404: Not Found
Das „Art Forum“ in Wien schliesst
Seit dem Jahr 2006 wurde am Wiener Judenplatz, in einer schönen Galerie hinter dem Rücken der Lessing-Statue, das Werk des Malers, Grafikers und KZ-Überlebenden Adolf Frankl ausgestellt. Am 27.Oktober 2017 musste diese Institution schliessen.
Adolf Frankl, Tiere im Café Hawelka. Mit freundlicher Genehmigung: F. Jödicke.
Adolf Frankl, Visionen bei Nacht. Mit freundlicher Genehmigung: F. Jödicke.
Adolf Frankl, Deportation am 29. September 1944. Mit freundlicher Genehmigung: F. Jödicke.
Thomas Frankl hat es sich, gemeinsam mit seiner Frau Inge, zur Lebensaufgabe gemacht, das Werk seines Vaters Adolf zu präsentieren. Diese Aufgabe hat durch die aus finanziellen Gründen bedingte Schliessung der Galerie einen Dämpfer erhalten, ein Ende ist dies aber nicht. In den kommenden Monaten soll versucht werden den Werkkorpus – er umfasst ungefähr 250 Ölgemälde und weit über tausend Zeichnungen – aufzuteilen. Man ist bereits an verschiedene Kunstinstitutionen und Museen herangetreten, damit die Bilder auch in Zukunft der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Die Gefühle gegenüber dieser Entwicklung sind notwendig zwiespältig. Einerseits lag ein Reiz der Galerie am Judenplatz darin, das gesamte Werk Adolf Frankl zeigen zu können, andererseits, wie Inge Frankl betont, befindet sich das Gesamtwerk Picassos auch nicht an einem einzigen Ort. Soll ein Werk im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert bleiben, dann ist die Aufteilung auf unterschiedliche Häuser wohl der richtige Schritt. Zeitgemäss ist er ohnehin, streben doch die meisten Institutionen danach, mit regelmässigen Wechselausstellungen ein möglichst vielfältiges Programm bieten zu können.
Darüber dass das Werk unbedingt öffentlich zugänglich bleiben soll, kann kaum ein Zweifel bestehen und zwar aus zwei ineinander verwobenen Gründen: Es ist künstlerisch ausserordentlich und es ist ein Zeugnis der Schoah. Das „Art Forum“ hatte sich selbst den Untertitel „Kunst gegen das Vergessen“ gegeben. Diesem Anspruch ist es in den knapp zwölf Jahren seines Bestehens gerecht geworden. Neben der Konfrontation mit den Bildern Frankls ermöglichte es den unmittelbaren Kontakt mit Überlebenden.
Das Werk Adolf Frankls
In einem ersten und oberflächlichen Blick mögen die Bilder formal unselbstständig erscheinen. Allerlei Vorbilder aus der Kunstgeschichte strömen durch den Kopf. Gleichzeitig wirken die Bilder zuweilen heterogen. Grafisch und malerisch ausgefeilte Passagen scheinen eine erlernte Könnerschaft zu belegen und tatsächlich war Adolf Frankl in den 1920er Jahren Absolvent der Kunstgewerbeschule ŠUR in Bratislava und arbeitete später als Karikaturist und Maler von Werbeplakaten. Geheimnisvollerweise gehen diese konventionell ausgefeilten Teile, die mitunter klar benennbare Vorbilder zu haben scheinen, über in Bereiche die unausgegoren und ungestaltet erscheinen. Und genau an dieser Stelle öffnet sich ein Spalt, der in die abgründige Tiefe des Werkes führt.
Eine Tiefe, die dem Werk seinen künstlerischen Rang und seine Eigenständigkeit belegt. Adolf Frankl war es dank seiner besonderen malerischen Praxis möglich, ein Art Zwischenzustand zu erreichen. Ein Zustand, der es ihm gestattete, seine innere Erschöpfung zu überwinden und jene Bilder die ihn verfolgten, auszudrücken, ohne diese eigentlich abzubilden. Jeder Mensch, der sich ein Bild von etwas machen kann, der beherrscht in gewisser Weise das Abgebildete. In einem formalen Sinn, der immer auch eine inhaltlichen Dimension hat. Im Aufzeichnen von Raum und den Beziehungen der Gegenstände zueinander werden diese erfasst, begriffen und „bewältigt“. Die Bilder, die Adolf Frankl in sich trug, aber waren unbewältigbar, sie waren Teil eines Traumas, das ihn zum Schweigen zwang. Sie entstammten einem inneren Raum, der sich in konventionellen Sinn nicht mehr aufzeichnen liess.
Mit dem Trauma leben
Seine Fähigkeit, den physischen Raum aufzuzeichnen hatte Adolf Frankl nicht etwa verloren. Nach dem Krieg, als es die Familie Frankl nach Wien verschlagen hatte, bezog sie eine kleine Wohnung oberhalb des Café Hawelkas. Freundliche Aufnahme und Unterstützung fanden sie hier und Frankl verbrachte viel Zeit in diesem Kaffeehaus, das zugleich einer der bedeutendsten Szenetreffs der Nachkriegszeit in Wien war. Inmitten der Szenegrössen aus Kunst und Geistesleben sass Frankl und zeichnete Karikaturen. Mit heiterer Ironie porträtiert er die Besucher und Besucherinnen als Tiere. Kein Bestiarium, eher ein fröhlicher Zoo, in dem ein Storchenpaar mit den Schnäbeln klappert und ein Affe sich den Schädel kratzt. Befragt nach seinem Befinden antwortet Adolf Frankl stets und ohne zu zögern mit „ihm fehle nichts“. Das war aber nicht wahr. Im Familienkreis und unter guten Freunden machte er zuweilen den Versuch sich zu äussern. Jäh versagte ihm dann die Stimme, er stottert und weinte. Die Kinder hören ihn in der Nacht aufwachen und schluchzen. Auf der Strasse ist er nervös, fühlt sich verfolgt und jede Uniform jagt ihm Schrecken ein.
Auf der Suche nach Linderung wendet er sich an seinen weltberühmten Namensvetter, der ebenso ein häufiger Gast des Hawelkas war: Viktor Frankl. Thomas Frankl erinnerte sich, wie er als Kind seinen Vater zur Ordination von Viktor Frankl begleitete, weil er sich Linderung für seine Nervosität erhoffte. Der grosse Nervenarzt scheitert, ebenso wie sein Kollege Erwin Ringel. Den beiden erfahrenen Psychiatern gelingt es nicht, die Einkapselung Frankls zu überwinden. Adolf Frankl muss es allein versuchen und mittels seiner Kunst gelingt ihm dies, zumindest in Teilen.
Am Tag beginnt er farbenfrohe, leuchtende Ölgemälde zu malen. Sie sind abstrakt, ohne Gegenstände. Er malt sie in einem auch für ihn nicht ganz begreiflichen Rausch. „Ohne Plan“, wie er betont und er wundert sich darüber, wie er sich selbst bei dieser gedankenverlorenen Tätigkeit beschmutzt. Nicht nur die Leinwand wird in Farbe gehüllt, sondern auch der Maler. Diese Bilder versuchen nicht einen Raum zu begreifen und zu bewältigen, sie notieren blosse Farbintensitäten. In der Nacht aber, wenn Frankl von seinen Träumen aufgeschreckt wird und nicht mehr schlafen kann, dann konsultiert er seine Bilder. Sie sind bei ihm und in der Dunkelheit der Nacht wird Adolf Frankl plötzlich konkret. In die Farbschatten gestaltet er Gesichter. Er findet ein Ventil durch das ausströmen kann was in ihm ist und ihn nicht aufhören will zu plagen.
„Das unverdiente Los“
Die Gesichter, die er sieht, blicken ihn aus dem Konzentrationslager an. Jenen Ort, den sie nie haben verlassen können, und an dem die Überlebenden sie zurücklassen mussten. Ein rätselhafter Schrecken liegt in der Rückkehr dieser Gesichter. Aber Adolf Frankl findet die Kraft sich diesem zu stellen und erblickt seine Aufgabe darin. Er will „an das unverdiente Los von Millionen Juden, Sinti und Roma und allen anderen Mithäftlingen [..] erinnern“ und ihre „unbeschreibliche Angst beschwören“, als einer der „es selbst erlitten hat“. Der andere Frankl, Viktor, behält Recht. Menschen sind auf der Suche nach Sinn. Finden sie ihn, dann können sie nahezu alles bewältigen. Ähnlich wie Viktor Klemperer beginnt Adolf Frankl „Zeugnis abzulegen“. Nicht mit Worten, sondern mit Bildern. Und zwar vornehmlich mit denen von Gesichtern.
Ohne an dieser Stelle übermässig psychoanalytisch zu werden, ist auffällig, dass mit dem im Bild erfassten Leid das Leben in seiner Fülle zurückzudrängen beginnt. Die Bilder sind mehr als Schrecken, sie sind umfassend wirklich. Frankl denkt, wenn er sich von seiner beschwerlichen Arbeit an den Bildern abwendet, auch manchmal „an die Frauen“. Und tatsächlich, eine leibliche Intensität steckt in den Bildern, die durchaus sogar Spuren der Lebensfreude hat, so als würde die Rückkehr der Gesichter aus der Dunkelheit der Erinnerung begrüsst werden. Eine leise Freude mag sogar darin liegen, dass die Gestalten wieder eine sinnliche Form finden konnten: „Ihr seid jetzt bei mir und ich darf wieder bei euch sein. Ich habe euch an diesem Ort nicht zurückgelassen, sondern ich bewahre euch durch diese Bilder und das ist gut.“
Wohin nun immer die einzelnen Teile des eindrucksvollen Werkes von Adolf Frankl gelangen werden, eine Begegnung mit ihnen kann zu einem höchst eindrücklichen und kaum vergesslichen Erlebnis werden. Sei es in seinen grossen Gemälden, die zentrale Ereignisse der Deportation und Szenen aus den Konzentrationslagern einfangen, oder jene Karikaturen aus dem Wiener Hawelka, in denen die Teilnahmslosigkeit im Ausdruck der Tiergesichter satirisch gewendet wird.