Erika Rosenberg: Oskar Schindler. Seine unbekann-ten Helfer und Gegner
Münster: LIT-Verlag 2012
197 Seiten, Euro 24,90
ISBN 978-3-643-11884-4
Zahlreich sind die Veröffentlichungen über Oskar Schindler. Seine Bekanntheit als Retter von 1200 Juden während des Zweiten Weltkrieges ist zusätzlich durch den Film Schindlers Liste von Steven Spielberg weltweit gegeben. Was also kann eine weitere Publikation an neuen Fakten bringen?
Die Autorin, eine in Argentinien geborene Journalistin, hat einen besonderen Zugang zu dem Thema. Bei Recherchen lernte sie im Jahre 1990 Emilie, die Witwe von Oskar Schindler, kennen. Es entwickelte sich ein sehr persönliches Verhältnis, das unter anderem dazu führte, dass Erika Rosenberg die Frau bis zu ihrem 2001 erfolgten Tod betreute. Emilie Schindler vermachte ihr noch vor ihrem Tod das gesamte ihr vorliegende Material mit allen Rechten, damit auch Unterlagen, die aufzeigen, mit welchen Schwierigkeiten und Mangel an Anerkennung das Ehepaar Schindler nach dem Krieg zu kämpfen hatte, was letzten Endes dazu führte, dass es in sehr bescheidenen Verhältnissen lebte. Oskar starb am 9. Oktober 1974 nach einer Herzoperation in Hildesheim und wurde in Jerusalem beigesetzt.
70 Stunden dauernde auf Tonbandkassetten aufgezeichnete Befragungen von Emilie Schindler sowie internationale Forschungen über insgesamt 22 Jahre in Archiven, Bibliotheken und Museen und Interviews mit etlichen Personen weltweit sind die Grundlage für das vorliegende Buch. Dieses zeichnet nicht nur den Lebensweg des Ehepaares Schindler nach, sondern würdigt auch die 32 Helfer (von Oskar Schindler in seinem Bericht an den Joint 1945 aufgezählt), die quasi als sein Netzwerk sein Tun unterstützten.
Einleitend lesen wir von den permanenten Geldsorgen des Ehepaares nach dem Krieg. Die ideellen und vor allem finanziellen Unterstützungen für die Aktivitäten während des Zweiten Weltkrieges hielten sich sowohl von Seiten Israels, vom Joint als auch von Deutschland sehr in Grenzen. Die Schindlers versuchten sich mit dem Betrieb eines Bauernhofes mit Nutriazucht in Argentinien eine Lebensgrundlage zu schaffen, erlitten aber Schiffbruch. Ein Filmprojekt, für das Oskar Schindler das Drehbuch schrieb - für die Hauptrollen waren Romy Schneider und Richard Burton vorgesehen -, zerschlug sich 1967. 1993 erfuhr Emilie von dem Filmprojekt von Steven Spielberg. Sie sollte als „gerettete Jüdin" für die letzte Dreharbeit des Filmes nach Israel eingeladen werden. Spielberg war nicht so sehr an historischer Wahrheit interessiert - so etwa wurde die permanente Mitwirkung von Emilie bei den Rettungsaktionen ihres Mannes mit keinem Wort angesprochen - , vielmehr sollte publikumswirksam ein Mann, ein Hochstapler und Weiberheld, Mitglied der Nazi-Partei, in seiner Mutation zum Judenretter dargestellt werden. Ihre Forderung nach Tantiemen wurden mit dem Hinweis, dass der Film 13 Mio. Dollar Verlust gebracht hätte, abgelehnt. Jahre später erfuhr man bei einer Pressekonferenz in Rom, dass der Film ausser sieben Oscars auch 370 Mio Dollar eingespielt habe. Es wird eine Aussage von Spielberg zitiert, dass er 50.000 Dollar überwiesen habe, diese sind aber bei Emilie nie eingegangen. Ein Koffer von Oskar mit Fotos und schriftlichen Unterlagen ist Jahre nach seinem Tod in Deutschland aufgetaucht und kamen auf abenteuerliche Weise zu Yad Vashem in Israel. Dorthin gerichtete Fragen und Forderungen wurden nicht beantwortet.
Ebenso abenteuerlich liest sich die Schilderung seines Lebens im folgenden Kapitel, ab seiner Geburt am 28. April 1908 in Zwittau, detailreich über seine Tätigkeit als deutscher Agent (während des Zweiten Weltkrieges war er der Abwehr unter Admiral Canaris zugeteilt, der schützend seine Hand über ihn hielt), Zugehörigkeit zur NSDAP (Mitgliedsnummer 6421477), sein Geschick, nach der Besetzung Polens eine Fabrik zu erwerben und diese zu einem Rüstungsbetrieb auszubauen, was ihm erweiterte Möglichkeiten bei der Beschaffung von Rohstoffen und Anforderung von jüdischen Arbeitern gibt, wenn er Rüstungsaufträge erhält. Schindler ist ein Meister des Anknüpfens von Kontakten zu politischen und militärischen Entscheidungsträgern, schreckt vor Bestechungen nicht zurück, bewegt sich auch offiziell immer am Rande des Legalen, wird einige Male verhaftet, kommt aber auf Grund von Interventionen von Kontaktpersonen immer wieder nach einigen Tagen frei.
Weitere Kapitel widmen sich den Helfern sowohl von deutscher wie von jüdischer Seite. Personen, die bisher einer breiteren Öffentlichkeit kaum bekannt sind, die Schindler nach dem Krieg unterstützten. Ihre Aussagen und Aufzeichnungen sind in dieses Buch eingearbeitet. Einerseits werden die Unterstützer, die während des Krieges ebenfalls hohes Risiko eingegangen waren, vor den Vorhang gebeten, andererseits werden viele Fakten und Ergänzungen zu dem bisher Bekannten mitgeteilt.
Das Buch stellt somit eine viele bisher unbekannte Details enthaltende Arbeit über Leben und Wirken von Oskar Schindler dar. Es enthält etliche s/w Fotos hauptsächlich von Personen und Faksimilie von Schriftstücken, aber präzise Quellenangabe sucht man vergebens. Dies gilt leider auch fast durchgehend für den Text, von dem kaum eine der (oft schwerwiegenden) Aussagen unmittelbar überprüfbar ist.
Trotzdem ist der Autorin als Tochter eines aus Nazi-Deutschland emigrierten jüdischen Ehepaares zu danken für ihre vieljährigen Forschungen, die in das dunkelste Kapitel des 20. Jahrhunderts führen, in eine Zeit, an die immer wieder erinnert werden muss.