Ausgabe

Richard Genée und die Wiener Operette

Content

Pierre Genée: Richard Genée und die Wiener Operette

Wien: Löcker Verlag 2014

351 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, Euro 29,80
ISBN 978-3-85409-738-9

  h105_0031

Im Wiener Löcker Verlag erschien im November vorigen Jahres erstmals eine umfassende Biographie Richard Genées (1823 - 1895), gemeinsam mit einem detaillierten Werkverzeichnis. Autor dieses Buches ist Pierre Genée, ein Urenkel Anna Barbara Genées, welche seinerzeit vom Komponisten an Kindes statt adoptiert worden war. Richard Genée, einer preussisch-hugenottischen Künstlerfamilie entstammend, wurde am 7. Februar 1823 in Danzig geboren. Er wuchs in Berlin auf und erhielt dort eine fundierte musiktheoretische Ausbildung. Als Doppeltalent machte er sich nicht nur als Komponist von Liedern, Quartetten, von einaktigen Szenen bis zu abendfüllenden Opern einen Namen, sondern auch als gesellschaftskritischer Textautor. Nach vielen unsteten Wanderjahren nahm er 1864 die Stelle eines Hofkapellmeisters am Deutschen Landestheater zu Prag an. Dort entstand in Zusammenarbeit mit Friedrich von Flotow die monumentale Oper „Am Runenstein". 1868 wurde Richard Genée ans Theater an der Wien berufen, wo ihm unter anderem die Aufgabe zufiel, die damals sehr beliebten Offenbachiaden für das Wiener Publikum entsprechend anzupassen. Noch im selben Jahr übersetzte und überarbeitete er für Offenbach die Bühnenwerke „La Périchole", „Die Banditen", ferner „Fantasio",„Der schwarze Korsar" und gemeinsam mit Friedrich Zell „Die Theaterprinzessin". Auch Werke anderer französischer Autoren machte Richard Genée für Wien heimisch, zum Beispiel Victor Massés „Galathéa"und Hervés  „Faust junior", zu dem Richard Genée sein berühmtes Intermezzo „Der Hexensabbath" komponiert und getextet hatte. Wie ein Rezensent anlässlich der Erstaufführung berichtet: „... singen Mephisto und Faust in travestierter Form Wagners Musik, während in kleinen Nebelbildern die Köpfe von Mozart, Bach und Haydn sich zeigen und zum Schluss erscheint das Bild Richard Wagners, eine Tafel in Händen haltend mit der Aufschrift: "Das Judentum in der Musik"". Bei aller Anerkennung der Wagnerschen Musik, eine klare Absage  vom Rassenantisemitismus. Schon in den 60-er Jahren leisteten Suppé und Millöcker wichtige Vorarbeiten auf dem Gebiet der Wiener Operette. Man denke an „Das Pensionat",  „Die schöne Galathé", „Die keusche Diana" und „Die Frauneinsel". Ein wichtiger Schritt in Richtung eigenständiger Operette in Wien war die Zusammenarbeit mit Johann Strauss jun. Im Jahre 1871 wurde „Indigo" uraufgeführt. Das Textbuch wurde von Richard Genée beigesteuert, doch mehrmals von anderen Autoren überarbeit. Auch die Strausssche Musik musste den dramaturgischen Anforderungen angepasst werden. Dennoch ähnelte „Indigo" in seiner Gundkonzeption eher einer exotischen Offenbachiade und konnte sich später - trotz mehrfacher Umarbeitungen - auf den Spielplänen nicht halten. 1874 kam „Die Fledermaus" zur Uraufführung. Diese hatte weder mit einem Wiener Volksstück noch mit einer  Offenbachiade etwas gemein.  Es handelte sich um eine gelungene Satire auf das gehobene Bürgertum in Wien. Frivole und obszöne Szenen - wie sie bisweilen in Offenbachiaden vorkamen - wurden vermieden. In allen Handlungen blieb es immer nur bei der „bösen Absicht". Die handelnden Personen stossen  stets auf „ungeschriebene Grenzen". Alfred darf die Ehe der Eisensteins  nicht stören, er wird kurzerhand in das „Vogelhaus" abgeführt.  Rosalinde muss ihre Ehe hinter einer  Maske und einer falschen Nationalität verbergen. Eisenstein kommt letztendlich nicht auf seine Rechnung, sondern erleidet eine bittere Blamage. Das Publikum - einschliesslich der behüteten Töchter - darf herzlich mitlachen! In weiterer Folge schuf Genée gemeinsam mit Friedrich Zell die Texte  zu fünf weiteren Operetten, auf welche die Musikbühnen in aller Welt nicht verzichten möchten: „Eine Nacht in Venedig", „Fatinitza", „Boccaccio", „Der Bettelstudent" und „Gasparone". Damals entstanden auch Genées wichtigste Operettenkompositionen „Der Seekadett" und „Nanon, die Wirtin vom Goldenen Lamm", die grosse Erfolge in ganz Europa feierten,  aber im 20. Jahrhundert immer seltener gespielt wurden. Erwähnenswert ist auch die Opernparodie „Die Antisemiten", in welcher sich Richard Genée über deutschtümelnde Judenhasser lustig macht. In den letzten Lebensjahren wandte er sich vermehrt der Librettistentätigkeit zu. Partner waren zumeist jüngere Autoren wie Louis Roth,  Alfons Czibulka, Josef Helmesberger, Gustav Geiringen und  Rudolf Dellinger. Ihnen waren oft beachtliche Premièrenerfolge beschieden. Auf den Spielplänen konnten sie sich nachhaltig nicht bewähren. Sie haben aber dazu beigetragen, dass Wien ein Weltzentrum der Operette blieb und in die Lehársche Periode mündete. Die Libretti zur „Fledermaus" und zum „Bettelstudent" bildeten jeweils eine kongeniale Einheit zur Musik und haben das Publikum in aller  Welt begeistert. In diesem Sinne erheben sie zu Recht Anspruch auf Weltkunst. Das literarische und kompositorische Werk Richard Genées ist in diesem Buch ausgezeichnet recherchiert und bietet wichtige Einblicke in die Periode der sogenannten „Goldenen Operetten-Ära" in Wien. Leider fehlt ein Register; auch das Lektorat lässt bisweilen zu wünschen übrig. Dennoch ist es ein sehr wichtiges Buch, das sich stellenweise wie eine „Zeitreise" liest.