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Ein "alt-neues" Zentrum für Niederösterreichs letzte jüdische Gemeinde

Joachim SPERBER

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Offizielle Grundsteinlegung zur Wiederinstandsetzung der Synagoge Baden. Die Renovierung des Bauwerkes geht in die Zielgerade.

Es war buchstäblich fünf vor Zwölf, denn der Zahn der Zeit nagte immer stärker an Niederösterreichs letzter erhaltener neuzeitlicher Gemeindesynagoge. Mitte April dieses Jahres war es dann so weit. Nach fast zwei Jahren Planungstätigkeit und Verhandlungen über die Finanzierung konnten die Renovierungsarbeiten an dem im Zentrum der Kurstadt Baden gelegenen Sakralbau schliesslich in Angriff genommen werden. Nach Herstellung von Unterfangung und des Kellergeschosses erfolgte am 5. Juli 2004 die offizielle Grundsteinlegung unter Anwesenheit hochrangiger Vertreter von Republik und Land Niederösterreich. Fast hätte man meinen können, alle wären sowieso schon immer für die Erhaltung des historischen Gebäudes gewesen bzw. dafür eingetreten.

In den Jahren 1872 bis 1873 vom Badener Stadtbaumeister Franz Breyer für den Israelitischen Cultusverein in Baden geplant und erbaut sowie 1883 um ein zusätzliches Stiegenhaus erweitert, bildete die im Herzen der Kurstadt gelegene Synagoge bis zum Sommer des Jahres 1938 über mehr als sechs Jahrzehnte das Zentrum der ehemals drittgrößten jüdischen Gemeinde Österreichs.

 

Die Synagoge liegt an der hinteren Grundstücksgrenze der 1870 erworbenen Liegenschaft und wies eine traditionell orthodoxe Gliederung mit einer Männer- und Frauenabteilung auf. Über einen mit Bodenfliesen ausgelegten Vorraum gelangte man in den mit Betbänken ausgestatteten Männerbetsaal des Tempels mit einem Ausmaß von rund 170 m². In dessen Zentrum befand sich erhöht und von einem gusseisernen Gitter umgeben die Bimah (Vorlesepult) und in der Mitte der Vorderwand der Aaron HaKodesch (Thoraschrein). Dabei war der Hauptraum zweigeschossig angeordnet, wobei das obere Geschoß, die Frauenabteilung, aus einer seitlich und über dem Vorraum befindlichen Galerie bestand, welche über eine links angeordnete Wendeltreppe und das rechtsseitige Stiegenhaus zu erreichen war. Die Deckenkonstruktion im Männerbetsaal bestand aus Stahlträgern mit 6 gusseisernen Säulen, welche ebenso wie Teile der mit Sternen versehenen Deckenmalerei noch erhalten sind.

Auch die Dachkonstruktion ist aus Stahlträgern gefertigt, welche netzartig über den Tempelraum gespannt sind. Die Felder der Deckenkonstruktion sind durch Holztrams abgeschlossen, deren Verkleidung einen kassettenartigen Eindruck erzeugt.

Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten musste die Synagoge seitens der Badener jüdischen Gemeinde bereits im Sommer des Jahres 1938 geräumt werden, wobei Betbänke, Verkleidungen und sonstiges Mobiliar im Hof des angrenzenden Verwaltungsgebäudes zu Brennholz zerkleinert wurden. In der Folge stand das Gebäude in der Verwendung der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt.

Der ursprünglich freie Luftraum zwischen den seitlich angeordneten Galerien wurde im Jahre 1940 von den Nationalsozialisten durch eine verkleidete Traversendecke geschlossen, welche auch heute noch besteht, so dass zwei getrennte Geschoße entstanden. Im selben Jahr gelangte die Liegenschaft ebenso wie sämtliche anderen Immobilien der jüdischen Gemeinde in den Besitz der Stadtgemeinde Baden.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Jahre 1955 war in weiterer Folge im Tempelgebäude die Mannschaftsküche des in Baden stationierten sowjetischen Militärs untergebracht, wobei das Obergeschoss als Speisesaal diente. Die Liegenschaft selbst wurde 1952 an die Israelitische Kultusgemeinde Wien als Rechtsnachfolgerin der IKG Baden restituiert. Zwar hatte sich in Baden wiederum eine aus überlebenden und zurückgekehrten Badener Juden gebildete kleine jüdische Gemeinde etabliert, diese war aber formell nur vereinsmäßig organisiert und stand seit dieser Zeit im Konflikt mit der Wiener Gemeinde, deren Interesse naturgemäß nicht auf die Stärkung der jüdischen Gemeinde in Baden, sondern auf die Verwertung der Liegenschaften ausgerichtet war.

Nachdem der jüdischen Gemeinde Baden auch die finanziellen Mittel zur Instandsetzung des Tempelgebäudes fehlten wurden ab Anfang

der 1950er-Jahre die G"ttesdienste zunächst u.a. im Sanatorium Esplanade abgehalten. Schließlich wurde 1963 das der Synagoge vorgelagerte, linksseitige Hofgebäude, in dem 1938 der Sitzungssaal und das Präsidialbüro der Badener Kultusgemeinde untergebracht waren, als Bethaus adaptiert und bis zum April dieses Jahres als Betsaal genutzt.

Im Jahre 1988 trat der Konflikt zwischen der Badener Gemeinde und der Israelitischen Kultusgemeinde Wien schließlich in eine weitere Phase. Dem Ansinnen der damaligen IKG-Führung zu Folge sollte das Badener Bethaus geschlossen sowie das alte, inzwischen bereits verfallende große Synagogengebäude abgerissen und die Liegenschaft verkauft werden. Eine Initiative einiger weniger Aktivisten, zu denen auch der derzeitige Präsident des Synagogenvereines Baden, MMag. Thomas E. Schärf, zählte, und das darauf folgende breite Interesse in- und ausländischer Medien verhinderten schließlich den Abriss. In weiterer Folge kam es immer wieder zu Verhandlungen zwischen Vertretern der Wiener Kultusgemeinde und des Synagogenvereines Baden einerseits sowie der Stadt Baden und dem Land Niederösterreich andererseits, welche eine Übernahme der Renovierung des Gebäudes aus Mitteln der öffentlichen Hand zum Ziel hatten.

Allerdings trat das Synagogenrenovierungsprojekt erst im Sommer 2002 in eine konkrete und entscheidende Phase. Nachdem seitens der jüdischen Gemeinde Baden und der Israelitischen Kultusgemeinde Wien den potenziellen Förderungsgebern ein Konzept für die zukünftige Nutzung des Gebäudes unterbreitet worden war, konnte in einer am 21. Oktober 2002 abgehaltenen Pressekonferenz schließlich eine Einigung hinsichtlich der Mittelaufbringung verkündet werden. Im Anschluss wurden seitens des Jüdischen Synagogenvereines Baden und dem Architekturbüro Weinmann die Planungsarbeiten für das Projekt in Angriff genommen. Zutreffend stellte Landeshauptmann Erwin Pröll anlässlich der Grundsteinlegung daher fest, dass "ein sehr langer, schier unendlicher Weg in die Zielgerade eingebogen" sei.

Für die Sanierung des mittlerweile fast 60 Jahre leer stehenden und entsprechend devastierten Gebäudes boten sich zwei Möglichkeiten der Herangehensweise an.

Die erste Möglichkeit wäre gewesen, die von den Nationalsozialisten vorgenommenen Veränderungen im Inneren – d.h. die Schließung der Galerien und die damit erreichte Schaffung von zwei unabhängigen Geschossen – rückgängig zu machen und ein Projekt, das rein auf die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes abzielt, zu verfolgen.

Die zweite Möglichkeit war, den Veränderungen in der Gemeinde Rechnung zu tragen und ein Konzept umzusetzen, das der shoahbedingten deutlich kleineren Größe der Badener jüdischen Gemeinde Rechnung trägt.

Die Entscheidungsträger haben sich – eingedenk der laufenden Betriebskosten – aus wirtschaftlichen Gründen für die zweite Variante entschieden und versucht, durch einen möglichst behutsamen Eingriff in den Bestand ein religiöses Zentrum im Erdgeschoss entstehen zu lassen, das den Bedürfnissen der Badener Gemeinde als auch dem Stand der Technik Rechnung trägt.

Künftig wird der ehemalige Männerbetsaal synagogal genutzt werden, wobei den religiösen Erfordernissen entsprechend im hinteren Bereich eine Frauenempore errichtet wird. Das projektierte Kellergeschoss sowie der Neuzubau sollen Platz für die Unterbringung von Kiddushraum, Küche, Lager, Büro und zeitgemäßen Sanitäreinrichtungen bieten. Der künftig nur über einen gesonderten Eingang zu erreichende erste Stock der Synagoge, die ehemalige Frauenabteilung, soll nach den Planungsunterlagen künftig als multifunktionaler Veranstaltungsraum genutzt werden. Die für diesen Raum notwendigen Nebenräume werden in den oberen Stockwerken des zuvor erwähnten neuen Zubaus untergebracht werden.

Hinsichtlich des Zubaus wurde das Ziel verfolgt, dass sich dieser deutlich von der historischen Substanz des Synagogengebäudes abheben, die äußere Gestaltung aber deutlich im Hintergrund bleiben soll.

Computeranimationen des zukünftigen Betraumes nach Entwürfen von Architekt Dipl. Ing. Ivan D. Weinmann

Bei der Inneneinrichtung des Gebäudes soll auf traditionelle Formen zurückgegangen und Fenster und Türen den heute noch deutlich erkennbaren historischen Formen angenähert werden. Wo Veränderungen vorgenommen wurden, werden diese – wie etwa beim Zugang zur künftigen Frauenempore – deutlich erlebbar sein.

Die von der Wiener Hugo Durst GmbH durchgeführten Renovierungs- und Adaptierungsarbeiten sollen Ende Juni kommenden Jahres abgeschlossen sein.

Gelegentlich der Grundsteinlegung verwies Präsident Schärf auf die Bedeutung der Wiederinstandsetzung der Synagoge für die kleine jüdische Gemeinde in Baden. Diese sei eingedenk der Tatsache, dass vor dem Einmarsch der Nationalsozialisten rund 2.200 Juden in Baden gelebt hätten und rd. 600 Liegenschaften im Besitz jüdischer Mitbürger gestanden seien, bleibendes Mahnmahl für die enteigneten, vertriebenen und ermordeten Mitglieder der Gemeinde, denen bislang keine Stätte kommunaler Erinnerung zuteil geworden sei. Die Synagoge sei aber auch Gegenwart und Zukunft: ein Symbol nach innen und nach außen. Für die positive Entwicklung jüdischen Lebens seien auch Voraussetzungen notwendig. Erst durch die Wiederinstandsetzung werde die Gemeinde in die Lage versetzt, jüdisches Leben und jüdische Kultur in Niederösterreich wieder zu beleben und jüdische Identitäten zu stärken.

Bleibt also zu hoffen, dass durch die Erhaltung der Badener Synagoge auch der letzten jüdischen Gemeinde Niederösterreichs die Voraussetzungen für eine gedeihliche Zukunft gegeben sind.