404: Not Found Verborgene Heiligtümer David - Jüdische Kulturzeitschrift

Ausgabe

Verborgene Heiligtümer

Lissy KAUFMANN

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Der Grossteil der 488 Meter langen Herodianischen Westmauer liegt heute unter der Erde, unterhalb des muslimischen Viertels. Durch Tunnelgänge können Besucher diese verborgene Welt besichtigen - und kommen dem Allerheiligsten ganz nah.

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Teil der alten Marktstraße, der "Herodes Straße".

Das Besondere liegt oft im Verborgenen - auch an einem Ort wie der Altstadt Jerusalems, in der es von historisch und religiös bedeutenden Gassen, Plätzen und Bauten nur so wimmelt. Doch erst unter der Erde finden Besucher die mitunter heiligsten Stellen des Judentums und die ältesten archäologischen Funde aus der Zeit des Zweiten Tempels: in den Tunneln entlang der Herodianischen Westmauer, unterhalb des heutigen muslimischen Viertels der Altstadt. Sie sind nur in Touren zugänglich. Ein paar Stufen und ein schma-ler Tunnel führen hinunter zu diesem verborgenen Teil der Mauer. Denn diese ist mit insgesamt 488 Metern viel länger als der Teil oberhalb der Erde, an den heute Millionen Juden aus aller Welt pilgern, um ihre Gebete in den Himmel zu schicken.  Hier unten pulsierte zur Zeit des Zweiten Tempels das Leben, waren Marktstände und Läden sowie die Zugänge zum Tempelberg. Eine im 19. Jahrhundert entdeckte Marktstrasse - die Herodes-Strasse - zeugt von dieser Zeit: Bereits vor gut 2.000 Jahren sind die Menschen über genau diese grossen, glatten Steine gegangen. Damals war all das unter offenem Himmel. Erst später, nach der Zerstörung des Zweiten Tempels, und nachdem Muslime auf dem Tempelberg den Felsendom und die Al-Aksa Mosche errichteten, verschwand all das unter der Erde. Es war im Jahre 700, als die muslimischen Mameluken nach Jerusalem kamen. Sie wollten, dass der Tempelberg, den Muslime Haram Al-Sharif nennen, leichter zugänglich wird. Denn bis dato mussten Muslime für das Gebet von ihren Wohnorten auf den Hügeln nebenan durch das Tal und hinauf auf den Berg - und das fünfmal täglich. Also liessen die Mameluken Arkaden über dieses Tal bauen und setzen darauf das muslimische Viertel. Der historische jüdische Teil verschwand unter der Erde. 

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Ausschnitt des Weststeins (rechte Seite).

Erst Mitte des 19. Jahrhunderts begannen die ersten Entdeckter, Teile der verborgenen Mauer frei zu graben. Nachdem Israel 1967 die Altstadt zurückerobert und Jerusalem wiedervereint hat, investierte der Staat in weitere Ausgrabungen entlang der Mauer. Nur der Bereich direkt unterhalb des Tempelberges ist tabu. Denn hier hat heute die jordanische Waqf-Stiftung, die keine archäologischen Arbeiten erlaubt, das Sagen.

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Die Funde entlang des Tempelbergs faszinieren Archäologen wie Besucher, da sie von Herodes ausgefallener und bis heute nicht gänzlich geklärter Bautechnik zeugen. Herodes war ein mächtiger Herrscher und Bauherr gigantischer Projekte. So begann er im Jahre 19 vor der Zeitrechnung mit dem Umbau des Zweiten Tempels. Gut zehntausend Arbeiter waren damit beschäftigt; darunter auch Leviten, weil nur sie bestimmte Bereiche auf dem heiligen Tempelberg betreten durften  - unter anderem das Allerheiligste. Im Herodianischen Stil wurden Blöcke aus Kalkstein aufeinander gehievt, die so geschliffen waren, dass sie sich gegenseitig ohne Zement und nur aufgrund der Schwerkraft zusammenhielten. Über 30 Meter war die Mauer hoch - ein Wahnsinnsprojekt. Vor allem ein Mauerstein, der 13 Meter lange Weststein, bringt die Besucher des Tunnels zum Erstaunen: Mit 570 Tonnen ist es das wohl schwerste Objekt, das je durch Menschenhand  und ohne die Hilfe von moderner Technik bewegt wurde. Experten rätseln noch heute, ob man für den Transport des Riesenblocks wohl Holzstämme genutzt hat, oder ob der Block Teil des Grundgesteins des Tempelberges war, den Steinmetze zurechtgehauen haben. Die Römer zumindest scheiterten bei der Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahr 70 nach der Zeitrechnung daran, den gigantischen Felsbrocken zu zertrümmern.

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Doch nicht nur Geschichtsbegeisterte und Archäologen sind von den Tunneln entlang der Herodianischen Westmauer begeistert. Auch für gläubige Juden ist es ein besonderer Ort, ein heiliger sogar. Nur hier kommen sie so nah an die Stelle heran, wo sich einst das Allerheiligste, Kodesh HaKodashim, befand: der Teil des Tempels, an dem die Bundeslade aufbewahrt wurde. Besonders nahe kommt man diesem heiligen Ort genau an einem der damaligen Eingänge zum Tempelberg, dem Warren-Tor, das nach dem Entdecker und Archäologen Charles Warren benannt wurde. Dieses war eines von den vier Toren entlang der Herodianischen Westmauer, die zum Tempelberg führten. Durch dieses Tor, dann noch mal knapp 30 Meter durch einen Tunnelgang und dann wenige Stufen hinauf mussten die Menschen damals gehen, um den Berg zu erreichen. Nach der Zerstörung des Tempels dauerte es noch bis zum Ende des Byzantinischen Reiches, bis Juden wieder hierher durften. Erst die Muslime, die Jerusalem vor 1.400 Jahren eroberten, erlaubten den Juden, entlang der Westmauer zu beten. Genau hier, an der Stelle des Tores, bauten sie eine Synagoge, die Höhle genannt wird, weil sie im Tunnelgang lag. Vor 900 Jahren aber zerstörten die Kreuzfahrer das Gtteshaus und mauerten den Eingang zu. Heute ist das Warren-Tor aber wieder ein Ort des Gebets für Pilger und für Israelis: Besucher werden bei ihrem Gang durch den Tunnel sicher auf einige betende Gläubige treffen.

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Wasserspeicher, der noch heute das Regenwasser aus Jerusalems Altstadt speichert.

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Modell des Zweiten Tempels.

Alle Abbildungen: Mit freundlicher Genehmigung L. Kaufmann.