Ausgabe

Friedliches Miteinander in Bombay

Bernd KUBISCH

Content

Touristenansturm in der Paradesi Synagoge in Kerala



Bombay - Außer den jüdischen Bürgern kennen in der Millionenmetropole Bombay (heute offiziell „Mumbai") nur Historiker, wenige versierte Taxifahrer und die Nachbarn die sieben oder acht Synagogen der Stadt. Die Etz Haem Prayer Hall in einem Viertel mit vielen engen Straßen ist besonders schwer zu finden. Touristen verirren sich selten hierher.

Ein freundliches «Shalom» zwischen Juden, Moslems, Christen und Hindus ist alltäglich in dem gemeinsam bewohnten Gebäude mit jüdischer Gebetshalle.


Cochin im Bundesstaat Kerala, Jüdischer Friedhof. Foto: Bernd Kubisch

Cochin - Viel lebhafter ist es an der Paradesi Synagoge in der Altstadt von Cochin im südlichen Bundesstaat Kerala am Arabischen Meer. Die Synagoge zieht täglich bis zu 1500 Menschen, fast alles Touristen an.

Die jüdische Gemeinde ist auf etwa ein Dutzend Mitglieder geschrumpft, die fast alle 75 Jahre und älter sind. Die gesamte Altstadt von Cochin, auf indisch Kochi, ist Touristenmagnet, auch für Gäste aus den USA, aus Deutschland, der Schweiz, aus Österreich und Israel.

Der kleine Staat Kerala, in dem Lebensstandard, Bildung und Englisch-Kenntnisse deutlich über dem indischen Durchschnitt liegen, lockt die Fremden mit seinen Stränden, Bootstouren, Elefanten- und Naturparks sowie historischen Tempeln. Hauptattraktionen in Cochin, das gut 600.000 Einwohner hat, sind das Fort, der Hafen mit seinen chinesischen Hebenetzen, die Santa Cruz Basilika und die Synagoge im Stadtviertel Mattancherry.

«Synagogue Lane» und «Jew Town» prangen als Adressenhinweis und Werbung an vielen Ladenschildern in der Gasse, die zur Synagoge führt. «Craftex», «Kerala Art Emporium», «Little India» oder «Madonna Exports» heißen die knapp 30 Geschäfte, die Antiquitäten, religiöse Reliquien, Saris, Tee, Gewürze und auch viel Ramsch anbieten. Ein Schild weist die Richtung zum nahen jüdischen Friedhof.

Zur Synagoge hin wird die kleine Straße enger. Der weiße Uhrturm des jüdischen Gotteshauses am Ende der Gasse ist von weitem sichtbar. An einem Schild unweit der Eingangstür zur Synagoge steht: «World Monuments Fund (WMF), Jewish Heritage Program». Es wird erklärt, dass dieses Programm jüdisches Erbe mit kultureller und künstlerischer Bedeutung bewahrt und unterstützt. Weiter heißt es (in Englisch): «Die Paradesi Synagoge wurde 1568 von ischen, holländischen und anderen europäischen Juden erbaut. Der Uhrturm wurde 1760 hinzu gefügt.»


Bombay: Gassenkreuzung, Blick auf jüdisches Gebetshaus Etz Haem Prayer Hall, auf das das kleine blaue Schild an der Fassade hinweist - in dem Gebäudekomplex leben friedlich Juden, Christen, Hindus, Moslems und grüßen einander sich häufig mit "Shalom". Foto: Bernd Kubisch

«Paradesi» heißt in einigen indischen Sprachen «Ausländer». Das Gebäude ist Historikern zufolge die älteste erhaltene Synagoge auf dem indischen Subkontinent und im gesamten Commonwealth der ehemals britischen Kolonien. Als sich im 14. und 15. Jahrhundert jüdische Familien aus Europa im indischen Süden und in Cochin ansiedelten, lebten die Malabari-Juden schon viele Jahrhunderte in der Region und waren im Gewürzhandel sehr erfolgreich, wie Chronisten berichten.

Die Paradesi Synagoge, in einigen Reiseführern auch Mattancherry Synagoge genannt, entstand unter Patronage der Holländer. Heute flanieren und handeln Frauen in farbenprächtigen Saris in der Judengasse. Auch Touristen mit Rucksack, Sikhs mit Turban und Araber im Kaftan sind hier Kunden: Herkunft, Kleidung und Religion der Menschen sind verschieden, ihr Ziel dasselbe: Ein Schnäppchen in der exotisch-orientalischen Gasse und ein Besuch in der Synagoge. Mancher bleibt zehn Minuten hier, um eine weitere Sehenswürdigkeit abzuhaken, andere verweilen über eine Stunde und werfen immer wieder einen Blick auf die Fotos und Erklärungen in ihrem Kulturführer. Fotografieren im Gebäude ist nur mit vorher beantragter Sondergenehmigung möglich.

«Tut mir leid, Sie müssen Ihre Kamera abgeben», sagt der Mann an der Kasse. Umgerechnet keine zehn Cent kostet der Eintritt. Da gibt der ausländische Gast gern ein paar Münzen zusätzlich für die Erhaltung der Synagoge. Der Mann an der Kasse heißt Mister K.J. Joy, ist um die 40 und sagt auf Englisch: «Ich bin Katholik und Verwalter der Synagoge». Heute sei es recht ruhig, in der touristischen Hauptsaison, im Dezember, kämen pro Tag bis zu 1500 Besucher. Joy fügt hinzu: «Juden, Christen, Hindus haben hier ein gutes Verhältnis.

Ich mag die Juden, sie sind hilfsbereit und freundlich, leider gibt es nur noch wenige im Viertel.»

Antisemitismus gab und gibt es unter den 1,1 Milliarden Einwohner Indiens so gut wie keinen. Das bestätigen auch Juden in Cochin und in Bombay.Der Mattancherry-Palast, auch Holländischer Palast (Dutch Palace) genannt und die Synagoge stehen Mauer an Mauer. Das Innere des Gotteshauses ist mit chinesischen Fußbodenkacheln geschmückt, und mit Kronleuchtern aus Belgien. Die Kacheln aus dem 18. Jahrhundert sind handbemalt, die Bänke sind aus Holz und Korbgeflecht. Eine Treppe führt zu weiteren Plätzen hinauf.

«Wir reden nicht gern mit Vertretern der Presse, wir haben schon viele schlechte Erfahrungen gemacht.» Dies sagt einer der letzten zwölf jüdischen Bürger im Viertel namens Hallegua. Er mag auch nicht fotografiert werden. Dann plaudert er doch noch eine Weile und hört sich gern einen Bericht über eine Begegnung mit Juden im weit entfernten Santiago de Cuba an. Das bricht das Eis.

«Unsere Gemeindemitglieder sind fast alle nach Israel ausgewandert. Wir werden hier in Cochin wohl bald aussterben», sagt Mister Hallegua. Er schaut auf ein paar lachende junge Touristen mit langen Haaren. Dann hat er genug vom lebhaften Straßenleben, geht langsam in sein Haus zurück. Das liegt fünf Fußminuten von der Synagoge entfernt. Zu ihr spaziert der alte Herr so oft wie möglich, «so lange es meine Gesundheit zulässt», sagt er zum Abschied.

Wenige Häuser weiter lebt der 80-jährige Salem, dem sein Alter nicht anzusehen ist. «Ich war Jude, früher», erzählt er. Weiter will er darüber nicht reden. Er fügt nur hinzu: «1948 begann die Auswanderung nach Israel. Früher lebten 2.000 oder 3.000 Juden hier in der Cochin-Region. Wir hatten sieben Synagogen.» Dann grüßt der 80-Jährige eine alte Frau mit weißem Haar, die aus der Haustür tritt. An den Besucher aus Deutschland gewandt sagt Salem: «Sie trauert. Ihr Bruder starb unlängst. Ihre Familie, Cohen, ist eine sehr angesehene jüdische Familie.»

Bombay: Innenraum Etz Haem Prayer Hall. Foto: Bernd Kubisch

Bombay - Szenenwechsel vom eher beschaulichen Cochin in das quirlige Bombay, das gut 1.400 Kilometer weiter nördlich im Bundesstaat Maharashtra liegt und zwölf Millionen Einwohner hat. Bhushan Gagrani, Managing Director der Maharashtra Tourism Development Corporation, hilft bei der Suche nach der kleinen Synagoge Etz Haeem Prayer Hall, die in einem Wohnhaus, etliche Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegt. Er studiert einen Stadtplan, blättert in einer Broschüre, schaltet seine Assistentin Ketana Patil ein: Sie gibt dem Taxifahrer exakte Instruktionen.

Die Fahrt geht vorbei an einer katholischen Kirche, etlichen Hindutempeln und einer großen Moschee, die in der Nähe der jüdischen Gebetshalle steht. Eine junge Frau, die der Taxifahrer anspricht, hilft: «Die Synagoge ist da drüben», sagt Lavina D‘Costa. Sie zeigt auf das Gebäude vis á vis ihres Wohnhauses. Das Haus an der Balu Changu Ecke Patil Path hat eine gepflegte, helle Fassade, sieht schmucker aus als die meisten anderen Gebäude. In dem Viertel hier leben viele, die zum Mittelstand gehören. «Etz Haeem Prayer Hall», steht am Hauseingang. Judenstern und hebräische Schriftzeichen leuchten auf blauem Grund an weiß gestrichenen Fenstern im zweiten Stock.

«Gehen Sie einfach hinein und die Treppe hinauf, klopfen Sie», sagt Lavina D‘Costa. Die junge Frau stammt aus dem früher portugiesischen Goa und ist Katholikin. Dann verabschiedet sie sich mit «Shalom». Im Haus mit der Gebetshalle im zweiten Stock leben jüdische, muslimische, christliche und hinduistische Familien. Das Wort «Shalom» geht allen leicht über die Lippen. Es ist ein Gruß der Freundschaft und der gegenseitigen Respektbekundung.

«Wir haben eine kleine heile Welt und wünschen uns, es könnte auch woanders so sein.» Dies sagt Aaron Daniel (77). Er und Michael Joseph (56) freuen sich über jeden Besucher, besonders wenn er aus dem Ausland kommt. Daniel ist der Verwalter der Synagoge. Joseph lebt im 1. Stock und sagt: «Ich bin hier aufgewachsen. Mein Vater war früher der Schammes. Auch vier jüdische Familien leben im Haus. Unsere kleine Gemeinde hat 150 Mitglieder.»Daniel schätzt, «dass noch etwa 4.000 Juden in Bombay leben, in ganz Indien vielleicht 7.000 oder 8.000». Sieben oder acht Synagogen gebe es in Bombay. Der 77-Jährige zeigt voller Stolz die Gebetshalle. Thora, Gewänder, historische Bücher und Schriften, alles wird von ihm gepflegt. Blitzsauber ist es in dem Raum. Leuchter, Verzierungen und Schriften glitzern in Silber und Gold.

Zwar gibt es immer mehr Millionäre in der quirligen, wirtschaftlich boomenden Metropole - in der Industrie und in der Filmbranche «Bollywood» etwa. Aber die Armut in weiten Teilen der Bevölkerung der Zwölf-Millionen-Stadt ist sehr groß. Hunderttausende wohnen am Stadtrand in dürftigen Hütten aus Holz, Blech und Plastikplanen. Auch viele Menschen mit fester Behausung leben von der Hand in den Mund.

Zum Besuch der großen Magendavid Synagoge bleibt keine Zeit mehr. Der Fahrer stoppt kurz bei der Keneseth Eliyahoo Synagoge, einem wuchtigen Gebäude in himmelblauer Farbe. Hier ist es lebhaft. Autos hupen, Menschen mit Aktentaschen, Körben und großen Tüten laufen die schmale Straße entlang. Es ist 17.30 Uhr - Rush Hour in Bombay. Das Taxi steckt im Stau. Der Fahrer denkt an die beschauliche Atmosphäre und die ruhige Gasse mit der Etz Haeem Prayer Hall und sagt: «Wenn es überall auf der Welt so harmonisch zwischen den Religionen wäre wie in diesem jüdischen Haus - wir hätten das Paradies auf Erden.»