Ausgabe

Kulturpolitik auf Reisen

Oliver LÁNG

Content

Viele Aufgaben, so weiß man, hat die Kultur. Eine ganz besonders wesentliche ist jedoch die Verständigung zwischen Menschen, Staaten, ja Systemen, und man braucht in der Literatur nicht lange zu suchen, um auf Joseph Haydns belieb-berühmten Ausspruch "Meine Sprache versteht die ganze Welt" zu stoßen. Meinte Haydn jedoch nur die zwischenmenschliche Kommunikation, so kann der Brückenschlag noch viel weiter gehen, über Kunst können Beziehungen verstärkt, kann ohne viele Worte eine größere Wertschätzung ausgedrückt werden, als es so manche Rhetorik erlaubte. Kunst vermag es sogar, neue Wege zu finden (die aufblühenden kulturellen Beziehungen zwischen dem früheren "Osten" und West- und Mitteleuropa in den letzten Jahren sind ein beredtes Beispiel!), vielleicht sogar manche Irritation auszugleichen. Nun muss es, so lautet die logische Fortspinnung des Gedankens, ja geradezu eine der Aufgaben eines Kulturpolitikers sein, sich dieser Kanäle zu bedienen und mittels der Musik, der bildenden Kunst, des Theaters oder welcher Sparte auch immer, die Zusammenarbeit im Inneren und auch zwischen Staaten zu fördern. Und gerade in einem Land, in dem der Titel "kultureller Botschafter" von so vielen – und das zu Recht! – getragen wird, ist diese Möglichkeit eine weit reichende!

Nehmen wir ein aktuelles Beispiel: Nach der Abkühlung der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Österreich im Jahr 1999 war es kein Zufall, dass gerade Kunst-Staatssekretär Franz Morak es war, der den ersten offiziellen Politkerbesuch nach Israel unternahm. Und es mag wohl ebenso kein Zufall sein, dass nur einen Tag, nachdem die Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und Israel bekannt gegeben wurde, die Meldung durch die Nachrichtenagenturen ging, dass Franz Morak gleich ein zweites Mal nach Israel fahren würde.

Bei dieser neuerlichen Reise absolvierte der Staatssekretär eine stattliche Anzahl an Kulturterminen, wobei auch der persönliche Kontakt zu Menschen als besonders wichtig gewertet wurde: Ein Zusammentreffen mit der Jugend stand ebenso wie der Besuch eines Altersheimes1, in dem viele österreichische Emigranten leben, auf dem Programm, selbstverständlich aber auch der Kontakt zur israelischen Politik.

Besuch im Altersheim in Ramat Ghan

Gleich zweimal rückte die Gedenkstätte Yad Vashem in den Mittelpunkt des Besuches: Einmal bei der Einweihung einer Spenderwand, ein andermal bei der Eröffnung der Feierlichkeiten zum 50jährigen Bestehens des Ortes. Yad Vashem ist jene israelische Einrichtung, die 1953 auf Beschluss der Knesset gegründet wurde, um eine Dokumentation des Holocaust und eine Erinnerung an die sechs Millionen ermordeten Juden zu schaffen. Kernstück sind das heute weltweit größte Dokumentationsarchiv und eine zentrale Datenbank, in der die Opfer des Holocaust erfasst sind. Weiters sind ein Museum und der "Saal der Namen" angeschlossenen, eine Gedenkstätte für die ermordeten Kinder, das "Tal der Gemeinden", in dem in Felsgängen die Namen der fünftausend untergegangenen jüdischen Gemeinden zu finden sind, ebenso eine "Allee der Gerechten", in der all jene Platz finden, die sich um die Errettung von Juden in der NS-Zeit bemüht haben.

 Einer der rund 80 Namen, die in diese Allee Eingang gefunden haben, ist jener des österreichischen Komponisten Gottfried von Einem; ein Ansuchen, die 1982 verstorbene Ordensschwester Verena Buben, die der von Kardinal Theodor Innitzer gegründeten "Caritas Socialis" angehörte und sich 1944 für die Errettung eines jüdischen Kleinkindes eingesetzt hatte, aufzunehmen, brachte der Staatssekretär zu den Feierlichkeiten mit.

Geehrt wurde bei der Spenderwand-Einweihung der "Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus", welcher vom Österreichischen Parlament 1995 anlässlich des 50. Jahrestages der Errichtung der zweiten Republik geschaffen wurde. "Dieser Beschluss war zweifellos Ausdruck eines neuen Selbstverständnisses, mit dem das Österreich der 90er Jahre der Zeit des Nationalsozialismus gegenübertrat", so Morak bei seiner Rede zur Ehrung.2

Ansprache anlässlich der Ehrung des Österreichischen Nationalfonds in Yad Vashem

An die 30.000 lebende Opfer des Nationalsozialismus erhielten seit 1995 die Basisleistung des Nationalfonds, "doch sprechen Zahlen in diesem Zusammenhang nur bedingt eine aussagekräftige Sprache", so Morak weiter. "Der Fonds ist der Versuch Österreichs, auf jene Menschen, die während der NS-Zeit verfolgt wurden oder Österreich verlassen mussten, zuzugehen und mittels einer Geste einen Brückenschlag zu versuchen." Weiters wurde zwischen dem Fonds und Yad Vashem eine Zusammenarbeit eingerichtet, die sich von Archivarbeit bis zur Unterstützung des "Saales der Namen" erstreckt.

Anerkennung gab es von höchster Seite, so sprach Israels Vizepremier Ehud Olmert von dem "besten Signal der Normalisierung der Beziehungen zwischen den Ländern".

Wesentlich auch der Besuch Franz Moraks im Altersheim Anita Miller bei Ramat Gan unweit von Tel Aviv, wo er sich bei den Bewohnern entschuldigte "dass Sie nach dem zweiten Weltkrieg keine Einladung erhalten haben, zurückzukehren." – Ein Satz übrigens, der durch die österreichischen Medien ging.

Franz Morak im Gespräch mit Shimon Peres

Dass der Staatssekretär am nächsten Tag bei den Feierlichkeiten rund um Yad Vashem als – einziger europäischer – Politiker anwesend war, ist nicht nur als Ehre für Österreich zu verstehen, es ist vielmehr eine Notwendigkeit und eine Verpflichtung unseres Landes, sich mit der Geschichte zu konfrontieren, mehr noch, sich mit der Vergangenheit auseinander zu setzen und sich auch, ja gerade, den dunklen Erfahrungen mit Ehrlichkeit zu stellen.

Ein weiterer wesentlicher Aspekt der Reise war der Besuch des Internationalen Kammermusikfestivals Jerusalem, das von Elena Bashkirova geleitet wird und in diesem Jahr unter dem Motto "Wien" stand.3 Vor allem auch, da heuer eine vierjährigen Kooperation eingeläutet wurde, in der jährlich mehrere Werke von Gottfried von Einem beim Festival zur Aufführung kommen. Einem, der 1918 in Bern geboren wurde und 1996 in Niederösterreich verstarb und dessen künstlerisches Erbe nicht nur durch renommierte Festspiele und Konzertveranstalter, sondern auch durch seine Witwe, der wunderbaren Autorin Lotte Ingrisch vertreten wird, konnte auf beinahe alle großen Ehrungen und Auszeichnungen zurückblicken, die Österreich zu vergeben hat: 1958 der Preis der Stadt Wien, 1965 der Österreichische Staatspreis, 1974 das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst, 1978 das Große Goldene Ehrenzeichen um die Verdienste der Stadt Wien, Ehrenmitgliedschaften des Musikvereins und des Konzerthauses, die Ehrenbürgerschaft der Stadt Wien... Und gerade durch Kammermusik kann man dem großen österreichischen Komponisten, der sich auch in gesellschaftspolitischen Fragen durchaus engagierte (etwa gegen das geplante Kraftwerk in der Hainburger Au) gerecht werden, ist doch sein Herz neben dem Lied an dieser "kleineren" Instrumentalform besonders gehangen.

Franz Morak mit Lotte Ingrisch und der künstlerischen Leiterin des internationalen Kammermusikfestivals Jerusalem Elena Bashkirova

Heuer kam in Jerusalem einerseits die "Sonate für Cello und Klavier" op. 76 wie auch das "Quintett für Horn" op. 46 zur Aufführung, die aufstrebenden und international stets mit höchsten Auszeichnungen bedachten Brüder Gautier und Renaud Capuçon wurden mit stehenden Ovationen belohnt. Lobend die Kritiken, wie etwa Haaretz schrieb: "[...] das echte Wien erreichte das Konzert sehr schnell, mit der Sonate für Cello und Klavier von Gottfried von Einem. Anzeichen von Jazz und Kabarett konnte man neben Spielerei und Romantik aus der Vergangenheit, Neoklassik und Atonalität hören, wie ein Supermarkt an frechen und erfreulichen Stilen."

Dass es auch Werke von Wolfgang Amadeus Mozart und Johann Strauß zu hören gab (letztere in der Bearbeitung von Arnold Schönberg und Anton Webern), ist bei einem Festival, das sich der Musikalität einer ganzen Stadt widmete, eine logische Grundbedingung.

 

Franz Morak zu Besuch beim legendären Altbürgermeister Teddy Kollek

Ein weiterer Besuch Moraks galt der Silberschmiedfamilie Yemini, die internationale Geltung erreicht hat, besonders aber auch in Österreich auf Bekanntheit stößt, war doch im vergangenen September eine Ausstellung unter dem Titel "Die Yeminis. Drei Generationen Design im Dienste des Judentums" im Palais Porcia in der Herrengasse zu sehen, bei der edle Stücke aus der Handwerksdynastie gezeigt wurden. Die einzigartige Verknüpfung aus alter Tradition (die Werkstätte wurde vor beinahe 100 Jahren gegründet und wird – wie gesagt – seit drei Generationen von der Familie betrieben) und modernem Design, in der religiöse Aspekte ebenso wie künstlerische Fertigung zusammenfließen, der Mix aus Tradition und Fortschritt erreicht in diesen Fertigungen ein ideales Maß. Die Erzeugungen von religiösen Objekten wie etwa Pessachplatten, Chanukkaleuchter oder Torakronen einerseits und Schmuck andererseits spiegeln die Bandbreite des Könnens und der Künstler wider.

Ein vielfältiges Programm also, das Morak absolvierte, ein Programm, das zeigt, wie mannigfaltig und unterschiedlich die Schattierungen einer kulturellen (Politiker-)Arbeit aussehen können – auf intellektuellen, geschichtlichen Ebenen ebenso wie in Sachen Handwerkskunst, Musik oder einfach als Vermittlung von Lebensgefühl.