Ausgabe

Wer ihn kannte, der liebte ihn Zum 25. Todestag von Jurek Becker

Monika Kaczek

Als Jurek Becker am 14. März 1997 in Sieseby (Schleswig-Holstein) starb, widmete ihm Der Spiegel ein

berührendes Nachwort: „Wer ihn kannte, der liebte ihn. Seine Stimme, ganz wörtlich genommen: Sein Ton wird fehlen. Dieser Ton war bei aller Lust an der Polemik – in der Gegenwartsliteratur vermisste er die

Dimension Auflehnung von melancholischer Abgeklärtheit”.

Inhalt

Jurek Becker wurde am 30. September 1937 als Jerzy    Becker in der polnischen Stadt Łódź geboren. Die Tatsache, dass er jüdische Eltern hatte, schrieb er, habe für sein Leben nicht eben kleine Folgen gehabt“.2 Sein Geburtsdatum könnte möglicherweise nicht stimmen: sein Vater Max Becker hatte ihn im Ghetto durch falsche Angaben älter gemacht, um die Überlebenschancen des Sohnes zu erhöhen. Nach dem deutschen Überfall auf Polen 1939 musste die Familie Becker zunächst in ihrer Heimatstadt ins Ghetto umziehen. Von dort wurde Jurek mit seiner Mutter Anette Becker in das KZ Ravensbrück, später ins KZ Sachsenhausen und von dort weiter ins KZ-Aussenlager Königs-Wusterhausen deportiert. Dort wurden Mutter und Sohn am 26. April 1945 durch die Rote Armee befreit. Anette Becker starb an Unterernährung, doch Jureks Vater überlebte den Krieg und konnte seinen Sohn wiederfinden. Neben einer Tante waren sie die einzigen Überlebenden einer grossen Familie.

 

1945 zogen Vater und Sohn nach Ostberlin. Nach seinem Abitur meldete sich Jurek Becker freiwillig für zwei Jahre zur Armee. 1957 entschied er sich für das Studium der Philosophie und wurde Mitglied der SED. Aufgrund disziplinarischer Verstösse erfolgte 1960 seine Entlassung von Seiten der Universitätsbehörde. Im selben Jahr begann er ein Kurzstudium im Filmzentrum Babelsberg, ab 1962 verfasste er als fix angestellter Autor Drehbücher und Fernsehspiele. Ein Skript, das den Titel Jakob der Lügner trug, wurde nicht angenommen, und da Jurek Becker die Geschichte nicht wegwerfen wollte, schrieb er den gleichnamigen Roman, der 1969 erschien. Das Buch handelt vom jüdischen Ghettobewohner Jakob Heym am Ende des Zweiten Weltkriegs, der behauptete, ein Radio zu besitzen, mit dem er Informationen über die baldige Befreiung erfahren hätte.

Ein Jahr nach dem Tod des Vaters erschien 1973 Jurek   Beckers zweiter Roman, Irreführung der Behörden, für den er mit dem Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen und 1975 mit dem Nationalpreis der DDR für Literatur II. Klasse ausgezeichnet wurde. Nachdem er 1976 mit elf weiteren DDR-Schriftstellern einen Brief gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns unterzeichnet hatte, wurde Jurek Becker aus der SED ausgeschlossen. Im selben Jahr erschien sein Roman Der Boxer, dessen Inhalt an Jurek Beckers Autobiografie erinnert: der Jude Aaron Blank, der die Shoah überlebt hat, sucht nach seinem Sohn, der aus einem KZ befreit worden ist.

 

Aus Protest gegen den Ausschluss Reiner Kunzes verliess Becker 1977 den Schriftstellerverband und durfte mit Genehmigung der Behörde nach Westdeutschland ziehen. Von 1978 bis 1986 wurden die Romane Schlaflose Tage (1978),    Aller Welt Freund (1982), Bronsteins Kinder (1986) sowie eine Sammlung von Erzählungen, Nach der ersten Zukunft (1980) veröffentlicht. Parallel dazu verfasste er Drehbücher für die erfolgreiche Fernsehserie Liebling Kreuzberg. 1992 erschien Beckers letzter Roman Amanda herzlos über die wunderschöne Amanda, die auf drei Verflossene zurückblickt.

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Jurek Becker 1993. Foto: Leon Becker, Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://de.wikipedia.org/wiki/Jurek_Becker#/media/Datei:Jurek_Becker_2.jpg; https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5/

Das Buch „liest sich vordergründig wie eine Liebestragödie. Doch hinter der Handlung um Amanda Weniger und ihre drei Männer verbirgt sich die Frage, ob es sich nach dem Mauerfall im Osten oder im Westen besser leben lässt. Was an sämtlichen Werken Jurek Beckers besticht, ist seine unprätentiöse, aber dennoch spannende Erzählweise, sein beinahe einzigartiges Talent, Tragödie und Komödie in Romanform verschmelzen zu lassen.”3

 

Obwohl einige Romane jüdische Protagonisten aufweisen, blieb Beckers Verhältnis zum Judentum distanziert:

 

„Sooft ich in der Vergangenheit nach Herkunft und Abstammung gefragt worden bin, (…)  habe ich geantwortet: Meine Eltern waren Juden. … Wenn der Frager mitunter dann konstatierte: Sie sind also Jude, berichtigte ich ihn jedes Mal, indem ich noch einmal meine Formel sagte: Meine Eltern waren Juden. Der Unterschied schien mir irgendwie wichtig zu sein, ohne dass ich ihn jemals zum Gegenstand von Gesprächen gemacht hätte; ja, nicht einmal zum Gegenstand von Überlegungen.”⁴

 

Jurek Becker starb 1997 an Darmkrebs, der im Dezember 1995 im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert worden war. Sein Grab befindet sich auf seinen eigenen Wunsch hin auf dem Friedhof in Sieseby. Er hinterliess eine Ehefrau und drei Söhne. Während einer Chemotherapie meinte er einmal zu seiner Frau Christine:

 

„Weisst du, wenn ich sage, ich wollte noch so viel machen, wäre das eine Lüge. Wer sagt, dass es besser ist, mit 70 zu sterben als mit 60? Ich habe alles erreicht, was ich wollte.”5

 

 

Anmerkungen

 

1 https://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/nachruf-jurek-becker-a-213395.html

2 ebd.

3 https://titel-kulturmagazin.net/2022/03/14/menschen-vor-25-jahren-starb-jurek-becke/

4 https://www.alice-miller.com/de/auf-der-suche-nach-der-eigenen-geschichte-der-schriftsteller-jurek-becker/

5 https://www.juedische-allgemeine.de/allgemein/das-raetsel/