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Das Sanatorium Fürth in Wien

Stephan TEMPL

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Es ist eine alte Familientradition bei den Fürths, dass über die Herkunft des Namens heftig diskutiert wird. Stammt der Urvater der Fürths aus der gleichnamigen deutschen Stadt und sind die Nachkommen bei einem der Pogrome in den Böhmerwald verschlagen worden, wo sie spätestens seit Anfang des 17. Jahrhunderts nachweisbar sind? Eine andere Historie erzählt, dass die Fürths eigentlich Brod hiessen, was im Tschechischen bzw. in den slawischen Sprachen so viel wie Furt bedeutet - dass sie also von einem Flussort abstammen, wo es eine Furt gab.

Länderübergreifende Brückenbauer waren die Fürths allemal. Im 19. Jahrhundert begegnen wir ihnen als Federnhändler, die ihre Ware in Ungarn kauften und bis nach Belgien exportierten. Ihr Wohnsitz war das böhmische Schüttenhofen (tschech. Susice), das am Goldenen Steig lag, einem alten Handelspfad zwischen Bayern und Böhmen. Berühmt wurde das Städtchen durch Bernhard Fürth (1796-1849), der hier 1841 eine Zündholzmanufaktur gründete. Seine Nachfahren bauten sie zu einem europäischen Konzern aus. Bernhard Fürth hatte heftig für die Errichtung der Fabrik kämpfen müssen - bis hinauf zum Kaiser nach Wien: Denn die Bürger von  Schüttenhofen dachten, der Jude Fürth könnte das ganze Städtchen mit seinen Phosphorstäbchen in Flammen stecken. Eine Projektion der meist tschechisch-sprachigen antisemitischen Umwelt? Während des Pogroms von 1866 verfehlte der Pöbel tatsächlich nur knapp, die Zündholzfabrik anzuzünden. Bernhard, aber besonders seine beiden Söhne Simon (1824-1883) und Daniel Fürth (1826-1911) wurden zu den grössten Arbeitsgebern der Region. Durch Zukauf  anderer chemischer Werke und Zündholzfabriken formten sie 1903 die führende europäische Firma für Zündwaren: die SOLO AG mit Sitz in Wien. Generaldirektor Ernst Fürth (Susice 1865 - Paris 1943)  führte die SOLO bis zur Enteignung und „Arisierung"  in den Jahren 1938/39. Bis zum heutigen Tag wurden die tschechischen SOLO - Anteile der Fürths gar nicht entschädigt, die österreichischen lediglich symbolisch.

Das von Daniels Sohn Julius (dem Bruder von Ernst) geführte Sanatorium Fürth in der Wiener Josefstadt (Schmidgasse 12-14) ist ebenfalls bis zum heutigen Tage nicht restituiert.

1895 erwarb es der 36-jährige Arzt und Freund von Sigmund Freud. Er baute es im Laufe der Zeit zur führenden Geburtsklinik der Wiener jüdischen Bourgeoisie aus. Hier kamen nicht nur Rothschilds zur Welt (Eliza-beth Edith Rothschild) oder der Opernmentor Marcel Frydmann Prawy. Das Sanatorium Fürth ist auch der Geburtsort der Hamburger, Hildesheimer und so mancher Wiener. Der pros-perierende Betrieb ermöglichte laufend Verbesserungen und Erweiterungen. 1923 verstarb Julius Fürth, und sein Freund Sigmund Freud soll die Grabrede gehalten haben. Julius' Sohn Lothar, bereits 1920 aus dem Judentum ausgetreten und zum Protestantismus konvertiert, führte das Sanatorium weiter bis zum 3. April 1938. An jenem Tag, als er zu einer der sogenannten Wiener Reibepartien geschleppt wurde und seinen eigenen Gehsteig vor dem Sanatorium zu reinigen hatte, ertrugen Lothar und seine Frau Sue (geb. Beständig) die Situation nicht länger und verabreichten sich die todbringende Giftspritze.

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Das Sanatorium Schmidtgasse im Wiener 8. Bezirk, Aussenansicht 2008.
Foto: Stephan Templ.

Das Sanatorium wurde „arisiert" - so wie die meisten Sanatorien in Österreich: Die Wiener Sanatorien Löw,  Auersperg, Brünnlbad, Himmelhof, Schulhof oder Ostermann, und die Sanatorien Purkersdorf, Winternitz (Kaltenleutgeben) und Horowitz (Bad Goisern), Sulz-Stangau, Wienerwald, Bad Kreuzen, Bad Tatzmannsdorf - um nur einige zu nennen. Während des Krieges diente das Sanatorium Fürth zeitweise als Kriegslazarett, nach der Befreiung 1945 fortan als Konsulat der US-Botschaft (bis März 2007). Nach dem Kriege konnten von Lothars über den gesamten Erdball verstreuten Erben (Cousinen und Cousins des Erblassers) Rückstellungsanträge nicht gestellt werden, da die Restitutionsgesetze der Republik Österreich gegen die Menschenrechts-Charta und gegen das bürgerliche Gesetzbuch gleichermassen verstiessen: Lediglich die direkten Nachfahren der Opfer durften Ansprüche stellen. Überlebte keiner der direkten Nachfahren oder gab es keine direkten Nachfahren mehr, so blieb das Raubgut in den Händen der „Ariseure". Es war einer der vielen Wege, wie die junge Demokratie die Profiteure des Naziterrors legalisierte. Genau das passierte auch im Falle der Verlassenschaft nach Lothar Fürth. Aufgrund des Staatsvertrages war die Republik Österreich zwar verpflichtet, sogenannte Sammelstellen einzurichten, in denen nicht restituierte Ansprüche abgegolten werden sollten. Nun konnten auch nicht direkt Verwandte Ansprüche stellen, wenngleich Liegenschaften nicht in rem zurückgestellt wurden, also keine Naturalrestitution stattfand. Das Sanatorium wurde auf 4, 2 Millionen Schilling geschätzt, die Republik jedoch war lediglich bereit, 700.000.- Schilling - an die Sammelstellen - zu zahlen. Die Erben nach Lothar Fürth gingen abermals leer aus, wiewohl die Finanzlandesdirektion über die genaue Anschrift eines Teiles der Erben verfügt hätte.

Im Laufe des Jahres 2000 kristallisierte sich, auch unter Druck der Vereinigten Staaten von Amerika, eine Neuaufrollung der im Eigentum der öffentlichen Hand befindlichen Raubimmobilien heraus. Das Sanatorium Fürth war eine der wertvollsten unter ihnen, und so versuchte die Bundesimmobiliengesellschaft die Liegenschaft im August 2000 noch schnell zu verkaufen. Dies gelang jedoch nicht, und die Restitutionsgesetze wurden am 17. Januar 2001 in Washington abgesegnet. Nicht die Republik Österreich begab sich nun auf Erbensuche (teilweise waren der Finanzlandesdirektion die Erben bekannt), sondern der Genealoge Herbert Gruber, der sich im Interview mit dem Nachrichtenmagazin Profil selbst als „Aasgeier" und „Holocaust business man" bezeichnet.1 In Zusammenarbeit mit einer Wiener Notariatskanzlei und einem sehr prominenten Rechtsanwalt im 1. Bezirk soll er bei erfolgter Restitution 33% der Erbmasse lukrieren; die Genannten wären also bei den 39 Erben nach Lothar Fürth die grössten nicht-natürlichen Erben.

Es ist verständlich,  dass diese Interessen - „ein Holocaust business, ein Syndikat aus Banken, Juristen und Genealogen", wie es einer der Erben im Interview mit der Tageszeitung Die Presse ausdrückte2, auf eine rasche Verwertung drängen. Marianne Enigl führt dazu in Profil vom 11. Mai 2009 aus:

„Ein Bieterverfahren gab es bereits, als die Schiedsinstanz über die Mehrzahl der Erbenanträge, nämlich 29, noch nicht einmal geurteilt hatte".3

 Das  Bieterverfahren fand am 31. 1. 2007 statt, die Schiedsinstanz für Naturalrestitution entschied über die 29 Erben allerdings erst eineinhalb Jahre später: am 23. 6. 2008. Lediglich eine der insgesamt 39 Erbberechtigten widersetzte sich diesem voreiligen Bieterverfahren, 4 was ihr von der Anwaltskanzlei Freimüller, Noll und Partner eine Klage einbrachte: Sie würde durch die Verweigerung ihrer Unterschrift unter den Kaufvertrag mit einer ukrainischen Käufergruppe die anderen Erben schädigen. Dass die im Kaufvertrag als Käufer auftretende ukrainische Firma nie gegründet und damit also gar nicht existent war, wird selbstredend nicht erwähnt.

Tatsache ist, dass das Sanatorium Fürth bis zum heutigen Tage, also knapp neun Jahre nach dem Washingtoner Abkommen von 2001, nicht restituiert ist. Aber nicht nur die Republik Österreich stellt sich nicht ihrer Vergangenheit: In Susice, dort, wo die Fürths über 100 Jahre die grössten Arbeitsgeber gewesen waren, wo sie Bildungsstiftungen eingerichtet hatten, will sich niemand an sie erinnern. Auf der Tafel für die Opfer des Faschismus fehlen sie ebenso wie am Informationsstand für Touristen am Hauptplatz. Unter den berühmten Persönlichkeiten der Stadt findet sich die Familie Fürth genauso wenig wie die anderen Industriellen aus Schüttenhofen, die Lederindustriellen Schwarzkopf oder die Unternehmer Barth. Sie könnten eines Tages alle kommen und im Grundbuch nachrecherchieren. Also: besser totschweigen, oder vielleicht doch die österreichische Restitutionsmethode, beschrieben durch  den seinerzeitigen Innenminister Oskar Helmer: „Ich bin dafür die Sache in die Länge zu ziehen"?

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Blick in den Park des Sanatoriums Fürth, 2008 in verwahrlostem Zustand. Foto: Stephan Templ.

Literatur:
Entscheidungen der Schiedsinstanz für Naturalrestitution. Hg. v. Allgemeiner Entschädigungsfonds Josef Aicher/ Erich Kussbach/ August Reinisch. Band 2. Wien: Facultas WUV Universitätsverlag 2009.

427 Seiten, gebunden, Euro 55,00.-

ISBN 978-3-7089-0377-4

1   Marianne Enigl: „Sie können mich als Aasgeier bezeichnen." Interview mit Herbert Gruber,

Erbenforscher. In: Profil, Heft 20, 11. Mai 2009, S. 25. Gruber: "Ich profitiere von den Toten, Sie können mich auch als Aasgeier bezeichnen. [...] Es gibt Leute, die freuen sich über das, was sie erhalten, andere bezeichnen jene, die es gefunden haben, dann als ‚Holocaust-Business-Man'."

2    Bernhard Odehnal: „Chris, du gehst zu weit". Interview mit Chris Andrews. In: Die Presse, 13.07.2007. Andrews: „Und dann gibt es das private Restitutionsgeschäft. Ich nenne es das „Holocaust-Business": ein Syndikat aus Banken, Rechtsanwälten, Notaren und Genealogen mit dem Ziel, so viel Geld wie möglich aus den Verfahren herauszuschlagen. Deshalb machen sie Druck, dass sich die Erben von ihnen vertreten lassen." Abgerufen am 1. 9. 2009 http://diepresse.com/home/spectrum/zeichenderzeit/317039/index.do

3    Marianne Enigl: „Opfer-Profiteure". In: Profil, Heft 20, 11. Mai 2009, S. 24.

4      Ebenda, S. 26: „Sie hat sich bisher der raschen Veräusserung des Palais widersetzt, die von der so genannten ‚Verkäufergruppe Lansky-Scheubrein' namens 34 Erben betrieben wird."