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Die Gerechten. Courage ist eine Frage der Entscheidung

Alexander VERDNIK

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Die Gerechten. Courage ist eine Frage der Entscheidung: Unter diesem Titel präsentierten die Österreichischen Freunde von Yad Vashem erstmals in einer grösseren Ausstellung die Geschichten jener Österreicherinnen und Österreicher, die Jüdinnen und Juden zur Zeit der Shoah gerettet haben und aufgrund dessen den israelischen Ehrentitel „Gerechte/-r unter den Völkern" tragen. Die Ausstellung war im Klagenfurter Haus am Dom vom 13. Februar bis 6. April 2015 zu sehen.

Spätestens seit Steven Spielbergs Film Schindlers Liste ist der Titel „Gerechte/-r unter den Völkern" ein weitreichend bekannt gewordener Begriff. Neben Oskar Schindler gab es rund hundert weitere österreichische Retterinnen und Retter von jüdischen Verfolgten. Doch wer waren diese Menschen? Was bewog sie dazu, ihr Leben für andere, teils unbekannte Personen aufs Spiel zu setzen? Wie gingen sie vor? Wer half ihnen dabei? Und welche Relevanz hat ihre Geschichte für die Gegenwart? Auf all diese Fragen liefen die Ausstellungsmacher beeindruckende Antworten. Unter den Schlagworten „Mitgefühl, Gewissen und Courage" beschreiben die Organisatoren ihre Intentionen für das Ausstellungsprojekt: „Die Jahre des Nationalsozialismus sind als Zeit des Versagens menschlicher Zivilisation anzusehen. Nicht wenige Österreicher und Österreicherinnen dienten sich dem Terrorregime an. Manche stiegen bis in die höchsten Kreise der Macht auf, andere machten Karriere in der Partei, bei der SS oder im Behördenapparat. Viele schauten einfach weg. Es gab in dieser Zeit aber auch mutige Persönlichkeiten, die sich dem mörderischen System widersetzten und Zivilcourage zeigten: Österreicher und Österreicherinnen, die ohne Gegenleistung bereit waren, Juden und Jüdinnen zu schützen. Für ihre Rettungstaten werden solche Menschen von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem (Jerusalem) in besonderer Weise geehrt. Sie werden in die Reihe der „Gerechten unter den Völkern" aufgenommen. In Österreich sind die „Gerechten" nur wenig bekannt. Diese Menschen mit wachem Gewissen sollen hier gebührende Aufmerksamkeit erhalten."

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Der Galgenspalier

Die Ausstellung „Die Gerechten" ist in drei Bereiche gegliedert. Im ersten Bereich wird den Besuchern anhand von Bildimpulsen ein Eindruck des Alltagsantisemitismus der 30er Jahre vermittelt und die stufenweise Entwicklung der latenten Judenfeindschaft bis hin zur Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten skizziert. Dabei richtet sich der Blick auch auf die Täter. Exemplarisch werden Reinhard Heydrich, Ernst Kaltenbrunner und Adolf Eichmann porträtiert. Darauf folgen Privataufnahmen der amerikanischen Familie Baker, die sich zur Zeit des „Anschlusses" in Österreich aufgehalten hat. Diese vermitteln die Allgegenwärtigkeit des Antisemitismus. Auch in ihren Tagebucheinträgen erwähnt Helen Baker antisemitische Plakate, die sich quasi an jeder Ecke befanden. Es folgt eine Installation, die am ehesten als „Galgenspalier" bezeichnet werden kann. Dieses symbolisiert die Enge, die Gerettete bzw. Retterinnen und Retter spürten. Dort werden einige NS-Täterinnen/-er und ihre Verbrechen vorgestellt. Die Besucher gelangen durch das Spalier in den nächsten Raum. Dort sehen sie eine überdimensionale Schirmmütze, die einerseits für das NS-Regime steht und andererseits für die „Gerechten", von denen viele Uniformträger waren. Im Inneren der Schirmmütze finden sich Begriffe zum Themenkreis Zivilcourage. In einer weiteren Videoinstallation erfahren die Besucher etwas über den Feldwebel Anton Schmid, der sich für jüdische Gefangene eingesetzt hat. Im nächsten Raum folgt ein erstes Eintauchen in konkrete Bedrohungsszenarien. Mittels Geheimtür, Kartoffelsäcken und Kohlekeller sollen Möglichkeiten des Versteckens thematisiert und den Besuchern ein Eindruck der beklemmenden Situationen vermittelt werden. Im zweiten Abschnitt der Ausstellung stehen die Retterinnen und Retter im Mittelpunkt. Ein riesengrosses „Buch der österreichischen Gerechten" erlaubt Einblicke in die Biographien dieser aussergewöhnlichen Menschen. Die leeren Seiten des Buches stehen für all jene Gerechten, die noch nicht ausgezeichnet worden sind bzw. nicht mehr geehrt werden können. In den nächsten Räumen erzählen Zeitzeugen sowie Familienangehörige von Gerechten deren eindrucksvolle und berührende Geschichten. Daraufhin gelangen die Besucher in den „Raum der Gerechten". Dieser völlig dunkle Raum wird von Würfeln erhellt, auf denen die Lebens- und Leidensgeschichten der Retterinnen und Retter vorgestellt werden. In der Achse zum Ausgang des Raumes findet sich ein Video, in dem die aufwühlende Geschichte der Jüdin Esther Zychlinski, die von der österreichischen Bauernfamilie Schatz in der Nähe des KZ Mauthausen versteckt wurde und so überlebte, erzählt wird. Die Ereignisse werden von deren Sohn Arie Zychlinski, der in Israel lebt und bis heute Kontakt zu der Familie Schatz hat, geschildert.

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Die österreichischen Gerechten

In der Ausstellung wird auch die bewegende Rettung der Kinder des jüdischen Ghettos in Krakau geschildert. Einige Tage vor der Liquidierung im März 1943 beschlossen die Nationalsozialisten alle Kinder, die sich im Ghetto befanden, zu ermorden. Dem Wiener Polizisten Oswald Bosko und Julius Madritsch, Inhaber einer Nähwerkstätte in Krakau, gelang es, diesen schrecklichen Plan zu vereiteln. Um die angsterfüllten Kinder geräuschlos aus dem Ghetto zu bekommen, betäubte Madritsch diese, steckte sie in Säcke und konnte sie so ohne entdeckt zu werden „herausschmuggeln". Gemeinschaftlich mit dem Techniker Raimund Titsch versuchte der Fabriksinhaber auf diese Weise, viele Jüdinnen und Juden in seinen Betrieben unterzubringen und somit ihr Leben zu retten. Zu diesem Zweck eröffnete Madritsch neben dem Krakauer Hauptsitz zwei Filialen seines Unternehmens in Bochnia und Tarnow. Auch im berüchtigten Lager in Plaszow, das der gefürchtete Amon Göth leitete, konnte Madritsch eine Nähwerkstätte einrichten, in der etwa tausend Arbeitskräfte tätig waren. Oswald Bosko wurde von der Gestapo verhaftet und im September 1944 hingerichtet. Er wurde 1964 posthum zu einem „Gerechten der Völker" erklärt. Julius Madritsch und Raimund Titscher wurde im selben Jahr der Ehrentitel verliehen. In Israel gründeten Überlebende der Shoah den „Klub der Madritscher".                

Im letzten Bereich der Ausstellung finden die Besucherinnen und Besucher Originalexponate aus der Zeit des Holocaust. So zum Beispiel der Koffer des Gerechten Julius Madritsch. Bei seiner Entdeckung enthielt der Koffer wichtige Originaldokumente und bislang unveröffentlichte Fotos. In einer baumartigen Konstruktion sind in Plexiglaskuben weitere Objekte ausgestellt, welche Symbole dieser Zeit darstellen. Eine Box ist jedoch leer. Sie soll dazu aufrufen, noch unbekannte Gerechte zu nennen, um jenen auch den gebührenden Respekt zukommen lassen zu können. Der letzte Abschnitt der Ausstellung widmet sich internationalen Gerechten und Menschen, die sich durch ihre Zivilcourage ausgezeichnet haben.