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Das Rothschildspital – vom Vorzeigeprojekt zum Wartesaal der Hoffnung

Ursula PROKOP

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Wenn man heute am verkehrsumbrausten Abschnitt des Währinger Gürtels vorbeikommt, wo  sich der verschachtelte Komplex des Wirtschaftsförderungsinstitutes befindet, wird sich kaum jemand daran erinnern, dass hier einst das berühmte Rothschildspital gelegen ist, das mehr als ein halbes Jahrhundert ein Mekka der Wiener Medizin gewesen war. Errichtet 1872/73, spiegelt sich nach Meinung von Dr. Stern, einem der letzten diensthabenden Ärzte, „das Schicksal der jüdischen  Bevölkerung - deren Aufstieg und Niedergang - in der Spitalsgeschichte wider".1

 

Als Ende der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts im Zuge des rasanten Wachstums von Wien und der Zunahme insbesondere auch der jüdischen Bevölkerung das alte Spital in der Seegasse mit 40 Betten viel zu klein geworden und noch dazu veraltet war, bot sich Anselm  Freiherr v. Rothschild an, die Errichtung eines neuen, grösseren Krankenhauses zu finanzieren. Der laufende Betrieb sollte aus dem Erlös der Zahlungen von Patienten, Stiftungen, Spenden und schliesslich Zuschüssen der Kultusgemeinde finanziert werden. Da insbesondere die Stiftungen nach 1918 weitgehend wertlos geworden waren, fiel jedoch späterhin die finanzielle Hauptlast zunehmend der Kultusgemeinde zu.

Architekt Wilhelm Stiassny

Diese Entscheidung Rothschilds könnte nicht zuletzt auch in Hinblick auf die kommende Weltausstellung in Wien und die zu erwartende Zahl von jüdischen Besuchern gefallen sein. 1869 wurde die Schenkung beschlossen, mit der einzigen Bedingung, dass das Spital dem Andenken von Anselm Rothschilds Vater Salomon gewidmet sein sollte. In der Folge unternahmen die beiden Ärzte Dr. Albert Matzel und Dr. Wölfler im Auftrag der Kultusgemeinde eine mehrwöchige Studienreise nach Westeuropa, um moderne Spitalsbauten zu besichtigen. Insbesondere dienten die israelitischen Spitäler in Berlin und Hamburg als Vorbilder.2 Mit der Planung des Baus wurde noch im selben Jahr der Architekt Wilhelm Stiassny beauftragt, der in mehrfacher Hinsicht die ideale Persönlichkeit war. Der angesehene Bauunternehmer hatte schon mehrfach für die Familie Rothschild verschiedenste Projekte geplant, neben einigen Palais auch diverse Heime und karitative Institutionen. Ausserdem hatte er sich bereits des längeren mit dem Spitalswesen beschäftigt und Fachartikel darüber publiziert.3 Demgemäss galt er als Spezialist auf diesem Gebiet. Auch späterhin sollte er noch mehrmals Spitäler und Hospize in Auftrag der Rothschilds erbauen.4

Stiassny führte die Planung nach den Vorschlägen der beiden oben genannten Ärzte durch, wobei neben moderner Belüftung, Gasbeleuchtung und Wassertoiletten insbesondere auf  Funktionstrennung Wert gelegt wurde. In diesem Sinn wurden Behandlungsräume, Krankenzimmer (insgesamt mit 100 Betten, nach Geschlechtern getrennt), Verwaltungsräume, ein Betsaal und anderes mehr situiert.5 Im Juli 1870 konnte auf dem Areal der ehemaligen kaiserlichen Baumschule in Währing (damals noch ausserhalb des Wiener Stadtgebietes), das rundum von Gartenanlagen umgeben war, mit dem Bau begonnen werden. Bereits am 10. April 1873 - im Jahr der Weltausstellung - fand die feierliche Schlusssteinlegung statt, in den u.a. ein Verzeichnis aller Mitglieder der Kultusgemeinde, die Geschäftsordnung und nicht zuletzt auch eine „Statistik des Judenthums in Cisleithanien" eingeschlossen war.

Der Architekt Wilhelm Stiassny hatte den zweigeschossigen Bau in seiner Aussenerscheinung im Stil der italienischen Renaissance gestaltet und bei der schlicht gehaltenen Fassade auf jeden unnötigen Dekor verzichtet. Die langgestreckte Vorderfront war mittels drei Risalite gegliedert, wobei nur der mittlere etwas überhöht war. Hier befand sich auch unter dem Gesims die Aufschrift: „ Erbaut durch Freiherr Anselm von Rothschild im Jahre 1872". Mit dieser Gestaltungsweise reihte sich der Bau in den damals üblichen Kanon eines Nutzbaus und verzichtete - ungeachtet der grossen Bedeutung für die jüdische Gemeinde - weitgehend auf jede Form einer repräsentativ überhöhten Selbstdarstellung.

Noch im Jahr der Eröffnung 1873 musste das Spital seine erste Feuerprobe bestehen, insofern in Wien infolge der grossen Anzahl der Weltausstellungsbesucher und der unzulänglichen Kanalisation, die Cholera ausbrach. So dürfte es auch kein Zufall sein dass der erste Direktor des Spitals, Primarius Dr. Leopold Oser (1839-1910), ein anerkannter Spezialist für Magen- und Darmerkrankungen war, der Bahnbrechendes auf dem Gebiet der Cholerabehandlung leistete. Oser, der die Leitung nahezu 40 Jahre innehatte, sorgte auch späterhin dafür, dass das Spital in seiner Ägide allen damaligen Anforderungen entsprechend weiterhin ausgestaltet wurde. Durch diverse An- und Umbauten wurde auch sukzessive die Bettenkapazität erhöht, insbesondere durch die Errichtung des viergeschossigen chirurgisch-gynäkologischen Pavillons mit 50 Betten im Jahre 1903. Zu einer wesentlichen Erhöhung der Patientenanzahl führte auch die sukzessive Inbetriebnahme diverser Ambulatorien. Die Patienten waren in drei Klassen eingeteilt, wobei noch in der untersten 3. Klasse ein höherer Standard geboten wurde als in den anderen Spitälern.

Ein weiteres die Finanzen - und damit die Kultusgemeinde - belastendes Problem war, dass die Zahl der unentgeltlich verpflegten Patienten (wahrscheinlich infolge des Zuzugs ärmerer Juden) permanent anstieg. 1924 erfolgte ein weiterer grosser Umbau, der neben der Installierung von Telefon- und Kühlanlagen insbesondere auch die Einrichtung einer Station für Radiumbehandlung nach sich zog und auch generell zu einer neuen Strukturierung der diversen Abteilungen führte, so dass das Spital schliesslich sechs Abteilungen mit den entsprechenden Ambulatorien umfasste und Platz für rund 250 Betten bot.

Nach Leopold Oser, war vor allem Prof. Dr. Otto Zuckerkandl (1861-1921)6 einer der bedeutendsten Ärzte, der am Spital tätig war. Ab 1902 stand er der chirurgisch-urologischen Abteilung als Primar vor, die er mit kurzer Unterbrechung bis zu seinem frühen Tod leitete. Zuckerkandl, der einer der führenden Urologen seiner Zeit war, hatte nicht nur eine Professur an der Wiener Universitätsklinik inne, sondern war vorübergehend auch Leiter der Wiener Poliklinik. Als Begründer der Wiener urologischen Gesellschaft ist bis heute der „Zuckerkandl-Preis" nach ihm benannt.7 Neben der Veröffentlichung unzähliger wissenschaftlicher Arbeiten hielt er mit Erlaubnis der Kultusgemeinde zeitweise Vorträge im Rothschildspital, die auch von ausländischen Fachleuten frequentiert wurden. Dieser Usus führte dazu, dass auch andere Spitalsärzte, wie Dr. Katz, Dr. Ludwig Braun oder Dr. Robert Breuer, Vorlesungen am Spital hielten. Ab 1932 wurden sogar regelmässige Seminarabende eingeführt, an denen interessante Fälle besprochen wurden, die von der Ärzteschaft zahlreich besucht wurden. Nicht zuletzt auch infolge des Umstandes, dass die Möglichkeit eines Praktikums für jüdische Ärzte an anderen Wiener Institutionen immer mehr eingeschränkt wurde.

Das Rothschildspital als letzte Zufluchtstätte

Nach dem sogenannten „Anschluss" Österreichs im Jahre 1938 wurden allen Krankenanstalten in Wien - bis auf das Rothschildspital - die Aufnahme von jüdischen Patienten und die Beschäftigung von jüdischen Ärzten untersagt. Den jüdischen Ärzten wurde ausserdem ihre Befugnis entzogen, so dass sie sich nur mehr „Krankenbehandler" nennen durften. Das Rothschildspital wurde damit zur einzigen Zufluchtstätte der Juden. Unter der Leitung des damaligen Direktors Dr. Arnold Raschka sah sich die Anstalt mit  jeder Menge Probleme konfrontiert. Zum einen war das Spital infolge der zahlreichen Selbstmordversuche, der Erstellung von Gesundheitsattesten für Emigranten und des erzwungenen Zuzugs von Juden aus der Provinz hoffnungslos überfüllt. Zum anderen gingen zahlreiche Primar-ärzte und Assistenten in die Emigration. Als die Deportationen begannen, flüchteten sich auch einige zu Deportation Bestimmte ins Spital, was immer wieder zur Razzien der NS-Behörden führte. In dieser Zeit war auch der berühmte Neurologe Dr. Viktor Frankl (1905-1997) am Spital tätig, bis er 1942 selbst deportiert wurde. Im selben Jahr wurden sowohl die Kultusgemeinde als auch das Spital aufgelöst. Der infolge der radikalen Dezimierung der Juden eingeschränkte Krankenhausbetrieb wurde schliesslich in die ehemalige Talmudschule in die Malzgasse verlegt. Damit endete eine fast siebzig Jahre währende Institution.8

„Wartesaal der Hoffnung" nach 1945

Das Gebäude am Währinger Gürtel wurde 1945 durch einen Bombentreffer beschädigt. Nach Kriegsende wurden die ärgsten Schäden nur notdürftig beseitigt, um den Bau als Durchgangslager für jüdische displaced persons (DPs) zu nutzen. Insbesondere Flüchtlinge aus Rumänien und Ungarn warteten hier auf die Weiterreise nach Palästina oder in die USA und logierten hier sozusagen in einem „Wartesaal der Hoffnung".9 Bis zu einer Viertelmillion Menschen wurden hier von 1945-1952 durchgeschleust. Teilweise war das Lager so überfüllt, dass eine Aufnahmesperre verfügt werden musste. Auch waren die hygienischen Verhältnisse in dem desolaten Gebäude katastrophal. Das Gebäude, das 1949 an die Kultusgemeinde restituiert wurde, diente zuletzt noch 1956 nach dem Ungarnaufstand als Auffanglager, bis die Flüchtlingswelle abebbte.

Ein kurzfristig erwogener Wiederaufbau des Spitals schien angesichts der dezimierten  Zahl der Wiener jüdischen Gemeinde nicht zweckmässig, so dass die Immobilie schliesslich an die Wirtschaftskammer verkauft wurde, die das Gebäude 1960 abriss, um hier das Wirtschaftsförderungsinstitut zu errichten.10 Bemerkenswert ist, dass bereits einige Jahre zuvor die beiden Rothschild-Palais in der Theresianumgasse bzw. Prinz Eugenstrasse, abgerissen worden waren, obwohl sie nur teilweise Kriegsschäden davongetragen hatten.11 Damit wurde durch die Demolierung des Spitals auch die architektonische Hinterlassenschaft der Rothschilds weitgehend aus dem Wiener Stadtbild ausgelöscht.

Anmerkungen

  

1  E. Stern: Die letzen 12 Jahre im Rothschildspital in Wien, 1931-1943, Wien 1974.

2  M. Heindls/R. Koblizek (Hg.): 125 Jahre Rothschildspital, Donnerskirchen 1998.

3  W. Stiassny, Spezialstudien über das Spitalbauwesen, Wien 1867.

4  U. Prokop, Wilhelm Stiassny, in: Architektenlexikon Wien 1770-1945 (www.azw.at).

5  B. Wölfler: Das alte und das neue Wiener Israeliten-Spital, Wien 1873.

6  Otto Zuckerkandl und seine beiden Brüder waren nicht nur für die Wiener Medizin bedeutend, sondern auch grosse Förderer der Wiener Moderne:  Otto Zuckerkandls Frau Amalie, die später elend im KZ umkam, wurde 1917 von Gustav Klimt porträtiert. Sein Bruder Dr. Emil Zuckerkandl war ein bedeutender Anatom und mit der Journalistin Berta Szeps verheiratet, die sich publizistisch sehr für die Wiener Secession einsetzte. Der dritte der Brüder Zuckerkandl, Viktor, initiierte das Sanatorium Westend in Purkersdorf, das 1905 von Josef Hoffmann und der Wiener Werkstätte errichtet wurde.

7  Biographien österreichischer Urologen, Otto Zuckerkandl, in: www.urologie.universimed.com.

8  Dessen ungeachtet wurden hier in den letzten Kriegstagen auch verletzte und verwundete Nichtjuden behandelt.

9  Titel einer Ausstellung im Herbst 2012 über das Rothschildspital als Flüchtlingslager im Jüdischen Museum Wien mit zeitgenössischen Fotos von Henry Ries.

10  Die Pläne für den Neubau wurden von dem damaligen Stararchitekten Karl Schwanzer angefertigt. Siehe dazu: Karl Schwanzer (Kat., Hg. Wien Museum), Wien 1978.

11  Das Palais Nathaniel Rothschild, das sich in der Theresianumgasse 16-18 befand und teilweise zerbombt war, wurde 1951 abgerissen. Auf dem Areal wurde das „Franz-Domes Heim" errichtet (Planverfasser Roland Rainer). Das Palais Albert Rothschild in der Prinz Eugenstrasse 20 war während des Krieges Sitz der „Auswanderungsstelle" (Referat Eichmann) und des Baureferates von Hanns Dustmann. Obwohl keineswegs zerstört, wurde es 1954 abgerissen und auf dem Grundstück die Arbeiterkammer errichtet.