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Interview mit Frau Jolanta Róża Kozłowska, der Botschafterin der Republik Polen in Österreich

Christoph TEPPERBERG

Inhalt

DAVID: Sehr geehrte Frau Botschafterin! Sie haben Anfang Oktober 2017 Ihr Amt hier in Wien angetreten und konnten sich hoffentlich schon ein wenig an Ihrem neuen Dienstort einleben. Finden sie markante Unterschiede oder auch Gemeinsamkeiten zwischen Wien und Warschau? Gibt es in Österreich Orte oder Dinge, die Sie in besonderer Weise an Ihre polnische Heimat erinnern? 

 

Frau Botschafterin: Ich habe das Gefühl mich in Wien sowie in anderen Städten hier in Österreich, die ich bisher besucht habe, wie zu Hause zu fühlen. Vielleicht liegt es daran, dass ich meine Wurzeln in einem Dorf an der Weichsel habe, im nördlichsten Teil des ehemaligen Galiziens in der ehemaligen Donaumonarchie. Dies war einst die Wojewodschaft Lemberg, heute ist es Vorkarpaten. In Wien spüre ich auch die Atmosphäre der Stadt meiner Jugend, Krakau, das man als das kleinere Wien bezeichnen könnte: Eine Grosstadt, aber trotzdem gemütlich, voller Musik, intellektuell und duftend nach Kaffee.  

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Die Botschafterin der Republik Polen in Österreich, Jolanta Róża Kozłowska. Foto: Arkadiusz Zbiżek, mit freundlicher Genehmigung

 

DAVID: Gibt es – über Ihre dienstliche Alltagsroutine hinaus – spezielle Aufgaben, denen Sie sich in Wien in besonderer Weise widmen möchten? 

 

Frau Botschafterin: Ein Fundament für die Werbung eines jeden Landes stellen meines Erachtens Kultur und Kunst dar, der beste Weg um die Köpfe und Herzen der Menschen zu bewegen. Unser gemeinsames kulturelles Erbe ist ja nicht nur die Entsatzschlacht von Wien, deren 335-jähriges Jubiläum wir am 12. September 2018 feiern werden, sondern auch die Präsenz vieler Polen, die das kulturelle und politische Leben Wiens und Österreichs mitgeprägt haben. Zu nennen wären da z. B. Chopin, Badeni, Gołuchowski, Ossoliński, Kiepura sowie viele Künstler der Gegenwart mit besonderen Beziehungen zu Österreich. 

 

DAVID: Im historischen Polen gab es eine signifikant grosse jüdische Community. Welchen Stellenwert hat das Judentum im heutigen Polen? Welche Kontakte gibt es zwischen dem offiziellen Polen und der jüdischen Community? Wie gestalten sich diese Kontakte?

Frau Botschafterin: Ja, das stimmt, vor dem Zweiten Weltkrieg lebte in Polen – nach den USA –  weltweit die grösste jüdische Gemeinde. Leider hatte der deutsche Überfall auf Polen 1939 sowie die mit eiserner Konsequenz und Brutalität durchgeführte Vernichtungspolitik nicht nur die Ermordung von drei Millionen polnischer Staatsbürger jüdischer Abstammung, sondern auch die fast völlige Zerstörung der einzigartigen und aussergewöhnlich wertvollen Zivilisation der polnischen Juden zur Folge. Heute sind wir bemüht, Spuren dieser Vergangenheit als einen wichtigen Bestandteil der polnischen, aber auch als Teil der jüdischen Geschichte zu bewahren. Hierfür steht beispielsweise das Museum der Geschichte der Polnischen Juden „Polin“, eines der meist besuchten Museen in Warschau. Landesweit werden Projekte zum Wiederaufbau und Konservierung von Baudenkmälern jüdischer Kultur, darunter auch von religiösen Einrichtungen, durchgeführt. Diese Aktivitäten werden von in Polen tätigen jüdischen Organisationen, wie der Stiftung zum Schutz des Jüdischen Erbes mit Unterstützung von Regierungsinstitutionen auf zentraler und regionaler Ebene durchgeführt.

Die Beziehungen zwischen dem polnischen Staat und den jüdischen Gemeinden werden durch ein Gesetz geregelt, das auch Vorschriften zum jüdischen kommunalen Vermögen enthält. Der Staat unterstützt u. a. das Kultivieren von jüdischen Festen und religiösen Traditionen der polnischen Juden, zahlreiche Festivals der jüdischen Kultur werden organisiert. Staatspräsident Andrzej Duda und seine Gattin empfingen im Dezember in ihrem Sitz, dem Präsidentenpalais, Gäste zur gemeinsamen wunderschönen Zeremonie des Kerzenanzündens am Chanukka-Fest.

 

DAVID: Polen und Juden haben in besonderer Weise unter den Gräuel der NS-Herrschaft gelitten. Gibt es Institutionen, Initiativen oder Vereine, die sich mit der Aufarbeitung dieser gemeinsamen leidvollen Geschichte beschäftigen und werden diese durch die heutige polnische Administration unterstützt?

Frau Botschafterin: Die von den deutschen Nazis durchgeführte Vernichtung betraf im grossen Ausmass nicht nur polnische Bürger jüdischer Abstammung. Auch viele Polen fielen dem NS-Terror zum Opfer. Dies gilt vor allem für die polnische Intelligenz, Vertreter von Kultur, Wissenschaft und Priester. Den Besatzern ging es vornehmlich darum, das polnische Volk seiner Führungsschicht zu berauben und jene Menschen zu töten, die sich nicht versklaven und ihre nationale Identität nicht wegnehmen lassen wollten. Die deutsche Besatzung verfolgte das Ziel der Vernichtung der Juden sowie der Versklavung und Zerstörung des polnischen Volkes mit seinem gesamten Erbe.

Daher wurde z. B. Warschau, das vor dem Krieg einen der weltweit grössten Anteile an jüdischer Bevölkerung aufwies, zu einem Ort, an dem im Ghetto Hunderttausende von Juden zusammengepfercht wurden. Die letzten der jüdischen Überlebenden leisteten beim deutschen Versuch der endgültigen Liquidierung des Ghettos im April 1943 bewaffneten Widerstand. Über ein Jahr später, im August 1944, brach in Warschau ein allgemeiner Aufstand aus, der für hunderttausende von Warschauern in einer Tragödie endete. Die Stadt selbst wurde völlig zerstört. Eine Stadt, zwei Aufstände, zwei Akte des grössten Heroismus angesichts eines unmenschlichen Terrors. Diese Erinnerung bleibt in Polen stets wach. Und als Teil davon gilt die Pflege und Fürsorge der in ganz Polen befindlichen Orte des Holocausts sowie der Ermordung der Polen. Dies wird, wie bereits erwähnt, sowohl auf zentraler als auch auf regionaler Ebene aus öffentlichen Mitteln finanziert.

 

DAVID: In Polen befindet sich eine grosse Zahl von Gedenkstätten an den Holocaust, allen voran die grosse Gedenkstätte in Auschwitz-Birkenau. Welche würden Sie persönlich als Erinnerungsorte dieser gemeinsamen polnisch-jüdischen Leidensgeschichte bezeichnen?

 

Frau Botschafterin: Es ist schwierig nur einen Ort zu finden. Auschwitz-Birkenau war das grösste Vernichtungslager. Es gibt aber auch viele andere Orte, die nicht so gut erhalten und die beispielsweise von den deutschen Besatzern bewusst zerstört worden sind, um Spuren der eigenen Verbrechen zu beseitigen.  Oft handelt es sich dabei um s. g. Todeslager, deren Einrichtung und Funktionieren nur ein Ziel verfolgen sollte: Die sofortige Vernichtung der dorthin verbrachten Menschen. Ich meine hier vor allem die ehemaligen Vernichtungslager in Treblinka, Sobibór und Bełżec. An jedem dieser Ort kamen hunderttausende von Juden ums Leben (allein in Treblinka 900 Tsd.). Man ist dabei, weitere konservatorische Arbeiten durchzuführen, um das Gelände dieser Lager zu Gedenkstätten umzuwandeln und um die Erinnerung an die dort begangenen Verbrechen aufrechtzuhalten, wo auch eine würdevolle Behandlung der Asche und der sterblichen Überreste der Toten sichergestellt werden könnte. Diese Arbeiten wurden im ehemaligen Todeslager Bełżec bereits vollständig abgeschlossen. Weit fortgeschritten sind die Arbeiten in Sobibór. Wir Polen haben aber bedauerlicherweise stets daran zu erinnern und es richtigzustellen, dass all diese Lager von den NS-deutschen Besatzern errichtet und betrieben wurden. Obwohl sie sich in den von den Deutschen besetzten polnischen Gebieten befanden, dürfen sie unter keinen Umständen als „polnische Lager“ bezeichnet werden, was leider immer noch häufig anzutreffen ist. 

 

DAVID: Trotz dieser Geschichte des gemeinsamen Leidens unter dem NS-Regime, gibt es bedauerlicher Weise auch eine Geschichte des polnischen Antisemitismus. Bereits 1946, also ein Jahr nach dem Ende der NS-Herrschaft, gab es das berüchtigte Pogrom von Kielce, aber auch in der Dritten Republik konnte man in Warschau antisemitische Kritzeleien an Hauswänden oder Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel sehen, ausserdem findet man in Alltagsgesprächen immer wieder antisemitische Anspielungen. Wie würden Sie heute den Antisemitismus in Polen charakterisieren?

 

Frau Botschafterin: Der Antisemitismus gehört zu den unrühmlichen Traditionen Europas. Im Mittelalter stellte Polen einen Ort der besonders intensiven Ansiedlung der jüdischen Bevölkerung dar, die hier vor Vertreibungen bzw. Verfolgungen an anderen Orten Europas Zuflucht gefunden hatte. Polen war jahrhundertelang das religiöse und kulturelle Zentrum jüdischen Lebens. Bis heute bleibt auch die Erinnerung an jene polnische Juden wach, die an den polnischen Freiheits- und Unabhängigkeitskämpfen teilgenommen haben. 

In den polnisch-jüdischen Beziehungen gab es auch drastische Fälle von Antisemitismus, wie beispielsweise die Tötung von Juden in Podlachien (Podlasie) 1941 oder der bereits erwähnte Pogrom von Kielce. Es gab die s. g. „szmalcowniks“, die Juden gegen Entgelt an Deutsche ausgeliefert und jene erpresst haben, die sich verstecken mussten. Wir sprechen offen von diesen unrühmlichen Kapiteln unserer Geschichte. Diese Ereignisse dürfen aber nicht mit den von den Nazideutschen begangenen Verbrechen gleichgestellt werden. Ein schandbares Verhalten einzelner Personen darf nicht dazu berechtigen, die Mitverantwortung für den Holocaust auf das gesamte polnische Volk und den polnischen Staat auszuweiten, was manchmal in den ausländischen Medien versucht wird. Wir haben auch daran zu erinnern, dass für den Polnischen Untergrundstaat und die Polnische Exilregierung (in London) die Kollaboration mit den Deutschen als Verrat galt, der mit der Todesstrafe bedroht war. Im besetzten Polen funktionierte unter dem Schutz des Polnischen Untergrundstaates der Rat für die Unterstützung der Juden „Żegota”, eine europaweit einmalige Initiative. Ihr Ziel war die Hilfe verfolgter Juden. In dieser Organisation war der junge Władysław Bartoszewski aktiv, der Jahre später von 1990-1995 der erste Botschafter eines freien Polens in Wien war.

Für alle polnischen Regierungen nach der Wende von 1989 galt der Grundsatz, dass es für Antisemitismus, ähnlich wie für Rassismus sowie andere Anzeichen der Xenophobie keinen Platz gibt im öffentlichen Leben. Das wurde auch jedes Mal öffentlich betont. Trotz einiger Zwischenfälle, bilden in Polen jene Milieus, die sich auf antisemitische bzw. fremdenfeindliche Parolen berufen, lediglich eine Randerscheinung.

Laut Statistik ist die Zahl der antisemitischen Übergriffe in Polen viel geringer als in vielen anderen europäischen Ländern. Ein unter dem Deckmantel des Antizionismus agierender Antisemitismus ist in Polen praktisch nicht vorhanden.

 

DAVID: Die Republik Polen hat sich seit 1989 in ganz erstaunlicher Weise zu einem erfolgreichen Staat im vereinten Europa entwickelt, einem Bindeglied zwischen West und Ost. Es stellt zurzeit sogar den Präsidenten des Europäischen Rates. Sehen Sie für die Republik Polen eine besondere Rolle oder Schwerpunkte innerhalb Europas bzw. der Europäischen Union?

 

Frau Botschafterin: Ja das stimmt. Polen hat sich in diesen drei Jahrzehnten gewaltig verändert. Als NATO- und EU-Mitglied möchte Polen heute diese Organisationen mitgestalten. Nach neuesten Umfragen unterstützen ganze 84 % der polnischen Bevölkerung die polnische Mitgliedschaft in der EU. Dies ist eines der besten Ergebnisse in ganz Europa. Unser Land zeigt sich nicht nur aktiv in seinen Bemühungen um gute bilaterale Beziehungen zu seinen östlichen Nachbarn, sondern unterstützt auch deren Zusammenarbeit mit der EU im Rahmen u. a. der östlichen Partnerschaft. Es ist für uns wichtig, dass unsere östlichen Nachbarn in der EU einen soliden Partner und Verbündeten auf dem Weg der Reformierung und Modernisierung ihrer Staaten erkennen. 

 

DAVID: Was sollten Ihrer Meinung nach die Republik Polen und die Europäische Union in ihrem Verhältnis zu Israel besonders zu berücksichtigen?

 

Frau Botschafterin: Ein besonderes Augenmerk in den Beziehungen zu Israel ist vor allem auf die spezifischen geopolitischen Rahmenbedingungen zu richten, unter denen der Staat Israel in der nahöstlichen Realität zu funktionieren hat. Polen nimmt darauf Rücksicht und präsentiert deshalb auf EU-Foren und in anderen internationalen Organisationen konsequent eine ausgewogene, realistische Haltung gegenüber Israel selbst, wie auch in Hinblick auf die Möglichkeiten der Wiederbelebung des Friedensprozesses mit der palästinensischen Seite. Darüber hinaus unterstützen wir eine vertiefte Zusammenarbeit zwischen der EU und Israel. Gegenwärtig bieten sich zudem auch grosse Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Israel auf dem Gebiet von Forschung und Entwicklung sowie der Hightech-Technologien, der Cybersicherheit, des Kampfes mit dem globalen Terrorismus sowie im Bereich des Dialogs zwischen Religionen und Zivilisationen.

 

DAVID: Sehr geehrte Frau Botschafterin, herzlichen Dank für das informative Gespräch!

 

Für die österreichischen Juden, Wissenschafter, Kulturschaffenden und Medienvertreter steht völlig ausser Frage, dass diese Lager ausschliesslich von den NS-Besatzern errichtet und betrieben wurden. Wenn da und dort der Begriff „polnische Lager“ verwendet wurde, dann lediglich als geografisch-topografische Bezeichnung. Bei der internationalen Antisemitismus-Konferenz („An End to Antisemitism!“), die vom 18. – 22. Februar 2018 an der Universität Wien tagte, wurde von den versammelten Wissenschaftern eine Resolution verabschiedet.

Darin wird die polnische Regierung aufgefordert von der geplanten Änderung des „Gesetzes über das Institut des Nationalen Gedenkens“ Abstand zu nehmen.

Durch die geplante Gesetzesänderung werde die Freiheit der Forschung und die freie Meinungsäusserung erheblich beeinträchtigt. Zugleich wird jedoch eingeräumt, dass der Begriff „polnische Vernichtungslager“ historisch inkorrekt und seine Verwendung daher strikt zu vermeiden sei. (Anm. d. Red.)

 

Zur Person: Mag.a Jolanta Róża Kozłowska, Beginn des Studiums der Musikpädagogik in Kielce, 1980 zweimalige Verhaftung infolge ihres Engagements in der demokratischen Oppositionsbewegung, danach Studium der Musikerziehung an der Universität in Lublin sowie Engagement im Regionalbüro der Solidarność in Lublin, ab 1983 Aufenthalt in Deutschland, 1992 Abschluss des Studiums der Ethnologie an der Universität Freiburg und Rückkehr nach Polen, im polnischen Ministerium für Kultur und Nationalerbe für die Angelegenheiten der deutschen Minderheiten zuständig, 1994-2002 Vizekonsulin in München sowie Generalkonsulin für Bayern und Baden-Württemberg, 2009-2012 Generalkonsulin in Köln, ab 2014 Beraterin für Aussenbeziehungen in der Woiwodschaft Vorkarpaten und Präsidentin der Universitätsstiftung der Universität Lublin in Stalowa Wola. Am 30. September 2017 übernahm sie als Botschafterin der Republik Polen die Leitung der Botschaft in Wien.