Abverkauf der noch in Bergers Privatwohnung befindlichen Gegenstände. Hinzugezogen wurde dabei der Schätzmeister Robert Horejsi, der aber bei der Besichtigung der Wohnung laut Raue „bis auf einen Ofen keinen Gegenstand über RM 30.- Schätzwert" mehr vorfand. „Auf Grund dieses Gutachtens wurde ein freier Abverkauf laut Liste vorgenommen", heisst es in einem von Raue verfassten Bericht weiter. Der Erlös des Abverkaufs betrug lediglich 316 RM, von denen noch Spesen in der Höhe von 187 RM abgezogen wurden.

Raue räumte ein, dass es sich bei der Firma Berger um „eines der ältesten und grössten Geschäfte in dieser Branche am Wiener Platz" handelte. Zum Betrieb gehörten alle ebenerdigen Lokale des Eckhauses Mollardgasse - Hofmühlgasse sowie zwei Magazine, von denen sich eines im zweiten Stock desselben Hauses, zwei weitere in der Hofmühlgasse 6 sowie eines in der Spörlingasse 4 befanden. Dank des „guten internationalen Rufs" der Firma hatte der Export 1937 laut Raues Angaben 30 Prozent des Gesamtumsatzes betragen, bei einem durchschnittlichen Jahresumsatz von 45.000 Schilling. Das hauptsächlich aus Biedermeiermöbeln und -gegenständen bestehende Lager betrachtete Raue als gut verkäuflich. In den Jahren vor dem „Anschluss" hatte sich die Firma vor allem mit dem Verleih von Möbeln und Dekorationsgegenständen für Theater- und Filmausstattungen befasst, wobei die Leihgebühren den grössten Teil der Geschäftsspesen gedeckt hatten. Weil, wie Raue annahm, „die Theater- und Filmkultur einem grossen Aufstieg" entgegenging, rechnete er damit, dass das Verleihen von Möbeln „in Zukunft einen [noch] grösseren Ertrag bringen" werde. Aufgrund all dieser Faktoren empfahl er eine „Arisierung" der Firma.6

Diese hatte zur Zeit des „Anschlusses" zwei Angestellte beschäftigt. Michael Oberhuber, der schon seit Jahrzehnten im Unternehmen tätig und zuletzt Prokurist und Geschäftsführer gewesen war, erwarb die Firma schliesslich gemeinsam mit Bernhard Witke. Dieser war später der wohl berüchtigtste Schätzmeister der VUGESTA, der Verwaltungsstelle für jüdisches Umzugsgut der Geheimen Staatspolizei. Seine Tätigkeit für diese Einrichtung war in der Folge aufs engste mit seinen Aktivitäten als privater Geschäftsmann, also als Inhaber der „arisierten" Antiquitätenhandlung Berger, verflochten.7 Raue hatte der Vermögensverkehrsstelle vor der „Arisierung" des Geschäfts einen Schlussbericht über seine Tätigkeit als kommissarischer Verwalter vorzulegen. Seine Wortwahl lässt auf ein beträchtliches Ausmass an antisemitischen Ressentiments schliessen:

„Der Jude Rudolf Berger und seine Frau, die Jüdin Julia Berger, haben sich wortlos aus Wien entfernt. Ihr Aufenthalt ist mir gänzlich unbekannt. Da man annehmen muss, dass der Jude und seine Frau aus irgendwelchen triftigen Gründen Wien so plötzlich verlassen haben, wurde von der Vermögensverkehrsstelle die Weisung gegeben, dass die Antiquitäten und Kunstgegenstände der Privatwohnung des Juden Rudolf Berger den jetzigen Besitzern der (...) Firma, M. Oberhuber und Pg. B. Witke, übergeben werden, dies wurde bereits durchgeführt. Das übrige Inventar der Wohnung wurde freihändig verkauft."8

Witke, der in der Bürgerspitalgasse 12, unweit der Firma „Josef Berger & Sohn" lebte, war bereits im Mai 1938 vom Staatskommissar in der Privatwirtschaft zur kommissarischen Aufsichtsperson und anschliessend, am 22. Juni, zum kommissarischen Verwalter bestellt worden. Mit Schreiben der Vermögensverkehrsstelle, Prüfstelle für die kommissarischen Verwalter, vom 8. September 1938 war er allerdings wieder seiner Funktion enthoben und aufgefordert worden, einen ausführlichen Rechenschaftsbericht vorzulegen. Die Abberufung Witkes war auf Antrag von Erwin Knauer, dem kommissarischen Leiter des Handelsbundes, und offenbar im Einvernehmen mit ihm selbst erfolgt. „Eine kommissarische Verwaltung ist nicht mehr erforderlich, da der Betrieb infolge Warenmangels schliessen muss", hatte es in einem Schreiben Witkes geheissen.9 Dennoch war bald darauf Raue zum Verwalter bestellt worden, und am Ende hatte Witke die angeblich kaum mehr lebensfähige Firma gemeinsam mit Oberhuber „arisiert".10

Die Antiquitätenhandlung Richard Klein

Rudolf Raue fungierte auch als kommissarische Verwalter der Firma „Richard Klein" - „Antiquitäten, Gemälde, antikes und modernes Kunstgewerbe. Einkauf - Verkauf - Kommission". Der Inhaber, Richard Klein, war am 1. September 1881 in Wien geboren und dorthin zuständig. Ende November 1918 hatte er bei der Gewerbebehörde einen Gemischwarenhandel am Standort Wiedner Hauptstrasse 35 im vierten Bezirk angemeldet, im August 1921 dann einen Handel mit Antiquitäten. Betriebsort und Wohnung befanden sich nunmehr in der Frankenberggasse 2, ebenfalls in Wien-Wieden. 1931 war das Geschäft in die Paniglgasse 5 verlegt worden. Bis zum Februar 1937 hatte es sich um eine protokollierte Firma gehandelt, dann war diese im Handelsregister gelöscht worden und Klein hatte das Gewerbe unter seinem bürgerlichen Namen weiterbetrieben.11 In den aus der NS-Zeit stammenden Quellen scheint die Karlsgasse 16 im vierten Bezirk als Kleins Wohn- und Geschäftsadresse auf. Er lebte in einer so genannten „Mischehe": Seine Frau, Antonia Klein, geborene Schutt, die aus Teplitz-Schönau stammte, galt gemäss den Nürnberger Gesetzen als „Arierin" und gehörte der römisch-katholischen Kirche an.

Laut der für Juden obligaten Vermögensanmeldung verfügte Richard Klein am Stichtag 26. April 1938 über kein Grund- und Barvermögen. Sein Betriebsvermögen bezifferte er nach Abzug der Schulden mit rund 6.400 RM. Es gab einige offene Forderungen, die er jedoch zum grösseren Teil als uneinbringlich betrachtete. Auch Klein musste diskriminierende Steuern bezahlen - zumindest die nach dem  Novemberpogrom 1938 für Juden eingeführte „Sühneleistung" oder „Judenvermögensabgabe" (JUVA). Am 10. Dezember 1938 bat er die Vermögensverkehrsstelle „um Stundung der am 15. ds. Mts. fällig werdenden ersten Teilzahlung der Busse":

„[Ich sehe mich] nicht nur ausserstande, die Höhe der von mir zu zahlenden Busse zu errechnen, weil die bezüglichen Aufschreibungen in dem behördlich verschlossenen Geschäftslokal sich befinden, sondern auch zur Zahlung der oberwähnten Rate, weil ich Barvermögen nicht besitze und von den Eingängen aus meinem Geschäfte lebe und zahle. - Da sich genügend Waren im Geschäfte befinden, ist die Zahlung der Busse gesichert, sodass die Zahlung nach Freigabe meiner Waren durch mich selbst oder im Zuge der Verwertung derselben durch die Behörden ohne weiteres erfolgen kann."12

Zu welchem genauen Zeitpunkt das Geschäft gesperrt worden ist, lässt sich nicht rekonstruieren. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Schliessung spätestens im Zuge des Novemberpogroms erfolgt ist. Anfang Dezember 1938 berichtete Klein der Vermögensverkehrsstelle, dass seit der ursprünglichen Anmeldung Veränderungen des Vermögens infolge Ein- und Verkaufs von Waren, Entnahmen und Zahlungen stattgefunden hätten. Er war allerdings angesichts der erwähnten Umstände nicht in der Lage, detaillierte Angaben darüber zu machen und „die Veränderungen des Vermögens zeitgerecht mitzuteilen". Zu seiner Rechtfertigung wies er auch auf seine familiäre Situation hin - in unterwürfigem Ton, hinter dem sich ein grosses Mass an Angst vermuten lässt:

„ Ich habe ausser für mich noch für meine Gattin, sudetendeutsche Arierin, für eine Stieftochter, die reine Arierin ist, ferner für meinen arischen Angestellten, dem ich sein Gehalt weiterbezahle, und für zwei eigene Töchter, die Mischlinge sind und deren ältere ebenso wie meine Gattin und Stieftochter für den Herrn Führer und Reichskanzler abgestimmt haben, zu sorgen. Ich bin Frontkämpfer und ausgezeichnet. Ich habe den absolut guten Willen, den Anordnungen der Behörden auch unter schwersten Opfern zu entsprechen. Deckung für die Bezahlung der Busse und der laufenden Steuerzahlungen ist durch meine Waren auch bei schlechter Verwertungsmöglichkeit zweifellos vorhanden."13

Detaillierte Angaben über Raues Tätigkeit als kommissarischer Verwalter der Antiquitätenhandlung Klein sind in den verfügbaren Quellen nicht zu finden. Ebenso sind nur wenige Einzelheiten über seine Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Geschäft von Adolf Löwy - Altkunst - in der Rauhensteingasse 7 im ersten Bezirk bekannt. Belegt ist, dass Raue für seine diesbezügliche Tätigkeit ein monatliches Entgelt in der Höhe von je 200 RM erhalten hat. Im Einvernehmen mit Otto Faltis, dem Generalabwickler zahlreicher Kunst- und Antiquitätenhandlungen in Wien, führte er den Betrieb bis zur endgültigen Bestandsaufnahme und teilweisen Abwicklung" weiter und übergab ihn am 17. April 1939 an Faltis zur Liquidierung.14 Dieser veräusserte einen Teil der Warenlager beider Geschäfte - gemeinsam mit den Beständen anderer in Abwicklung befindlicher Unternehmen - in Bausch und Bogen nach Schweden.15

Das Antiquitätengeschäft von Wilma Werner16

Rudolf Raue war auch in die „Arisierung" der in unmittelbarer Nähe der Albertina gelegenen Antiquitätenhandlung von Wilma Werner in der Augustinerstrasse 8 im ersten Bezirk involviert. Werner hatte nach dem Tod ihres Mannes, Albert Werner, das von diesem gegründete Unternehmen weitergeführt. Raue bewarb sich gemeinsam mit Edith Sch.17 als Käufer des Betriebes, der zunächst von Josef (Sepp) Neugschwandtner kommissarisch verwaltet worden war. Bei seiner Vernehmung im Rahmen eines Nachkriegsverfahrens gab Raue an, er habe Anton Exner, den Vater von Edith Sch., seit vielen Jahren aus der Kunstabteilung des Dorotheums gekannt:

„Kurz nach dem so genannten Umbruch 1938 hörte ich, dass Herr Exner die Absicht hätte, das Geschäftslokal des Albert Werner, Wien 1., Augustinerstrasse 8, zu arisieren und zum Verkauf seiner ostasiatischen Kunstgegenstände zu verwenden. Ich selbst bin Fachmann für Ausgrabungen und wollte in seinem Geschäft nur eine der beiden Auslagen zur Schaustellung meiner ägyptischen Kunstgegenstände haben. Wir hatten uns diesbezüglich auch geeinigt, und das Geschäft wurde schliesslich der Frau Sch. und mir zugesprochen. Inzwischen war von den Voreigentümern und später von dem kommissarischen Verwalter der grösste Teil der brauchbaren Warenbestände abverkauft worden. Wir hatten an diesen Waren des Voreigentümers auch keinerlei Interesse, sondern nur an dem Lokal als solchem. Was an Waren in dem Geschäft noch zurückgeblieben war, waren grösstenteils schwer verkäufliche Ladenhüter, die wir nur im Dorotheum versteigern lassen konnten. Der Erlös hiefür wurde zur Renovierung des Lokals verwendet. Die geschäftliche Durchführung dieser Arisierung wurde zum grössten Teil von Herrn Exner und Frau Sch. besorgt."

Raue gab weiter zu Protokoll, dass er angesichts der „lang dauernde[n] Renovierung des Geschäftes"

gar nicht dazugekommen sei, es tatsächlich für seine Zwecke zu verwenden. Aus diesen und anderen Gründen sei er bereits Ende 1939 wieder von dem Vertrag zurückgetreten.

„Ich habe aus dem Geschäft keinen Gegenstand entnommen und auch selber keinen Beitrag zum Erwerb des Geschäftes entrichtet, da ich ja bereits vor der Berechnung des Kaufpreises und der Entjudungsauflage zurückgetreten bin. Ich fühle mich daher keiner Arisierung schuldig. (...) Ich bin als minderbelasteter Nationalsozialist registriert."18

Tatsächlich hatte Raue das Interesse an der ehemaligen Antiquitätenhandlung Werner verloren und sich zurückgezogen. Edith Sch. hatte das Geschäft schliesslich alleine „arisiert" und weitergeführt und sich dabei auf den Handel mit ostasiatischer Kunst spezialisiert. Die Geschäftsräume, die sich im damaligen Philipphof befanden, wurden am 12. März 1945 durch schwere Bombentreffer zerstört. Über das Schicksal der ursprünglichen Geschäftsinhaberin, Wilma Werner, ist wenig bekannt. Es dürfte ihr noch zu einem sehr späten Zeitpunkt gelungen sein, aus dem nationalsozialistischen Österreich zu flüchten.

Die prähistorische Sammlung von Robert Wadler

Rudolf Raue war auch in die Enteignung der prähistorischen Sammlung Robert Wadlers (1906 - 1938) involviert gewesen, wie der Historiker Dieter Hecht als Provenienzforscher im Naturhistorischen Museum herausgefunden hat. Dieses hatte zwischen Oktober 1938 und März 1942 in drei Tranchen einen Teil der umfangreichen Sammlung Wadlers erworben - insgesamt mehrere hundert Objekte. De facto hatte Eduard Beninger, der damalige Direktor der prähistorischen Sammlung des Museums, die Gegenstände über Dritte „arisiert". Die erste Tranche war laut hausinternem Einlaufbuch über den Antiquitätenhändler Rudolf Raue um 265 RM angekauft worden. Zu diesem Zeitpunkt war Wadler bereits über einen Monat tot. Er war am 4. September 1938 an den Folgen eines Selbstmordversuchs in Wien gestorben, nachdem der Versuch eines illegalen Grenzübertritts in die Schweiz fehlgeschlagen war.

In seinem Nachkriegsverfahren gab Beninger an, Wadler habe seit etwa 1927 als Privatmann für das Museum gearbeitet, besonders bei kleineren Ausgrabungen. Er sei ein leidenschaftlicher Prähistoriker, aber auch ein fanatischer Sammler gewesen. Wadler habe nach dem „Anschluss" seine Sammung verkaufen wollen, um seine Ausreise zu finanzieren.

Benninger, der die „Arisierung" von Wadlers Sammlung nachdrücklich betrieben hatte, gab nun an, er habe diesem „beim Verkauf der Sammlung geholfen": Wadler habe mehrere tausend Reichsmark von ihm bekommen.19 Die genaue Rolle Raues im Zusammenhang mit der „Arisierung" der Sammlung Wadler lässt sich aus Basis der verfügbaren Quellen nicht erhellen.

Nach Kriegsende wurde gegen Rudolf Raue bei der Staatspolizei in Wien Anzeige erstattet - von wem, ist nicht überliefert. Raue wurde beschuldigt, ein „Pg. und Schmarotzer übelster Sorte" gewesen zu sein. „In der illegalen Zeit hatte R. den Ruf, Geheimagent der reichsdeutschen NSDAP zu sein. R. war Arisierer" lautete die Information.20

Gegen Raue und mehrere andere Personen, die in die „Arisierung" des Antiquitätengeschäftes von Wilma Werner involviert gewesen waren, wurde nach dem Krieg ein Volksgerichtsverfahren eingeleitet. Es wurde allerdings eingestellt, und es kam zu keiner Anklageerhebung. Das ehemalige  NSDAP-Mitglied Raue wurde schliesslich von den Behörden als „minderbelastet" eingestuft. Er übte das Gewerbe des Kunst- und Antiquitätenhandels laut Zentralgewerberegister bis zum 29. Dezember 1961 weiter aus. Raue dürfte im Jahr 1965 gestorben sein.

Archivquellen:
Österreichisches Staatsarchiv / Archiv der Republik (ÖStA / AdR), 02, Gauakten, Zl. 37.741 (Rudolf Raue)
ÖStA / AdR, 06, Vermögensverkehrsstelle (VVSt), Kommissare und Treuhänder (K. u. Tr.), Zl. 2876 (Ing. Rudolf Raue / Adolf Löwy)
ÖStA / AdR, 06, VVSt, Vermögensanmeldungen (VA), Zl. 44.156 (Richard Klein)
Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), M. Abt. 119, Gauakt Rudolf Raue (Zl. 109.051) und NS-Registrierung.
ÖStA / AdR, 06, VVSt, Ktn. 997 (Abwickler Faltis)
WStLA, Volksgerichtsakten, Vg Vr 9002 / 46, Verfahren gegen Anton Exner, Rudolf Raue u. a.
Magistrat Wien, Zentralgewerberegister, Karteikarten betreffend Rudolf Raue und Richard Klein
Technische Universität Wien, Archiv, Unterlagen zu Rudolf Raue
Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, BDC-Akten, Rudolf Raue

1 Die Verfasserin arbeitet an einem vom Zukunftsfonds der Republik Österreich finanzierten Projekt über den österreichischen Kunsthandel während der NS-Zeit.

2 Auskunft des Universitätsarchivs der Technischen Universität Wien (e-Mail), 12. 8. 2009, mit Dank an Frau Dr. Juliane Mikoletzky.

3  Am 26. Oktober 1938 hatte das Reichspropagandaamt Wien das Gaupersonalamt der NSDAP dringend um Auskunft über Rudolf Raue ersucht, „insbesondere über seine politische Verlässlichkeit und seine Zugehörigkeit zur NSDAP". Vom 25. Mai 1939 stammt eine Raue betreffende vertrauliche Anfrage der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Wien, an die NSDAP, Gauleitung Wien, wobei eine politische Beurteilung Raues erbeten wurde, weil dieser „von der Wehrmacht als Offizier eingestellt werden" sollte: „Die Verwendung in einer solchen Stellung setzt voraus, dass der hierfür Vorgesehene rückhaltlos hinter dem nationalsozialistischen Staat und der Bewegung steht", heisst es in dem Schreiben. Ein zusätzlich angebrachter Stempel wies darauf hin, dass es sich um eine „äusserst dringende Terminsache" handle und „um sofortige Erledigung" gebeten werde. Später füllte Raue auch ein Personalblatt für das Volkssturmaufgebot aus, es ist nicht datiert. Vom 14. November 1944 stammt schliesslich ein vom Personalamt für politische Beurteilung der Gauleitung Wien ausgefüllter Bogen mit Angaben zu Rudolf Raue; siehe ÖStA / AdR, 02, BMI, Gauakten, Zl. 36.741 (Rudolf Raue), Reichspropagandaamt Wien an das Gaupersonalamt der NSDAP, z. Hdn. von Pg. Kampa in Wien, dringend, 26. 10. 1938, Betreff: Rudolf Raue; Geheime Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Wien, an die NSDAP - Gauleitung Wien, vertraulich, 25. 5. 1939, Betreff: Politische Beurteilung des Rudolf Raue; Dorotheum an die NSDAP, Gauleitung Wien, 5. 10. 1944; der Gaupersonalamtsleiter (Volkmer) an das Dorotheum, z. Hdn. des Generaldirektors, 27. 11. 1944- - Für die freundliche Unterstützung bei den Archivarbeiten im ÖStA danke ich besonders Herrn Christian Kucsera.

4  Ebenda.

5    ÖStA / AdR, 06, VVSt, K. u. Tr. 4012 (Rudolf Raue / Firma Josef Berger & Sohn), Reichskulturkammer, Der Landeskulturwalter, Gau Wien, Der Landesleiter für bildende Künste, i. A. gez. Kammerer (der geschäftsführende Stellvertreter, Baurat h. c.), 26. 1. 1939.

6   ÖStA / AdR, 06, VVSt, K. u. Tr. 4012 (Rudolf Raue / Firma Josef Berger & Sohn), Rudolf Raue an die VVST, 24. 12. 1938, Bestandaufnahme der Firma Josef Berger & Sohn.

7   Ebenda.

8 Ebenda, Ing. Rudolf Raue an die Prüfstelle der VVST, Schlussbericht über die jüdische Firma Josef Berger & Sohn, 7. 3. 1939.

9  ÖStA / AdR, 06, VVSt, K. u. Tr. 4012 (Rudolf Raue / Firma Josef Berger & Sohn).

10 Die „Arisierung" der Kunst- und Antiquitätenhandlung Josef Berger & Sohn wird auch in einem Beitrag von Gabriele Anderl in einem Sammelband thematisiert, der Ende 2009 im echomedia verlag erscheinen wird: Kilian Franer / Ulli Fuchs (Hrsg.), Erinnern für die Zukunft.

11 Magistrat Wien, Zentralgewerberegister (mit Dank an Herrn Kurt Hientz), Karteikarten zu Richard Klein und zur protokollierten Firma Richard Klein.

12   ÖStA / AdR, 06, VVST, VA 44.156 (Richard Klein), Richard Klein an die Vermögensverkehrsstelle, 10. 12. 1938, Betreff: Zahlung der Busse.

13    Ebenda, Richard Klein an das Reichswirtschaftsministerium, Wien, und an die Steueradministration für den 4. Bezirk, Wien, 12. 12. 1938, Betreff: Angabe der Vermögensveränderung und Zahlung der Busse.

14 ÖStA / AdR, 06, VVST, K. u. Tr., Zl. 2876 (Ing. Rudolf Raue / Adolf Löwy). Zu Otto Faltis siehe Gabriele Anderl, „Kostbarkeiten, gemischt mit Trödel ..." Die „Abwicklung jüdischer Kunst- und Antiquitätenhandlungen in Wien während der NS-Zeit, in: Verena Pawlowsky / Harald Wendelin (Hrsg.), Enteignete Kunst. Raub und Rückgabe - Österreich von 1938 bis heute, Wien 2006, S. 36 - 58.

15   ÖStA / AdR, 06, VVSt, Ktn. 997 (Abwickler Faltis).

16   Ende 2009 erscheint im Czernin Verlag das Buch „Chronik einer Obsession. Die Sammlung Exner" von Gabriele Anderl.

17   Da die Betroffene noch am Leben ist, kann ihr Name aus Datenschutzgründen nur abgekürzt wiedergegeben werden.

18 WStLA, Volksgerichtsakten , Vg Vr 9002 / 46, Verfahren gegen Anton Exner, Edith Sch., Rudolf Raue u. a. Vernehmung des Beschuldigten Rudolf Raue, 7. 7. 1947.

19 Schriftliche Eingabe von Eduard Beninger im Zuge seines Volksgerichtsprozesses, 28. 12. 1949, zit. in: Dieter J. Hecht, Archäologe und Numismatiker. Die Arisierung der prähistorischen Sammlung von Robert Wadler durch das Naturhistorische Museum in Wien, in:  Gabriele Anderl / Christoph Bazil / Eva Blimlinger / Oliver Kühschelm / Monika Mayer / Anita Stelzl-Gallian / Leonhard Weidinger (Hrsg.), ... wesentlich mehr Fälle als angenommen. 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung, Wien - Köln - Weimar 2009, S. 439 f.

20   ÖStA / AdR, 02, BMI, Gauakten, Zl. 36.741 (Rudolf Raue), Magistratisches Bezirksamt für den 6. Bezirk, Meldestelle zur Registrierung der Nationalsozialisten, 5. 12. 1946, an BMI, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, Abt. 2.