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Der Leopoldstädter Tempel

Hermann D. KARPLUS

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Der Leopoldstädter Tempel war mit seinem ursprünglichen Fassungsraum von 2.240 Sitz- und 1.500 Stehplätzen das grösste Bethaus Wiens. Die Grundstückslage, die Flügelbauten, der Standort des Aaron hakodesch im Osten und der erforderliche freie Lichteinfall bedingten den Hauptbau freistehend in der Mitte. Der Haupteingang lag deshalb in der heutigen Tempelgasse.

 

Das Bethaus war 28,60 Meter lang und 29,26 Meter breit. Der Innenraum war 27,5 Meter breit, wovon das Mittelschiff 12,4 Meter und die beiden Seitenschiffe je 7,7 Meter einnahmen; das Mittelschiff war ca. 20 Meter hoch. Die Bauzeit betrug 5 Jahre.

Baubeschluss und Grundstücksankauf der E.Z. 569 Leopoldstadt erfolgten im Juni 1851. Die Baugenehmigung verzögerte sich vor allem wegen des Kaiserlichen Patentes vom Oktober 1853, mit dem den Juden die Besitzfähigkeit provisorisch aberkannt wurde. Nach einem Wettbewerb wurde im April 1854 Prof. Ludwig von Förster als Architekt bestellt. Im Mai 1854 wurde mit Kaiserlicher Entschliessung der Bau genehmigt. Die Grundmauerung des Bethauses war im Mai 1855, die Dachaufstellung im Oktober 1856 vollendet.

Zahlreiche bauliche Verzögerungen

Die folgenden Jahre waren von grossen Verzögerungen bei der Innenausstattung gekennzeichnet. Erst nach Baubeginn hatte man sich entschlossen, die zweistöckigen Galerien und die Träger des inneren Baues wegen der freien Sicht aus Guss- und Schmiedeeisen herzustellen. Die Lieferung der Bestandteile wurde der Erzherzoglichen Industrial-Verwaltung in Teschen übertragen, von dieser jedoch der Lieferungstermin Juli 1856 nicht eingehalten, weshalb der Bau im Sommer 1856 sogar teilweise ruhte. Architekt von Förster hatte zudem der Fabrik den Auftrag erteilt, die Bestandteile für den gleichzeitig von ihm errichteten Budapester Tempel zuerst anzufertigen.

Die Baukosten für Bethaus betrugen 360.147 Gulden Österreichische Währung (fl.W.W.). Das gleichzeitig errichtete rechte Flügelgebäude kostete 64.755 Gulden, das 1862 errichtete linke 70.220 Gulden. Die Finanzierung erfolgte durch jährlich rückzahlbare Tempel-Anleihen, durch Spenden von Gemeindemitgliedern und ein Darlehen von Anselm Freiherr von Rothschild; der grösste Teil der heiligen Geräte wurde in natura gespendet.1

Die Schlussstein-Legung eines von Ludwig August  Frankl aus Jerusalem mitgebrachten Steines fand am 18. Mai 1858 statt, die feierliche Einweihung des Tempels am 15. Juni 1858. Der Ritus war dem des Stadttempels gleich. Die ersten Funktionäre waren Dr. Jellinek als Prediger und Josef Goldstein als Kantor.

Salomons Tempel als Vorbild

Ludwig von Förster wollte eine Form, die wenigstens in ihren Grundzügen dem salomonischen Tempel in Jerusalem entspricht.2 Deshalb wählte er orientalisierende Stilelemente, als Baumaterial Stein und Verzierungen mit emaillierten Ziegeln wie in Persien, die Krönung der Gesimse mit Nischen und Galerien, Palmen und Kettenwerk an den Wänden. Die zwei Pfeiler an den Ecken der Front-Fassade mit der symbolischen Andeutung von Türmchen erinnerten an die Säulen Jachim und Boas des Salomonischen Tempels. Die Höhe der Fassade lässt sich heute anhand der Stahl-Säulen an der Tempelgasse erahnen. 

Die Plafonds waren mit Golddekorationen und  Schnitzwerke verziert, die Malerei war in rot, gelb, grün und blau ausgeführt. Die Seitenwände sollten mit Struckmarmor überzogen und nach orientalischer Weise übermalt werden, diese Arbeit wurde 1898 ausgeführt. Oberlichten im Mittelschiff und grosse Fenster in den Seitenschiffen sicherten die  Beleuchtung mit Tageslicht. Die ursprünglich 500 Gaslampen wurden ab 1892 durch elektrische Lampen ersetzt. Bereits 1903 musste diese Anlage vollständig erneuert werden.

Die Akustik war derart katastrophal, dass man auf der II. Galerie weder den Prediger noch die Musik hören konnte. Von einer Experten-Kommission wurde schon um Juli 1858 neben Schallreflektoren vor der Kanzel eine Orgel auf der Empore empfohlen, die aber nie eingebaut worden ist. Auch die von L.v. Förster empfohlene Anbringung von Gittern an den Frauen-Galerien wurde nie ausgeführt.

Zerstörungen durch einen Brand 1917

Aufgrund verschärfter Vorschriften nach dem Ringtheaterbrandes 1881 wurden der Fassungsraum stark reduziert (auf 1.747 Sitze) und die Benutzung der Stehplätze in den Gängen sofort untersagt. Sämtliche Türen und Tore des Tempels mussten nach aussen zu öffnen sein. 1882 erfolgten aus Sicherheitsgründen eine Reihe von Umbauten, Renovierungen und Adaptierungen an Tempel und Nebengebäuden, vor allem der Anbau einer zweiarmigen Freitreppe in der linken hinteren Ecke des rechten Hofes. Die Pläne stammten von Architekt Max Fleischer. 1887/88 mussten umfangreiche Renovierungsarbeiten an allen Fassaden vorgenommen werden. 1905 schuf Architekt Oskar Marmorek Seitenausgänge in der Mitte der beiden Hoffassaden.

Ein Brand am 17. August 1917 nach einem Soldaten-G‘ttesdienst vernichtete Teile des linken Seitenschiffes und den Dachstuhl. Die Brandursache war vermutlich eine brennende Zigarette oder ein Kurzschluss. Alle liturgischen Geräte und die Torarollen konnten gerettet werden. Die linke Galerie im zweiten Stock war jedoch abbruchreif, die Mittelemporen renovierungsbedürftig. Ende des Ersten Weltkrieges und danach gestaltete sich die Wiederherstellung des Tempels sehr schwierig. Erst 1919 wurden die zur Sicherung des Zustandes der Bauruine notwendigen Arbeiten durchgeführt. 1920 wurden vom Erdgeschoss zur ersten und zweiten Galerie neue separate Stiegenläufe eingebaut.

Die Gesamtkosten der Wiederherstellung wurden 1921 mit 1.272.970,51 Kronen beziffert. Ein Aktions-komitee zum Wiederaufbau des Tempels sammelte Spenden in der Höhe von 1.3 Mio. Kronen. Die Wiedereröffnung fand am 1. Oktober 1921 statt. Die notwendigen Instandsetzungsarbeiten am Tempel, zugleich mit einer neuerlichen Fassaden-Renovierung, zogen sich aber noch bis 1927 hin. Ende Oktober 1923 wurde eine Zentralheizungsanlage eingebaut. 1934/35 wurde eine Lautsprecher-Anlage installiert.

Nach einem Brandanschlag zu Jom Kippur Anfang Oktober 1938 wurde der Tempel in der Pogromnacht auf den 10. November 1938 völlig zerstört. Wir verdanken dem mutigen Fotografen Kurt Mezzei ein Bild der gesprengten Ruine. Deren letzte Reste wurden erst im Zuge der Errichtung des heutigen Gebäudes Tempelgasse im Jahre 1980 abgetragen.

2001 entstand eine Diplomarbeit zum Leopoldstädter Tempel von Dipl.Ing. Daniela Gorbach-Wallmüller3 (TU Wien, Institut Prof. Dr. Bob Martens) mit einer 3D-Animation mittels CAD-Verfahren auf Basis der Einreichpläne von L.v. Förster im Wiener Stadt- und Landesarchiv sowie von historischen Fotos.4

Anmerkungen

1  Original-Akten der IKG Wien in „The Central Archives for the History of the Jewish People" in Jerusalem und Jüdische Zeitschriften. H.D. Karplus: "Der Leopoldstädter Tempel" Manuskript 440-Seiten .

2  Artikel L.v. Försters in der „Allgemeinen Bauzeitung" 1859.

3 D. Gorbach-Wallmüller: Computergestützte Rekonstruktion des Leopoldstädter Tempels. Diplomarbeit TU-Wien, 2001.

4  B. Martens/H. Peter: Die zerstörten Synagogen Wiens. Virtuelle Spaziergänge.Wien: Mandelbaum 2009.