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Der Verlust der Wurzel

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Peter Landesmann: Der Antijudaismus auf dem Weg vom Judentum zum Christentum. Wiener Vorlesungen - Forschungen, Bd. 4

Hrsg. v. Kulturamt der Stadt Wien.

Frankfurt am Main: Peter Lang 2012.

132 Seiten, Euro 25,50,-

ISBN 978-3-631-618333-2

Der christliche Antijudaismus hat seinen Ursprung in der Gegnerschaft der frühen Kirche zu den Judenchristen: Diese These legt Peter Landesmann in einem Essay dar, der in der Reihe „Wiener Vorlesungen - Forschungen" erschienen ist. Anhand biblischer Quellen verfolgt er den Weg der Jesusbewegung als genuin jüdische Gruppe hin zum Christentum und zur Kirche, die das Jüdische in ihren eigenen Reihen abgewertet und hinausgedrängt hat. Landesmann zeigt, wie tief Themen und Vorstellungen des Christentums in der jüdischen Tradition wurzeln: etwa der Heilige Geist, Engel oder Bilder der Endzeit. Im Menschensohn (Daniel 7 oder 1. Henochbuch) kennt das Judentum um die Zeitenwende auch eine Person, die neben G´tt steht und der Vollmacht über die Welt eingesetzt wird. Ausführlich geht Landesmann auch auf die „Weisheit" ein, die eine Vermittlerin zwischen G´tt und den Menschen ist und ebenfalls personifiziert auftritt. In der späteren Auseinandersetzung mit dem Christentum wurden diese Stränge der jüdischen Tradition marginalisiert und ganz ausgeschieden, wie es Daniel Boyarin in seiner jüngsten Veröffentlichung beschreibt. (The Jewish Gospels. The Story of the Jewish Christ, The New Press, New York 2012) So etwa auch der Messiastitel Jesu oder die Bezeichnung als Sohn G´ ttes, die Landesmann aus den Quellen der jüdischen Tradition darlegt.

Boyarin bietet jüngst auch eine tief gehende Auslegung des anstössigen Bibelverses aus dem Markusevangelium „Damit erklärte er alle Speisen für rein" (Mk 7,19), den Landesmann als nicht von Jesus stammend ausscheidet. Boyarin argumentiert („Jesus Kept Kosher"), dies sei eine Auseinandersetzung zwischen dem konservativ ausgerichteten Nazarener und den reformorientierten Pharisäern, auch ein Konflikt zwischen Land und Stadt. Und weiter: „Das Evangelium des Markus unternimmt keinesfalls nicht auch nur den kleinsten Schritt in eine Richtung, das Christentum als neue Religion und Abschied vom Judentum zu erfinden" (Boyarin, 126).

Ausführlicher beschäftigt sich Landesmann mit der typologischen Schriftauslegung, eine „Klammer zwischen der Hebräischen Bibel und dem Neuen Testament". Mit deren Argumentation wurde das Erste Testament christlicherseits oftmals abwertend als unvollkommen und überholt dargestellt, abgelöst und zur Vollendung gebracht durch das Neue. Ein Paradebeispiel dafür ist der Verduner Altar im Stift Klosterneuburg. Die Typologie ist aber keineswegs eine christliche Erfindung, der Form nach ist es ist eine jüdische Methode. (vgl. Päpstliche Bibelkommission: Das jüdische Volk und seine Heiligen Schriften in der christlichen Bibel, 2001, I.D und II.A.2) Viele Autoren des Neuen Testaments verwenden sie, alle sind Juden. Paulus selbst ist besonders stolz auf seine traditionelle pharisäische Ausbildung. Auch die Gegner des Paulus haben wohl die Typologie für ihre Sache verwendet. Heute ist für die katholische Kirche klar: Eine typologische „neue Deutung beseitigt nicht den ursprünglichen Sinn" (Päpstliche Bibelkommission). Unter den vielfältigen Methoden der Schriftdeutung ist die Typologie in den Beschreibungen der Päpstlichen Bibelkommission heute nur noch ein Randnotiz wert.

Durch seine Zusammenstellung biblischer Texte mit rabbinischen Aussagen, ergänzt auch mit Philo von Alexandrien, öffnet Landesmann einen weiten Horizont und lässt so Zusammenhänge entdecken. Die Überlegungen des Autors sind vielleicht etwas zu geradlinig, was den Weg der Trennung des jungen Christentums vom Judentum betrifft. Auch die jüdische Seite hatte nach der Zerstörung des Tempels ein Interesse, ihre Identität neu zu definieren und zu festigen. Auch von dort sind Schritte gesetzt worden, die Christus-Anhänger aus den eigenen Reihen zu verbannen.

Landesmann bezeichnet den Verlust des Judenchristentums als Quelle der christlichen Judenfeindschaft. Als Folge der Entwicklungen der ersten nachchristlichen Jahrhunderte, die Landesmann nachzeichnet, ist ein Bekenntnis zu Jesus als Messias mit der Zugehörigkeit zum Judentum unvereinbar. Beide Seiten haben dazu ihre Definitionslinien gezogen. Diese Grenzen waren nicht immer undurchlässig, doch stellt sich die Frage ob diese historische Entwicklung als Identitätskriterium nicht auch weiterhin Bestand hat. Sie vermeidet Konflikte. Genau deswegen ziehen Nachbarn ja auch um ihr Reihenhaus einen Zaun.