Ausgabe

Historische Räume und Nahversorgung mit Heizöl

Kerstin KELLERMANN

Inhalt

Den berühmten KZ-Überlebenden und Emigranten Hermann Leopoldi als Vater zu haben und doch mit vier Jahren vaterlos zu sein. Mit der Mutter Helly Möslein schon früh auf der Bühne stehen, aber mit 28 Jahren ein komplett neues Leben beginnen: Inklusive Theater-Garage und George Tabori. Das Leben des Ronald Leopoldi.

 

Ronald Leopoldi. Foto: Lisbeth Kovacic, mit freundlicher Genehmigung.

 

DAVID: Als ich Thomas Frankl nach der Aufführung zum Buchenwald-Lied1 fragte, was Sie so im Leben machen, meinte er nach langem Nachdenken: „Er macht in Garage.“ Was bedeutet „in Garage machen“?

 

Ronald Leopoldi: Ich kaufte im Jahre 1985 in der Wiener Pramergasse die Servitengarage, eine Garage mit ehemaliger Tischlerei oben drüber. Oben leitete später George Tabori sein Actors Studio, ähnlich wie die Lee Strasberg Acting School in New York und Hollywood. Als erster verwendete Michael Schottenberg meine Räumlichkeiten als Proberäume. Elfriede Ott probte ebenfalls bei uns. Adi Frohner gestaltete mit seinen Schülern eine Ausstellung zum „Anschluss“ 1938. Ich übernahm Ruinen von der Länderbank - es war alles kaputt, die Tankstelle ausser Betrieb. Aus spontaner Begeisterung für die über sechs Meter hohen Räume kaufte ich diesen Ort, auf dem nicht einmal ein richtiges Dach war. Ich flickte das Dach notdürftig. Es tauchte sofort ein Bezirksrat auf, der meinte, er wird mir die Hölle heiss machen, wenn ich nicht alles renoviere. Dann sah ich, dass eine Garage ohne Tankstelle eine Katastrophe ist. In die Kessel war aber Sand eingefüllt. Trotz aller anstrengenden Widerstände liess ich wieder eine Tankstelle bauen und eine Naheversorgung für Heizöl und Treibstoffe – es kamen die älteren Damen mit ihren Heizölkanistern. So machte ich aus Ruinen einen sehr gut florierenden Betrieb. Das Musik-Konservatorium arbeitete ebenfalls lange herinnen. Gekauft habe ich die Garage nur, weil mich die eigentlich historischen Räume faszinierten. Die breiten Eichenbretter am Fussboden schliffen wir händisch ab – 600 Quadratmeter! Später, nachdem ich an eine Versicherung verkauft hatte, wurde alles einfach abgerissen. Es gab rohe Ziegel an den Innenwänden, alle mit Wasserglas versiegelt, damit man dort Ausstellungen machen kann. Ich will nicht mehr darüber reden (winkt ab), das ist vorbei, das ist erledigt... 18 Lebensjahre füllte dieser Garage- und Bühnen-Traum aus.  

 

DAVID: Vor Ihrer Garage standen Sie schon sehr jung auf der Bühne. Wie kam das? 

 

Ronald Leopoldi: Ich war doch erst vier Jahre alt, als mein Vater Hermann Leopoldi gestorben ist. Für meine Mutter entstand durch seinen Tod unter anderem das Problem, dass sie plötzlich keinen Partner mehr für die Bühne hatte. Aus diesem Grunde bin ich schon im Alter von acht Jahren mit ihr aufgetreten. Mit neun Jahren in der Wiener Stadthalle zum Beispiel, gemeinsam mit Renate Holm, Fritz Muliar und Maxi Böhm. Drei- bis viermal pro Woche spielten wir im Durchschnitt auf der Bühne. Im Raimundtheater mit Waltraut Haas – ganz eine Liebe. Wir waren 1967 beim Karl Farkas im Weissen Rössl, in einer der letzten Regien, die Farkas gemacht hat. Texte lernte ich neben dem Gymnasium. Dann war ich in der Früh halt ein bissl müde, weil ich so viele Nächte auf der Bühne gestanden bin. Später lernte ich im Konservatorium den Beruf, so wie es sich gehört. Meine Mutter musste arbeiten, sie hatte keine Pension und es ging uns finanziell nicht gut. Als nicht wirklich Besessener von dem Beruf hörte ich mit 28 Jahren auf. Ich spielte in St. Pölten und in Salzburg beim Jedermann – der Sprung nach Wien ist mir aber nicht gelungen. Ich spielte noch in der Tribüne, es ist aber nichts mehr mit der Josefstadt, Volkstheater oder Volksoper geworden. Ein Schauspieler muss erst einmal nach Deutschland und dort Erfolge haben, dann wird er in Wien geholt. 

DAVID: War Ihre Mutter Helly Möslein eine von der Bühne Besessene?

 

Ronald Leopoldi: Meine Mutter wanderte 1925 im Alter von elf Jahren nach Amerika aus. Sie bekam aber so fürchterliches Heimweh, dass sie mit 16 Jahren ganz alleine in Wien am Konservatorium studierte. Sie absolvierte ihre Ausbildung in Klavier und Kolloratur-Gesang in Höchstgeschwindigkeit. Mein gescheiter Grossvater in Amerika erfuhr von Hitler in Deutschland, ahnte, was auf uns zukommt, und holte sie 1934 sofort nach Amerika zurück. 

 

DAVID: Hermann Leopoldi wurde mit dem ersten Prominenten-Transport in das KZ Dachau deportiert, kurze Zeit später wurde er nach Buchenwald verfrachtet. Seine erste Frau Eugenie konnte ihn nach neun Monaten freikaufen und er emigrierte nach Amerika. Dort lernte er Ihre Mutter Helly Mösslein kennen und die beiden spielten sich in die Herzen der Amerikaner. Wie gestalteten sich die Umstände der Rückkehr nach Wien? 

 

Ronald Leopoldi: Die Wiener Politiker Viktor Matejka und Felix Hurdes wollten unbedingt, dass mein Vater wieder nach Wien zurückkehrt. Mir erzählte Matejka, er wollte eigentlich alle jüdischen Künstler zurückbringen. Aber andere Politiker in der Regierung haben sich dagegen verwehrt. „Aber den Leopoldi, den musst du unbedingt zurückholen“, sagten sie zu Matejka, „denn der macht eine gute Stimmung in unserem zerbombten Wien“. Das muss man sich einmal vorstellen: Sein Bruder Ferdinand wurde durch die GESTAPO-Verhöre am Morzinplatz bis zu seinem Schlaganfall gefoltert, der 1944 zu seinem elendiglichen Tode führte. Im Gegensatz dazu wurde mein Vater nach den KZs und dem Krieg in Wien sehr hofiert. Daher war es mir ganz besonders wichtig, die Kompositionen von meinem Onkel Ferdinand in die beiden Bände Leopoldiana. Gesammelte Werke von Hermann Leopoldi aufzunehmen. Elf Nummern habe ich gefunden, aber vielleicht taucht irgendwo noch etwas auf.  

 

DAVID: Auf welche Weise hat sich diese aufregende und zum Teil schreckliche Lebensgeschichte Ihrer Eltern auf Sie übertragen?   

 

Ronald Leopoldi: Mich regen Ungerechtigkeiten wie die lange verhinderte Rückgabe des Porträts von Adele Bloch-Bauer, genannt „Die goldene Adele“, von Gustav Klimt sehr auf. Die Nichte Maria Altmann erhielt das Bild erst nach acht Jahren juristischen Kampfes zurück. In Los Angeles habe ich 2015 den Film Die Frau in Gold/Woman in Gold gesehen und konnte nächtelang nicht schlafen, weil mich das so aufgeregt hat, wie man sich in Österreich so benehmen kann. 

In Los Angeles gab es Standing Ovations für den Film. In Österreich leider wenig Publikum und keine Standing Ovations im Kino. Ich bin der Auffassung, diese Berichte zur NS-Zeit gehören in die Schulen. Im Wiener Goethe-Gymnasium wurde vor kurzem ein Theaterstück über den von meinem Vater komponierten und dem Librettisten von Franz Lehar, Fritz Löhner-Beda, getexteten Buchenwälder Marsch aufgeführt. Die Schüler waren sichtlich beeindruckt, solche Theateraufführungen gehören ausgebaut. „Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen, weil du mein Schicksal bist. Wer dich verliess, der kann es erst ermessen, wie wundervoll die Freiheit ist.“

Zur ehemaligen Wohnung meines Vaters in der Wiener Marxergasse und über die gesamte verschwundene Einrichtung, wie auch den Bösendorfer Konzertflügel, gibt es nicht einmal einen Akt. Es ist alles weg. Als mein Vater nach Wien zurückgekommen ist, meinte er nur, er will nichts damit zu tun haben und nichts davon hören. Irgendwann in den 90-er Jahren sass ich am Abend in meinem Büro in der Servitengarage, läutet auf einmal das Telefon. Ist jemand am Apparat, der fragt: „Sind Sie der Leopoldi?“. „Bitte, was kann ich für Sie tun?“. „Wir haben ein Geschäft auf der Wiedner Hauptstrasse, in dem ist ein Teppich von Ihrem Vater drin. Wenn Sie wollen, können Sie kommen und ihn kaufen, weil wir geben das Geschäft jetzt auf.“ „Danke vielmals, ich werde mir das überlegen,“ sagte ich und habe aufgelegt. 

 

DAVID: Vielen Dank, Herr Leopoldi, für das interessante Gespräch.

 

Literatur

Hans Weiss und Ronald Leopoldi: „In einem kleinen Cafe in Hernals...“, Hermann Leopoldi & Helly Möslein. Eine Bildbiographie, Vorwort. Gerhard Bronner. Edition trend S Verlag o.J.

 

Ronald Leopoldi (Hrsg.): Leopoldiana. Gesammelte Werke von Hermann Leopoldi und 11 Lieder von Ferdinand Leopoldi, 2 Bände, Beiträge zur Wiener Musik, herausgegeben vom Wiener Volksliedwerk 2011 

 

Georg Traska, Christoph Lind: Hermann Leopoldi/Hersch Kohn. Eine Biografie. Mandelbaum Verlag 2012 

 

1  http://www.skug.at/article8545.htm