Günter Grass/Mathias Döpfner: Die Springer-Kontroverse. Ein Streitgespräch über Deutschland. Herausgegeben von Manfred Bissinger.
Göttingen: Steidl 2006. 62 Seiten, Euro 5,00.-. ISBN 3-86521-352-9 „Ich bin ein nicht-jüdischer Zionist." So lautet ein zentraler Satz aus dem Credo des Mathias Döpfner. Und er fällt recht früh im Meta-Gespräch mit dem Schriftsteller und Nobelpreisträger Günter Grass. Letzterer steht für die linksliberale intellektuelle Elite des demokratischen Nachkriegsdeutschland. Ersterer für einen Medienkonzern, der vor allem mit einem konservativen Boulevardjournalismus assoziiert wird... Dieser Antagonismus, welcher sich im Zuge der 1968er Studentenrevolte noch gewaltsam entlud, treibt heutzutage kaum mehr jemanden auf die Straße. Nichtsdestotrotz bleiben viele mit ihm verbundene Fragen ungeklärt: die Macht des Kapitalismus, das Verhältnis zu Amerika und – fast selbstredend – auch das zum jüdischen Staat. Zur Klärung – sowohl der nach wie vor bestehenden Differenzen als auch der jeweils eigenen „Fehler" trafen Döpfner und Grass sich zum Dialog, der pikanterweise von Manfred Bissinger, dem ehemaligen Chefredakteur der linksradikalen Zeitschrift „Konkret" und heutigen Geschäftsführer des Hoffmann und Campe Verlags moderiert wurde und nunmehr – von ihm herausgegeben – auch in Buchform vorliegt. Auslöser war Döpfners Bitte an den Schriftsteller, ein Manuskript zum 20. Todestag Axel Springers zu verfassen. Doch vergeblich: Grass blieb bei seinem seit mehr als 40 Jahre andauernden Boykott des Verlagshauses. Immerhin erklärte er sich zu einem Gespräch bereit. Der sich hieraus ergebene Dialog ist nicht nur deshalb interessant, weil sich in der Diskussion die historischen Spannungen und nach wie vor ungelösten Widersprüche dieser Republik widerspiegeln, sondern auch aufgrund der unvermeidbaren Tatsache, dass es sich um ein Gespräch unter „Ungleichen" handelt: Während Döpfner gewissermaßen als „Nachlaßwalter" Springers auftritt, der weder den Firmengründer kannte noch Zeitzeuge ist und sich folglich in die Kontroverse einlesen musste, war Grass an den damaligen Geschehnissen mehr oder weniger unmittelbar beteiligt. Allerdings nimmt er für sich in Anspruch, in den einstigen Auseinandersetzungen als ein vom Axel Springer Verlagshaus unerkannter und ungewürdigter Mittler zwischen den Fronten denn als Partei gewirkt zu haben. Als solcher betrachtet der Schriftsteller sich auch in aktuellen Debatten. Den Springer-Zeitungen wirft er vor, Kritiker der „gefährlichen Führung" der USA „mit dem Schlagetotwort ‚Antiamerikanismus’ wegzubügeln", wodurch er sich in seiner „Meinungsfreiheit" eingeschränkt fühle. Auf ein kurzes Lob demokratischer Errungenschaften der USA folgt ein Einmaleins des Antiimperialismus – von der „Kritik" an amerikanischer Unterstützung für diverse diktatorische Regime bis hin zu den „Kriegsverbrechen" von Hiroshima und Nagasaki. Nicht fehlen darf natürlich der aktuelle Bezug: die Erwägung der USA, nötigenfalls Nuklearwaffen gegen den Iran einzusetzen. Es fällt Döpfner zu, die Einseitigkeit in Grass’ Amerika-„Kritik" mit geduldigen Argumenten auszutarieren und zu differenzieren, so etwa durch den Hinweis auf die Vernichtungsdrohungen des iranischen Präsidenten gegenüber Israel. Woraufhin Grass entgegnet: „Aber natürlich bin ich dagegen, Himmelherrgott – Sie bekennen sich zu Israel, ich bin auch für den Fortbestand Israels, aber ich nehme auch zu Kenntnis, dass Israel Atomwaffen hat. Und darüber spricht kein Mensch." Es ist diese Dialektik des „Ja, aber" – der dem Gemeinten vorausgeschickte Lippendienst zwecks Prophylaxe – mit der Grass sein Ressentiment gegenüber den USA und Israel, welches Tabus halluziniert und den „Kritiker" als Opfer einer sanktionierenden Macht darstellt, ein ums andere Mal exhibiert. Man muss kein Bild-Zeitungs-Leser sein, um sich an der beleidigten Selbstgerechtigkeit des Dichters zu reiben. Ebenso wenig muss man sich als Konservativer definieren, um zu realisieren, dass es Döpfner ist, welcher die kritische Auseinandersetzung – gerade auch mit problematischen Aspekten der Vergangenheit seines Hauses und seines Landes – sucht und nicht Grass, der von vornherein seine Parteinahme für die Gegner Springers abstreitet und sich als vermeintlich neutrale Instanz verortet. Für den aufklärungsinteressierten Leser – gleich welcher politischen Couleur – ist „Die Springer Kontroverse" ein authentisches und überzeugendes Zeitdokument, auf dessen zweiten Teil man gespannt sein darf, vermittelt es doch sowohl einen Eindruck der ungelösten Probleme der Republik, als auch unvermittelte Einblicke in die geradezu diametralen Lehren, die in Deutschland aus dem Holocaust gezogen wurden: Döpfner ist Zionist. Was aber ist Grass?