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Kirchliche Unterstützung für verfolgte Juden und Jüdinnen

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Traude Litzka: Kirchliche Hilfe für verfolgte Juden und Jüdinnen im nationalsozialistischen Wien

Berlin u.a.: LIT Verlag 2011 (Geschichte Band 101)

192 Seiten, EUR 19,90,-

ISBN 978-3-643-50330-5 

Traude Litzka behandelt in dem auf ihrer historischen Dissertation basierenden Buch nicht nur die Hilfeleistungen, die im Bereich der katholischen Kirche im nationalsozialistisch beherrschten Wien Jüdinnen und Juden zugute gekommen sind. Sie beleuchtet ebenso die Resultate von Jahrhunderten an christlicher Judenfeindschaft und die Politik der Kirche gegenüber dem NS-Staat, die von Anpassung und Arrangement bestimmt war.

Äusserer Tiefpunkt war dabei zweifelsohne die Erklärung der österreichischen Bischöfe vom März 1938: „.... Wir erkennen freudig an, dass die nationalsozialistische Bewegung auf dem Gebiet des völkischen und wirtschaftlichen Aufbaues sowie der Sozial-Politik für das Deutsche Reich und Volk und namentlich für die ärmsten Schichten des Volkes Hervorragendes geleistet hat und leistet. (...) Die Bischöfe begleiten dieses Wirken für die Zukunft mit ihren besten Segenswünschen und werden auch die Gläubigen in diesem Sinne ermahnen" (S. 58). 

Diese Erklärung verärgerte Papst Pius XI., der deshalb Kardinal Innitzer in den Vatikan zitierte. Erst massive Repressalien (Verhaftung von Priestern, Auflösung katholischer Vereine, Lehr- und Predigtverbote, Enteignung kirchlichen Besitzes, Aufhebung von Klöstern) bewirkten eine teilweise Umkehr der kirchlichen Amtsträger, auf die die Nazis im Oktober 1938 mit der Verwüstung des Erzbischöflichen Palais durch Angehörige der Hitler-Jugend reagierten.

Litzka würdigt und dokumentiert in ihrer Untersuchung den Mut und die Tatkraft einiger katholischer Frauen und Männer, verfolgten Jüdinnen und Juden zu helfen. Zugleich weist sie aber auch auf den starken christlichen Antijudaismus hin, der noch kurz zuvor während der 20er Jahre eine Initiative zur Reform der Karfreitagsfürbitten für die „perfiden Juden" scheitern liess. Auch diese Gefühle prägten die Stimmungslage der katholischen Mehrheitsbevölkerung und bildeten die Basis für den Geist der Gleichgültigkeit und des Wegschauens. Dort, wo geholfen wurde, waren es Menschen und Gruppen, die vom Leid der Verfolgten berührt wurden und nicht vor praktischem Engagement zurückscheuten. Der Umstand, dass die katholische Kirche die einzige Institution blieb, die nicht zur Gänze vom totalitären Staat vereinnahmt werden konnte, bot solchen Aktivitäten mitunter gewisse Nischen, ohne dabei das grosse persönliche Risiko zu schmälern. Denn Katholikinnen und Katholiken im Widerstand waren auf sich allein gestellt und konnten im Notfall nicht mit dem Rückhalt der Kirche rechnen.

Die Unterstützungen für die Bedrängten waren vielfältig: In der ersten Zeit nach dem Anschluss sollten gefälschte Taufeintragungen verzweifelte Versuche zur Erlangung von sogenannten „Ariernachweisen" begünstigen. In der Folge fanden Jüdinnen und Juden in Klöstern und Pfarrhöfen Zuflucht und konnten dort als „U-Boote" leben. Aus öffentlichen Schulen verwiesenen jüdischen Kindern wurde mitunter in Klosterschulen Unterricht erteilt.

Wo gesicherte Quellen zur Verfügung standen, hat Traude Litzka die Aktionen sorgfältig mit Angabe von Namen, Orten und Institutionen dokumentiert.

Die wirkungsvollste und prominenteste Einrichtung war die Erzbischöfliche Hilfsstelle für nichtarische Katholiken, deren Leitung dem deutschen Jesuitenpater Ludger Born anvertraut war und die in einem Hoftrakt des Erzbischöflichen Palais untergebracht war. Dort arbeiteten 23 Frauen, von denen die Hälfte nach den Kriterien der nationalsozialistischen Gesetze jüdischer Herkunft waren. Neun Helferinnen wurden deportiert und acht davon in der Folge ermordet. Die Hilfsstelle betreute auch einen Kinderhort, eine Schule und ein Altersheim. Bis 1941 wurde noch versucht, Ausreisemöglichkeiten zu eröffnen. Die Versorgung mit Lebensmitteln und Kleidung, Geldzuwendungen, die Unterstützung der Untergetauchten und vor allem seelischer Beistand standen im Vordergrund. Trotz der offiziellen Beschränkung auf Katholiken jüdischer Herkunft erreichte die Hilfsstelle durch Kooperation mit der Israelitischen Kultusgemeinde (ab 1942: Ältestenrat der Juden), der Schwedischen Israelmission und der Society of Friends (Quäker), dass vereinzelt ebenso Glaubensjuden wie Protestanten und Konfessionslosen jüdischer Herkunft geholfen werden konnte. Opfern der Deportation wurden Brief- und Paketsendungen in die Konzentrationslager geschickt. In das KZ Theresienstadt wurden darüber hinaus Hostien für religiöse Zeremonien gesendet.

Viele Helferinnen und Helfer sind nicht nur wegen der allgegenwärtigen Lebensgefahr anonym geblieben. Sie blieben es auch nach 1945, weil in der katholischen Kirche die Erinnerungen daran nicht ermutigt wurden, um die Mehrheit der Mitläufer und Belasteten nicht zu vergraulen. Selbst Glaubensmärtyrer, auf die man stolz hätte sein können - wie etwa Franz Jägerstätter - blieben lange Zeit umstritten. Umso verdienstvoller ist die Arbeit von Traude Litzka, schlichten Heroismus und Menschlichkeit dem Vergessen entrissen und mit dieser Arbeit dokumentiert zu haben.