Ausgabe

Alltagsskulpturen Mahnmal

Catrin BOLT

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Im August letzten Jahres habe ich das Projekt Alltagsskulpturen Mahnmal umgesetzt. Es besteht aus zehn Textstrecken, die über Wien verteilt auf den Gehwegen angebracht sind. In Strassenmarkierstoff ausgeführt und einer Buchstabenhöhe von 16cm geben diese Texte persönliche Berichte wieder, die aus der Zeit des Nationalsozialismus erzählen - von gewaltsamen Übergriffen, aber auch von Flucht davor. Die Texte sind immer genau da angebracht, wo die Ereignisse stattfanden. Es ist mir wichtig, so den Stadtraum anders wahrnehmbar zu machen, nicht als Zwischenraum, sondern als Gesellschaftsraum, der in seiner Historizität eine Rolle spielt, eine Geschichte hat und ein Abbild unserer Gesellschaft ist: Wie wird mit dem öffentlichen Raum umgegangen, welche Funktionen und Rollen hat er? Er kann missbraucht werden, um Macht zu demonstrieren und Gewalt auszuüben, Personen zu diffamieren und zu unterdrücken - diesen Aspekt spiegeln die Texte in ihren Inhalten wider. Dabei darf nicht vergessen werden, dass auch heute im Stadtraum starke Hierarchien eine Rolle spielen - wer darf wo etwas anbringen, sich hinstellen, grosse repräsentative Gebäude erbauen lassen, Werbung, bewegte Bilder und Leuchtreklame erscheinen lassen - und wem oder was wird eine Präsenz weitgehend untersagt? Das Mahnmal selbst sollte daher auch den öffentlichen Raum nutzen und nicht an einem dafür eigens vorgesehenen Ort stehen.

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Bereits 2013 habe ich Lauftext, ein durchgängiges Textband von 760m Länge in Graz aufgebracht, das von der Innenstadt bis Gries führt. Dem Text folgend kann man den Bericht David Herzogs, des damaligen Rabbiners, lesen, der die brutalen Gewaltausübungen und Demütigungen ihm gegenüber genau entlang jener Strecke in der Nacht des Novemberpogroms 1938 detailliert schildert. Auch hier gab es grosse Bedenken im Hinblick auf die Nutzung des Stadtraumes - der öffentliche Raum, so ungemütlich er geworden ist, ist heiss umkämpft. Während man nicht mehr ohne grössere Vorsicht über die Strasse gehen kann, kein Blick ohne Reklame möglich ist, so gilt ein in dezenten schwarzen Buchstaben gehaltenes Erinnerungsmal an die Gräuel, denen unsere Gesellschaft zum Grossteil schweigend zugesehen hat (oder aktiv daran beteiligt war) als Gefährdung der Sicherheit, ein Affront.
 
Um die Ereignisse, die in den persönlichen Berichten geschildert werden, erfahrbar zu machen, war es mir wichtig, keine Erläuterungen oder Verweise hinzuzufügen. Bei manchen Texten ist nicht einmal dezidiert klar, von welcher Zeit sie sprechen. Man wird dadurch mit dem Erzählten konfrontiert ohne es vorher schon einordnen zu können. Durch wiederholtes Entlanggehen, zum Beispiel bei alltäglichen Wegen, wird man immer wieder mit dem Bericht oder Teilen davon beschäftigt. Da es nicht als ausgewiesenes Mahnmal abgehakt werden kann, dem man mit dem entsprechenden emotionalen Rüstzeug begegnet, gibt es kein Sicherungsseil, man muss sich mit den Inhalten direkt auseinandersetzen. Dementsprechend ist es auch nicht statisch an einem Ort - es geht mit einem mit, entlang einer Strecke durch die Stadt und verändert das Umfeld, das man täglich erlebt.

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Ähnlich direkt wollte ich die begleitende Publikation gestalten. Die ersten Seiten bestehen nur aus schwarzen Balken - sogenanntem blockierten Text. Anstelle eines Vorwortes oder erklärenden Abhandlung ist man mit etwas, das man nicht lesen kann konfrontiert und muss dieses erst interpretieren, d.h. selbst überlegen, wie man dazu steht: Symbolisiert es das Vergessen, die Lücken der Erinnerung, oder dass viele Geschehnisse aus dieser Zeit nicht überliefert sind? Hat es mit Verdecken zu tun? Die schwarze Linie könnte auch das Mahnmal symbolisieren, der schwarze Strich als dessen Grundelement, das entlang der Zeilen führt. Darauf folgen dann mehrere Seiten mit Wörterbuchauszügen. Die gewählten Wörter kann man inhaltlich mit dem Projekt oder der Zeit in Verbindung bringen, beim Nachsehen im Impressum bemerkt man dass es sich um Auszüge aus dem Brockhaus von 1941 handelt. Da ich auch aus der TäterInnengesellschaft zitieren wollte habe ich mich für diese „objektive" Quelle entschieden: In den jeweils zur näheren Wortbeschreibung angeführten Beispielen ist ersichtlich, wie durchtränkt der Sprachgebrauch war und die alltägliche Brutalität klar zu Tage trägt. Nach einigen leeren Seiten folgen dann in grosser Schrift die für das Mahnmal zitierten Textauszüge. Danach einige Fotos, schliesslich die Textverweise sowie Kurzbiographien und ein Übersichtsplan mit den Standorten. Die informativen Elemente sind also nach hinten gedrängt worden, zu Gunsten der Aussicht, die LeserInnen aktiv in den Nachdenkprozess einbinden zu können. Dies ist ein Aspekt der mir bei meinen Überlegungen insgesamt wichtig war: Statt einer umfassenden Erklärung ist man mit seinem eigenem Ermessen konfrontiert, statt dem Ablegen von kollektiver Trauer in dafür gestalteten Stätten steht man der Brutalität in Alltagsräumen gegenüber.