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"Wir wollten unter unserer eigenen Flagge kämpfen"

Dana Claudia Grigorcea

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Sie halfen Großbritannien, den Krieg gegen Nazideutschland zu gewinnen. Ihr Einsatz gab Tausenden Holocaust-Überlebenden Mut und Hoffnung. Innerhalb des Kriegsgeschehens sollten sie nur eine unbedeutende Rolle spielen, so sahen es die Alliierten. Doch sie wollten mehr. Sie veränderten die Nachkriegspolitik und schrieben Geschichte: Die Männer der Jüdischen Brigade.

Etwa 5000 Männer aus Palästina meldeten sich im II. Weltkrieg freiwillig, um unter britischer Führung gegen die deutsche Wehrmacht zu kämpfen. Die meisten von ihnen waren Emigranten, die sich im britischen Mandatsgebiet Palästina ein besseres Leben aufbauen wollten. Manche von ihnen träumten sogar davon, einen nationalen Staat zu gründen. Endlich sollten die Juden eine sichere Zuflucht haben. Doch der Ausbruch des II. Weltkrieges setzte neue Prioritäten. Der Kampf gegen Nazideutschland schien nun wichtiger als der Traum vom eigenen Staat. "Da ging es nicht um irgendeinen Krieg im fernen Europa", erinnert sich ein Mitglied der jüdischen Brigade an den Kriegsausbruch. "Da ging es um das Wohl unserer Familien. Europa war immer noch unsere Heimat, dort wohnten unsere Mütter, unsere Väter, unsere Geschwister. Wir wollten kämpfen, und zwar unter eigener Flagge". Ein Wunsch, den die Briten bis 1944 zu verhindern wussten. Ihnen war klar: Militärisch gut ausgebildete Männer, die gegen die deutsche Wehrmacht kämpften, waren nach Kriegsende durchaus in der Lage, mit Waffengewalt für einen eigenen Staat Israel einzutreten und dabei englische Kolonialinteressen zu bekämpfen. Doch angesichts geheimer Meldungen über deutsche Gräueltaten an der jüdischen Bevölkerung überdachte der britische Premierminister Winston Churchill 1944 die Haltung der Briten. "Die Juden", so schrieb er in einem persönlichen Telegramm an Präsident Roosevelt, hätten "vor allen anderen das Recht, als erkennbare Einheit gegen die Deutschen zu kämpfen". Nur wenige Tage später löste eine Radionachricht der BBC unter den jungen freiwilligen Soldaten in Israel einen Freudentaumel aus: "Die Regierung Seiner Majestät hat die Aufstellung einer Jüdischen Brigade beschlossen, die an den aktiven Operationen teilnehmen soll. Kern dieser Infanterie-Brigade werden die jüdischen Bataillone des Palästina-Regiments sein". Die jungen Soldaten zeigten sich kämpferisch: "Wir brachen ein Tabu", erinnert sich ein Veteran der Jüdischen Brigade an die Mission in Europa. "Wir wollten der Welt und uns selbst beweisen, dass wir nicht nur Opfer sind. Wir wollten beweisen, dass Juden kämpfen können". Auf ihren Uniformen prangte der gelbe Davidstern. Doch der gelbe Stern war nicht länger Stigma, nicht länger Symbol für Ausgrenzung und Verfolgung, sondern selbstbewusstes Zeichen eigener Stärke und Kampfbereitschaft.

Bis heute erinnern sich die Zeitzeugen der Jüdischen Brigade an ihren Einsatz in Europa, schildern ihre Fronterlebnisse, berichten von ihrer Freude über den Sieg gegen Nazideutschland, aber auch von ihrer Ohnmacht und ihrer Wut, angesichts der ersten Holocaust-Opfer, denen sie begegneten. Als im Chaos der letzten Kriegstage viele Nazis über die
deutsch-österreichische Grenze nach Italien und weiter nach Südamerika flüchteten, entschlossen sich die Soldaten der Jüdischen Brigade, selbständig einzugreifen. Sie fanden sich zu kleinen Gruppen zusammen und zogen auf Nazi-Jagd. Was damals wirklich geschah, wie viele Menschen zur Verantwortung gezogen wurden, wissen bis heute nur die Soldaten der Jüdischen Brigade. Bis zum heutigen Tag rätseln ehemalige britische Militärpolizisten und deutsche und österreichische Kriminalbeamte über eine Vielzahl ungeklärter Mordfälle.

Angesichts des Erfolgs ihrer Eingriffe übernahmen die jüdischen Soldaten immer mehr eigene Initiativen. Hinter dem Rücken der britischen Armee setzten sich die Mitglieder der Brigade für die jüdischen Holocaust-Überlebenden ein und brachen dabei mehr als einmal das Gesetz. Einfallsreich unterstützten sie die so genannten "Displaced Persons" mit dem Notwendigsten, bildeten in DP-Lagern junge Menschen militärisch aus und schmuggelten im Wirrwarr der Nachkriegszeit mehr als 10.000 überlebende Juden illegal nach Palästina. Für die Überlebenden des Holocausts bedeutete das Engagement der Jüdischen Brigade nicht nur materielle Überlebenshilfe: "Können Sie sich vorstellen, nach dem Ghetto und dem ganzen Elend jüdische Soldaten zu sehen? Es war toll. Alle weinten und lachten, lauter Tränen und Glück, alles durcheinander und alles gleichzeitig. Dass Juden aus Palästina kamen, um Juden zu retten! Es war alles sehr, sehr bewegend für uns", erinnert sich ein Holocaust-Überlebender an die erste Begegnung mit den Männern der Jüdischen Brigade. "Sie überschütteten uns mit Liebe. Sie behandelten uns wirklich so, wie man es von Brüdern erwartet. Sie sagten, dass wir es nach Palästina schaffen würden. Sie sagten, sie würden einen Weg finden. Und wir glaubten ihnen." Auch die Männer der Jüdischen Brigade bewegt die Erinnerung an diese Begegnungen bis heute: "Wir waren keine Heiligen, keine Ritter", erinnert sich einer der Veteranen an das damalige Engagement. "Wir waren einfach israelische Jungs, die begriffen hatten, dass man für die eigenen Leute einsteht, notfalls mit dem eigenen Leben".

Die Jüdische Brigade, so die Hoffnung der Alliierten, würde nur eine Fußnote in der Geschichte des II. Weltkrieges sein, würde weder den Verlauf des Krieges noch die Gestaltung des Friedens beeinflussen. Doch die Briten hatten Unrecht. Der Kriegseinsatz hatte das Selbstverständnis und die Kampfbereitschaft der jungen Soldaten gestärkt. Nun waren sie bereit, auch für einen eigenen Staat einzutreten.