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Verdrängen? Entsorgen? Oder doch Weltkulturerbe?

Tina WALZER

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Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos: Der Wiener Kulturstadtrat setzt optimistische Zeichen in einer seit Jahren verfahrenen Angelegenheit und ist damit auf dem richtigen Weg.

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Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny auf dem jüdischen Friedhof Seegasse. Foto: Pid Gökmen 2012, mit freundlicher Genehmigung der Stadt Wien.

Die Urform eines Denkmals, im Sinne eines gesetzten Zeichens der Erinnerung, ist ein Grabstein. Das gilt auch für jüdische Denkmäler, und entsprechend sind Ensembles jüdischer Erinnerungskultur, die Friedhöfe, gesetzlich geschützt. Neben dem Denkmalschutzgesetz und dem Washingtoner Abkommen 2001, die beide Bestimmungen über den Schutz jüdischer Grabanlagen beinhalten, kommt auch das neue Israelitengesetz vom 23. 5. 2012 darauf zu sprechen. Dort heißt es in § 19. (1):

„Jüdische Friedhöfe bzw. jüdische Friedhofsabteilungen sind auf Dauer angelegt. Ihre Auflösung, Schließung oder Enterdigungen einzelner Grabstellen sind unzulässig."

Zuständig ist, nach diesem Gesetz ebenso wie für den Denkmalschutz, das Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur. Die spiegelbildliche Institution auf Landesebene ist der Wiener Kulturstadtrat.

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Die feierliche Einweihung des Bethauses beim jüdischen Friedhof Währing am 7.10.2012. Von li.: Oberkantor Shmuel Barzilai, Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg, Architekt Ivan Weinmann,  IKG-Präsident Oskar Deutsch, Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny, IKG-Ehrenpräsident Ariel Muzicant, IKG-Generalsekretär Raimund Fastenbauer.  Foto: Tina Walzer 2012.

Während in Wien schon das ganze Jahr über Meldungen kursierten, „morgen", „nächste Woche", oder jedenfalls in ganz naher Zukunft werde endlich die sogenannte Pflegevereinbarung zwischen der Stadt Wien und der Israelitischen Kultusgemeinde Wien unterzeichnet, ohne die nämlich der Friedhofsfonds der Republik Österreich kraft seiner eigenen Bestimmungen in Wien nicht aktiv werden kann, schlägt der Wiener Kulturstadtrat neue Wege ein. Die Pflegeverereinbarung gibt es bis heute nicht, dafür erstrahlen jüdische Denkmäler auf den Friedhöfen Seegasse und Währing in neuem Glanz, ermöglicht aus Mitteln der Stadt Wien. Wie das kommt? Andreas Mailath-Pokorny fand in der Zwischenzeit eine kreative Lösung für das Verhandlungsproblem.

Der Altstadt-Erhaltungsfonds ressortiert zur Kulturabteilung der Stadt Wien (MA7), deren übergeordnete Dienststelle der Wiener Kulturstadtrat ist. Dieser Fonds wird unter anderem aus den GIS-Gebühren von Konsumenten des österreichischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks dotiert und finanziert seit Jahren die Sanierung des romantischen Wiener Biedermeier-Friedhofes St. Marx. Entsprechend drängend wurden in letzter Zeit die Nachfragen, wieso nicht auch der mindestens ebenso romantische, und überdies aufgrund seiner weltweiten Einzigartigkeit wesentlich bedeutendere jüdische Wiener Biedermeierfriedhof Währing hier Berücksichtigung finden sollte. Ähnliches gilt für die wertvollen, aber stark gefährdeten Renaissance- und Barockgrabsteine auf dem ältesten heute in Österreich erhaltenen jüdischen Friedhof Österreichs, in der Seegasse, in Wiens neuntem Gemeindebezirk.

Andreas Mailath-Pokorny will einen Geschichts-Diskurs in der Öffentlichkeit fördern und betont, für ihn stünden „verantwortungsbewusster Umgang mit der Wiener Geschichte, ein umfassendes, universelles Erinnern und ein differenziertes Geschichtsbild im Zentrum der Überlegungen: Nicht Tilgung, sondern vielmehr Sichtbarmachung ist das Motiv." In Zusammenhang mit der längst fälligen Umbenennung des Dr. Karl Lueger-Ringes, in „Universitätsring", fasste der Kulturstadtrat seine Bildungsintentionen zusammen:

„Vielmehr geht es um den Weg hin zu einer ganzheitlichen Betrachtung, der Dekonstruktion von Diskursen, und der Fähigkeit, Dinge im Kontext historischer Entwicklungen betrachten zu lernen.

Diesen Prozess herbeiführen kann Kulturpolitik. Die BürgerInnen dieser Stadt sollten ihre gemeinsame Geschichte kennen, mit all ihren Schattenseiten. Vertraut sein damit, Standpunkte von mehreren Warten aus zu reflektieren. Wenn es familiär ist, Dinge im Dispositiv, im Kontext zu betrachten, erhält man ein genaueres Geschichtsbild, was sich positiv auf Urteilsvermögen und politische Mündigkeit auswirkt. Anreize dafür kann symbolische Politik liefern, indem sie hinweist, akzentuiert und im Individuum die Fähigkeit fördert, universell zu erinnern, differenziert zu gedenken." 2

Zu jenen Themen, die im Gedächtnis der Wiener Stadtbevölkerung jahrzehntelang ausgelöscht waren, zählen die jüdischen Friedhöfe und ihre Denkmäler der Stadtgeschichte. Kulturstadtrat Mailath-Pokorny in einem Aufsatz dazu, anerkennend:

 „Überhaupt nehmen Friedhöfe in der Erinnerungskultur der Stadt einen besonderen Stellenwert ein. Der Umgang mit ihren Alten und mit ihrer Vergangenheit sagt viel über eine Gesellschaft aus. So betrachtet, sind jüdische Friedhöfe ein Juwel des Stadtgedächtnisses, die Historie gleichsam im Zeitraffer erzählen."2

Diese Haltung könnte zu einem Meilenstein in den schwebenden Verhandlungen werden, geschieht es doch zum ersten Mal seit Jahren, dass ein Mitglied der Wiener Stadtregierung, noch dazu für das Thema zuständig, so freimütig und direkt die Bedeutung der Heiligen Orte für Wien anspricht. Tatsächlich wurden am 21. Juni 2012 nach der Sanierung der Wandnischen auch fünfzig fertig restaurierte freistehende Steine am jüdischen Friedhof Seegasse präsentiert. 24 weitere Grabsteine sollen noch in diesem Jahr folgen. Und am 7. Oktober 2012 konnte die Israelitische Kultusgemeinde Wien mit einem feierlichen Einweihungs-Gottesdienst das neue Bethaus beim jüdischen Friedhof Währing eröffnen, das in den Räumlichkeiten der ehemaligen Zeremonienhalle untergebracht ist. Auch die jüngste Instandsetzung von 43 „jüdischen Ehrengräbern" am Zentralfriedhof durch die Stadt Wien gehört in diesen Kontext, eine etwas zeitverzögerte Folge der von Kurz Scholz bereits 2003 mit viel Energie geleiteten Kommission zur Untersuchung der Ehrengräber der Stadt Wien rund um den umstrittenen NS-Fliegerkapitän Walter Nowotny.

Während die Stadt Wien sich jüdischer Gräber und ihrer Erhaltung also doch annimmt, geht die ausgelagerte Friedhöfe Wien GmbH eigener Wege. Zu Allerheiligen drehte sich die öffentliche Diskussion um die Auflösung solcher Gräber, die einst auf Friedhofsdauer erworben wurden. Der Geschäftsführer der Friedhöfe Wien GmbH, Markus Pinter, sicherte allerdings sofort zu, all jene Grabstellen, die ihm von Seiten der Nachkommen als „jüdisch" bekanntgegeben werden, ab jetzt von der Auflösung dauerhaft ausnehmen zu wollen. Eine nicht unwesentliche Rolle bei den „sogenannten Aberkennungsverfahren" der Dauergräber spielt nach Angaben der Wiener Friedhöfe GmbH die MA 7: sie erteile nach Vorlage von Listen der zur Auflösung vorgesehenen Grabstellen die entsprechende Freigabe. Allem Anschein nach ist die Kulturbehörde der Stadt Wien in jeder Hinsicht bei der Bewahrung oder Zerstörung jüdischer Grabstellen und ihrer dazugehörigen Denkmäler das Zünglein an der Waage.

Der Rückblick auf das Jahr 2012 zeigt, auch ohne Pflegevereinbarung ist Bewegung in der Sache möglich. Ohne langfristiges Commitment der öffentlichen Hand bleiben das allerdings Einzelaktionen. Notwendig wäre es, sich um die Entwicklung von Zielvorstellungen zu kümmern. Das Bilden einer öffentlichen Meinung dazu in breiten Gesellschaftsschichten ist ein erster, unerlässlicher Schritt. Was fehlt, ist das Ausarbeiten von Einzelkonzepten und Masterplänen, ist deren Umsetzung, und ist schließlich die dauerhafte Aufrechterhaltung des Geschaffenen.

1  Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny: Lueger - und die Wiener Erinnerungskultur. Manuskript. Wien 2012, S. 1. Zur Verfügung gestellt von Daniel Benyes.

2   Ebenda, S. 3.

Nachlese: Profil Nr. 44, 29.10.2012, S. 33, Rote Markierungen, von Marianne Enigl. Leserbriefe in Profil Nr. 45, 5.11.2012, von Markus Pinter sowie der ehem. Gesundheits-Stadträtin Elisabeth Pittermann.