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Auf dem rechten Auge komplett blind?

Claudia AUREDNIK

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Was geht in Linken vor, wenn sie Seite an Seite mit Islamisten gegen Israel demonstrieren? Und wie biegen sich diese die Geschichte des Nahostkonflikts zurecht? Eine Reportage über die Welt der selbst ernannten linken Palästina-Solidaritätsbewegung.

Der Tel Aviv Beach am Wiener Donaukanal bringt, dank der kulinarischen Küche Haya Molchos, ein kleines Stück Israel nach Wien. Das Konzept des Strands wurde anlässlich des hundertsten Geburtstags der Stadt Tel Aviv entwickelt. Für einige war die Eröffnung des Strands jedoch ein willkommener Anlass, ihrem Antizionismus freien Lauf zu lassen.

„Gaza muss leben"

Wien - Juni 2009: Der Palästinenser trägt olivgraue Kleidung, Spiegelsonnenbrille und einen Aufnäher mit der Flagge Israels am Oberarm. Manchmal springt er auf, fuchtelt mit seiner zusammengebastelten Plastik-Uzi wild herum und patrouilliert vor einem zurechtgezimmerten Schranken mit Stacheldraht, der wohl den Grenzübergang Erez zwischen Israel und dem Gazastreifen darstellen soll. Mehrere Leute verteilen an die Passanten Flugzettel. Eine Tafel mit der Aufschrift „Sonnen in Tel Aviv, Brand in Gaza" klärt über die Motive des etwas plump anmutenden Aktionismus der Kampagne „Gaza muss leben" auf. Diese richte sich gegen den auf der gegenüberliegenden Seite befindlichen Tel Aviv Beach, denn: „Man will vergessen machen, dass Israel erst vor kurzem Gaza massakrierte. Noch immer leiden die Palästinenser unter der Blockade. Zudem ist Israel auf systematische Vertreibung aufgebaut, genauso Tel Aviv." So weit die verkürzte und historisch verdrehte Ankündigung. Kein Wort ist über die Angriffskriege der arabischen Staaten und den blutigen Terror der zweiten Intifada zu lesen. Und natürlich werden bei einer derartigen Schwarz-Weiss-Malerei auch die jahrelangen Raketenangriffe seitens der Hamas nicht erwähnt.

Doch die rund vierzig Aktivisten der sogenannten „Gaza Beach Protestaktion" kümmert dies nicht. Palästinenser, Araber, Alt-68er und in die Jahre gekommene Autonome, Vertreterinnen der „Frauen in Schwarz" und Studenten schwenken gemeinsam mit den Aktivisten der Plattform „Gaza muss leben" Palästinenserfahnen. Dass der Sprecher der Plattform Willi Langthaler zugleich auch Anführer und Sprecher der umstrittenen Antiimperialistischen Aktion (AIK) ist, dürfte den Aktivisten bekannt sein. Dass der zum „Antiimperialistischen Lager" gehörende italienische Philosoph Constanzo Preve im eifrigen Austausch mit Alain de Benoist, dem Ideologen der französischen „Neuen Rechten", steht und in dessen Zeitschrift „Éléments" publiziert vielleicht nicht.

„Hamas als soziale Bewegung"

In der Menge sehe ich eine Studienkollegin, die mit mir an der Universität Wien ein Seminar zum politischen Islam in Palästina besucht hatte. Das Seminar hatte eine überaus manipulative Wirkung, die bei den meisten Absolventen zu einem undifferenzierten Verständnis der „Hamas als soziale Bewegung" führte. Der Lehrveranstaltungsleiter hatte dies überaus geschickt durch die selektive Auswahl an Texten und Quellen bewerkstelligt. Hinzu kam die undifferenzierte Medienberichterstattung der „Operation gegossenes Blei", die darüber hinaus durch die primär gezeigten Bilder von toten und schwerverletzten Palästinensern die Studenten stark emotionalisierte. Kurz nach dem Seminar hatte ich mich mit der Hamas und deren menschenverachtenden antisemitischen Politik beschäftigt. Je tiefer ich in die Thematik eingetaucht war, desto mehr wurde mir bewusst, dass das Seminar primär die palästinensische Politik schönfärbte, die israelische Perspektive hingegen weitgehend ausklammerte.

Die Studienkollegin winkt mir zu. Auf dem Weg zu ihr schnappe ich die Wortfetzen einer jungen Araberin auf, die lautstark mit anderen über den aus Tel Aviv importierten Sand und das Judentum lästert. Ich frage meine Studienkollegin, ob sie die Aktion gegenüber des Tel Aviv Beachs nicht als gehörig deplatziert empfinden würde. Ich stelle ihr die Frage, wieso denn bislang niemand vor der libanesischen oder jordanischen Botschaft gegen die unmenschlichen Bedingungen in den palästinensischen Flüchtlingslagern demonstriert. Schliesslich leben manche Palästinenser bereits seit 1948 in den Flüchtlingslagern dieser Länder. Sie reagiert forsch, da das jetzt nicht zur Diskussion stehe. Und ausserdem habe sie mit der AIK oder der Plattform „Gaza muss leben" nichts zu tun. Doch es sei schon gut, dass endlich jemand die Lage der Palästinenser im Gazastreifen thematisieren würde. Und ob es nun die AIK oder eine andere Organisation wäre, das sei für sie nicht von Bedeutung. Zudem sollte man nicht immer alles so „eurozentristisch" sehen. Die Palästinenser hätten eben eine andere Perspektive als wir. Und schliesslich müsse auch Kritik an Israel erlaubt sein.

Diese Argumente sind typisch für jenen Teil der Linken, die sich einer multikulturellen Perspektive verschrieben hat und die Lebenswirklichkeiten anderer Kulturen als besser und erstrebenswerter als jene der eigenen bewerten. Menschenrechtsverletzungen und religiöser Fanatismus werden dabei weitgehend ignoriert oder relativiert. Und so kommt es, dass mit dieser kruden Logik selbst palästinensische Selbstmordattentäterinnen und die Frauen der Hamas als Produkt des islamischen Feminismus betrachtet werden.

„Israel - ein Brückenkopf"

Eine direktere und offen agitatorische Argumentationsweise ist bei den Vertretern der antiimperialistischen Linken zu finden. So auch bei Andrea Komlosy, einer Hochschulprofessorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien. Der Staat Israel wird für sie als „ein von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs instrumentalisierter Brückenkopf" betrachtet. Doch diese Behauptung ist schlichtweg historisch falsch. Denn schliesslich war der Staat Israel 1948 während des Unabhängigkeitskriegs und 1967 während des Yom-Kippur-Kriegs auf sich allein gestellt. Und die Metapher des „Brückenkopfs" stammte noch aus der Zeit des Kalten Krieges, als Israels gebetsmühlenartig als „Aussenposten der USA" bezeichnet wurde.

Dem nicht genug, wagt Komlosy sogar die diffuse These, dass „die einzige Möglichkeit, ein exklusives jüdisches Siedlungsgebiet zu schaffen auf deutschem Gebiet selbst bestanden hätte". Und so muss kritisch hinterfragt werden, wie weit die Respektlosigkeit gegenüber den Überlebenden der Shoah und deren Nachkommen gehen darf. Denn wie ist es vorstellbar, Juden nach den Verbrechen der Shoah am liebsten im Gebiet der Täter ansiedeln zu wollen? Mit ihren Positionen ist die Historikerin auch gern gesehener Podiumsgast bei Veranstaltungen der Plattform „Gaza muss leben" und des Vereins Dar al Janub.

„Antiquierte Zweistaatenlösung"

Wien - Jänner 2010: Der selbst ernannte „Verein für antirassistische und friedenspolitische Initiative - Dar al Janub" lädt zu einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „Gaza 2010. Berichte, Expertisen, Einschätzungen. Ein Jahr nach dem israelischen Angriff auf den Gazastreifen" ein. Der Saal des angemieteten Albert-Schweitzer-Hauses ist gut gefüllt. Die meisten Besucher haben das vierzigste Lebensjahr bereits überschritten. Die „Pro-Palästina"-Szene der Stadt ist klein und überschaubar. Und so befinden sich wieder „Gaza muss leben"-Aktivisten, AIK-Vertreter sowie einige der „Frauen in Schwarz" unter den Besuchern.

Am Podium sitzen unter anderem die Politologin und Hochschulprofessorin Helga Baumgarten und der ehemalige Bundesminister Erwin Lanc. Baumgarten plädiert für eine Einstaatenlösung und betrachtet die von der PLO geforderte Zweistaatenlösung im Nahostkonflikt als obsolet. Denn ihrer Meinung nach könne nur die „völlige Umgestaltung der rechtsstaatlichen Situation die gravierende Ungleichbehandlung der Einwohner aufgrund ethnischer Zugehörigkeit aufheben". Doch diese „völlige Umgestaltung der rechtsstaatlichen Situation" meint nichts anderes als eine Abschaffung des Staates Israel und somit das Ende des Zufluchtsortes für alle verfolgten Juden. Verwunderlich ist dies nicht, denn Baumgarten zeigte in ihrem 2006 erschienen Buch „Hamas. Der politische Islam in Palästina" Empathie für die Terrororganisation.

Eine ähnliche Empathie hatte sie bereits in früheren Jahren für den Mufti von Jerusalem und späteren Nazi-Kollaborateur und SS-Ausbilder Amin el-Husseini aufgebracht. Dieser habe in ihrer geschönten Version nur eine „kurze Liasion mit dem Hitler-Regime" gehabt. Das Existenzrecht Israels wird scheinbar auch von einer traditionell gekleideten Palästinenserin angezweifelt, die in ihrer Präsentation über das israelische Staatsgebiet dieses kurzerhand in Palästina umbenannt hat. Ihr Vortrag schliesst mit den pathetischen Worten: „Und ich habe zu meiner Familie in Gaza gesagt, dass wir uns nächstes Jahr in Haifa sehen werden!" Während die Palästinenserin stolzen Hauptes vom Podium schreitet, klatschen die Besucher lautstark in die Hände. Niemand hinterfragt die Aussagen, keiner äussert Kritik. Ist die selbst ernannte Palästina-Solidaritätsbewegung auf dem rechten Auge komplett blind?

„Apartheidsstaat Israel"

Wien - 2012. In den vergangenen Monaten wurden in Wien Plakate und Aufkleber mit dem Aufruf „Gegen Apartheid. Boykottiert Israel" verbreitet. Als Sujet dient ein Strichcode, der in Form einer Mauer dargestellt wird. Über diesem befindet sich der rote Schriftzug „gestern Südafrika, heute Israel". In der rechten Ecke wird auf dem Zahlencode israelischer Produkte hingewiesen, der mit 729 beginnt. Die drei Ziffern sind auch am Strichcode mit roten Flecken, die an Bluttropfen erinnern sollen, versehen. Initiator der Kampagne ist die AIK, die scheinbar nie zu müde wird in dem ohnehin antisemitisch geprägten Österreich gegen Israel Stimmung zu machen. „Der Zionismus ist nicht irgendein Rassismus. Er ist die blutigste Ideologie unserer Zeit", propagiert die Organisation auf deren Website zur Kampagne. Der hanebüchenen Aussage folgt die krude und historisch falsche Gleichsetzung des südafrikanischen Burenregimes mit dem israelischen Staat.

Ein Affront gegen Israel, der einzig etablierten Demokratie des Nahen Ostens. Denn im Gegensatz zu der Segregation in Südafrika leben die arabischen Israelis nicht in Townships unter menschenverachtenden Bedingungen. Und es existieren in Israel auch keine Schilder mit „White Persons Only". Vielmehr werden die Interessen der arabischen Israelis durch arabische Parteien in der Knesset vertreten. Neben Ivrit ist Arabisch die zweite offizielle Landessprache. Etwaige Fälle von Diskriminierungen gegenüber arabischen Israelis werden in den israelischen Medien und innerhalb der israelischen Zivilgesellschaft thematisiert. All dies wäre im Apartheidsstaat Südafrika mit dessen Propagierung der „weissen überlegenen Rasse" undenkbar gewesen. Es ist daher absolut unmöglich, Parallelen zwischen der inhumanen Rassentrennung des ehemaligen Apartheidsstaats Südafrika und Israel zu ziehen. Möglich ist es jedoch, die Parallelen zwischen dem Antisemitismus der Nazis in Form des Boykotts der jüdischen Unternehmen und Geschäfte 1933 und den selbst ernannten Antiimperialisten auszumachen. Was bleibt, ist die Problematik, dass derartige Hasstiraden gegen Israel in Österreich trotz dessen nationalsozialistischer Vergangenheit ungestraft bleiben. Die Frage, ob die selbst ernannte Palästina-Solidaritätsbewegung auf dem rechten Auge komplett blind ist, muss daher mit einem lauten Ja beantwortet werden.