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Virtuelle Rekonstruktion der alten Synagoge in Linz

Rene MATHE

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In Linz gab es bereits im Jahr 1335 erste Berichte über die Nutzung des Hauses in der Hahnengasse 6 als Synagoge der jüdischen  Religionsgemeinschaft. Nach einer angeblichen Hostienschändung in Enns wurde sie 1426 allerdings als Zeichen der „Sühne für das Unrecht an dem Christentum" zur Dreifaltigkeitskirche umgebaut. Die jüdische Gemeinschaft wurde daraufhin weggesperrt oder verjagt.

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Einreichplan zum Umbau 1906 – Lageplan. Quelle: Archiv der Stadt Linz. Mit freundlicher Genehmigung R. Mathe.

Erst unter Josef II. und dessen Toleranzpatent von 1782 begann wieder ein judenfreundlicherer Geschichtsabschnitt. Am 9. September 1783 wurde der Markt in Linz als frei erklärt, und die jüdische Gesellschaft konnte einem ständigen Erwerb nachgehen. 1789 erhielten die ansässigen Juden die Erlaubnis zurück, eigene Gottesdienste abzuhalten.1 Der Beginn des 19. Jahrhunderts stellte die Blütezeit der Linzer Märkte dar. Die Juden wurden dadurch wieder in ihrer Position gestärkt, und sie richteten sich eine Betstube in der Badgasse 6 ein. Um den wachsenden Ansprüchen gerecht zu werden, mieteten sie 1858 ein zweites Gebäude in der Adlergasse 10.2 Die erstmalige Erwähnung der Israelitischen Kultusgemeinde erfolgte im Jahr 1863 in Form eines Grundbucheintrages. Am 28. Juni 1870 erhielt sie den vollen rechtlichen Anspruch. Um dem aufstrebenden Judentum Ausdruck zu verleihen, wurde das Haus Nr. 11 in der Marienstrasse (ein ehemaliger Glassalon) erworben und zu einem Tempel umgebaut. Für die Sanierung mussten viele Geldmittel in die Hand genommen werden, und erstmals konnte nicht mehr nur von einer temporären Notlösung gesprochen werden.3

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Zugang von Westen. Rendering von R. Mathe. Mit freundlicher Genehmigung R. Mathe.

Auf der Suche nach einem geeigneten Bauplatz für die neue Synagoge wurde unter der Leitung von Dr. Leopold Winternitz das Grundstück in der Bethlehemstrasse 26 in den Besitz der Gemeinde gebracht. Die Grundsteinlegung konnte am 16. Mai 1876 in Form eines feierlichen Aktes erfolgen. Nach fast genau einem Jahr wurde die Synagoge am 10. Mai 1877 fertiggestellt. In den darauffolgenden Jahren kam es zu einem stetigen Wachstum der jüdischen Gemeinschaft in Linz. Der Höhepunkt wurde 1923 erreicht. Laut einer Volkszählung umfasste die Kultusgemeinde damals 1.320 Mitglieder in Oberösterreich.4 1927 wurden aufgrund des 50-jährigen Bestehens des Tempels eine Feier veranstaltet sowie eine ausführliche Festschrift veröffentlicht. Verfasser waren der zur damaligen Zeit amtierende Präsident Benedikt Schwager und der Rabbiner Viktor Kurrein. Diese akribisch verfasste Abschrift stellt noch bis heute das umfangreichste Werk zur jüdischen Geschichte in Linz dar.

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Zugang von Osten. Rendering von R. Mathe. Mit freundlicher Genehmigung R. Mathe.

Im Zuge der nationalsozialistischen Machtübernahme verlor die Kultusgemeinde ihren rechtlichen Status. Eine erste Welle der Verhaftungen erfolgte praktisch gleichzeitig mit dem sogenannten Anschluss vom 12. März 1938.5 Der traurige Höhepunkt der Verfolgung durch das NS-Regime wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in der sogenannten Reichspogromnacht erreicht. Etwa um. 3.30 Uhr stürmten rund 40 SA-Männer den Tempel und brannten ihn bis auf die Grundmauern nieder.6 Nach dem Kriegsende fanden nur wenige Juden den beschwerlichen Weg zurück nach Linz. Auf Grund von Entschädigungsleistungen der Republik Österreich im Jahr 1960 waren allerdings die finanziellen Mittel für eine Neuerrichtung der Linzer Synagoge vorhanden. Trotz ihrer bescheidenen Grösse stellt sie eine der bedeutendsten Synagogen Österreichs der Nachkriegszeit dar. Fritz Goffitzer stellte das Gebäude auf ein Granitsteinplateau, rückte die Nebenräume vom Betraum ab und arbeitete zusätzlich mit unterschiedlichen Gebäudehöhen. Sämtliche Baukörper unterliegen einem Modulmass, wodurch alle Elemente in proportionalem Zusammenhang stehen.7 Bis heute ist sie ein Symbol für die wiedergewonnene Integration des Linzer Judentums in die Gesellschaft.

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Querschnitt durch das Gebäude der alten Synagoge in Linz. Rendering von R. Mathe. Mit freundlicher Genehmigung R. Mathe.

Die Architektur der Synagoge

Der alte Linzer Tempel wurde von der Oberösterreichischen Baugesellschaft unter der Leitung von Ignaz Scheck geplant und errichtet. Unter den einheimischen Architekten nahm dieser als Vertreter des strengen Historismus eine führende Rolle ein. Architektonisches Vorbild der Synagoge war die Anlage in Kassel. Charakteristisch für beide Gebäude waren die Rundbogenfenster und Türen sowohl an der Vorderseite, als auch an den beiden Seitenfronten. Wie schon in Kassel konnte dieser Baustil den Wünschen der jüdischen Gemeinde in Linz am besten gerecht werden. Die Synagoge wirkte nicht völlig fremdartig, war aber trotzdem mit keinem anderen Gebäude in Linz zu vergleichen. Wichtig war die Symbolik für das friedliche Miteinanderleben, mit einer doch erhalten gebliebenen Eigenständigkeit des jüdischen Glaubens.8

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Grundriss der alten Synagoge in Linz, erstellt von R. Mathe. Mit freundlicher Genehmigung R. Mathe.

Die Innenraumgestaltung erfolgte nach den Plänen von Ferdinand Scheck. Er war Leiter des Kunst-ateliers für profane und sakrale Raumausstattung, welches sich unter seiner Führung auf Kircheneinrichtungen spezialisiert hatte. Bei der Ausgestaltung des Betraumes wollte er nicht mehr dem klassizistischen Vorbild in Kassel folgen. Der Zeit entsprechend wurde eine im romantischen Historismus gehaltene Ausführung angewendet. Man entschied sich für eine damals typische Konstruktionsweise, löste sich von den Rundbögen und Tonnengewölben und führte einen Entwurf mit gusseisernen Säulen, welche die Emporen und Decken abstützten, aus.9 Der Betraum konnte mit seinen Dimensionen durchaus überzeugen. Bei einer Nutzfläche von 255 m² und einer Raumhöhe von 10,77 m bot er Platz für 300 Sitzplätze im Erdgeschoss und weitere 200 Plätzen auf den Frauenemporen.10 Im Jahr 1906 wurde die ohnehin schon sehr beachtliche Synagoge um einen Vorbereitungsraum im Erdgeschoß und eine Galerie für die Aufstellung der Orgel erweitert. Grund für den Umbau waren die unzureichenden Fluchtmöglichkeiten. Durch diesen Eingriff konnte der bis dato bestehende Lagerraum in einen kleinen Wintertempel umfunktioniert werden.

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Thoraschrein der alten Synagoge in Linz. Rendering von R. Mathe. Mit freundlicher Genehmigung R. Mathe.

Die virtuelle Rekonstruktion

Da die originale Einreichung von 1876 nicht mehr existiert, konnte die virtuelle Rekonstruktion der Linzer Synagoge nicht auf den entsprechenden Planunterlagen aufbauen. Nur dank sehr akribisch verfasster Dokumentationen der damaligen Mitglieder der jüdischen Kultusgemeinde konnte eine vernünftige Nachbildung ermöglicht werden. Die zahlreichen Fotografien und Ansichtskarten stellten im Zusammenhang mit dem Umbauplan von 1906 eine umfangreiche Basis dar. Nicht dokumentierte Teile des Gebäudes wurden anhand konstruktiver und gestalterischer Regeln ergänzt oder anhand von Referenzobjekten nachempfunden. Schlussendlich konnte ein virtuelles Modell der Synagoge erstellt und somit der Gesamteindruck wieder zum Leben erweckt werden.12

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Grundriss der alten Synagoge in Linz. Rendering von R. Mathe. Mit freundlicher Genehmigung R. Mathe.

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Aussenansicht der alten Synagoge in Linz. Rendering von R. Mathe. Mit freundlicher Genehmigung R. Mathe.

Literatur:

IKG Linz. (2010). Die Synagoge. Linz: Verlag der jüdischen Kultusgemeinde in Linz.

Kurrein, V. (Mai 1927). Die Juden in Linz - Festschrift anlässlich des fünfzigjährigen Bestandes des Linzer Tempels. Menorah - Jüdisches Familienblatt für Wissenschaft/Kunst und Literatur V. Jahrgang Nr.5 , S. 311ff.

Marckhgott, G. (1984). Fremde Mitbürger. In A. d. Linz, Historisches Jahrbuch der Stadt Linz (S. 285-309). Linz.

Mathe, R. (2014). Diplomarbeit - Die virtuelle Rekonstruktion der Synagoge in Linz. Wien: Technische Universität Wien.

Hirschfeld, M. (1950). Abschrift einer schriftlich beglaubigten Aussage über die Ursache des Linzer Tempelbrandes. Wien: Archiv IKG Wien.

Wagner, V. (2008). Jüdisches Leben in Linz 1849-1943 Band I Institutionen. Linz: Wagner Verlag.

Wozasek, G. (2010). Die Geschichte des Hauses der israelitischen Kultusgemeinde in Linz. Linz: Verlag der jüdischen Kultusgemeinde in Linz.

1  vgl. Kurrein, 1927, S. 312ff

2  vgl. Wagner, 2008, S. 535f

3  vgl. Marckhgott, 1984, S. 300ff

4  vgl. Wozasek, 2010, S. 8

5  vgl. Wagner, 2008, S. 25f

6  vgl. Max Hirschfeld, 1950

7  vgl. IKG Linz, 2010, S. 15f

8  vgl. Mathe, 2014, S.19

9  vgl. Wagner, 2008, S. 544

10 vgl. Mathe, 2014, S.21

11 vgl. Mathe, 2014, S.26

12 vgl. Mathe, 2014, S.115