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„Judenwein“ = gepanschter Wein?!

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Andreas Lehnardt [Hg]: Wein und Judentum.

Berlin: Neofelis 2014.

255 Seiten, 10 S/W- und Farbabbildungen, Euro 29,00 [D].

ISBN: 978-3-943414-15-8

Juden konsumieren bekanntlich anlässlich religiöser Zeremonien Wein. Die Forschung hat sich bislang mit dem Zusammenhang von Wein und Judentum hauptsächlich unter religiösen Gesichtspunkten auseinandergesetzt. Der vorliegende Band will dagegen kulturgeschichtlich relevante Texte und Erscheinungen zu diesem Themenkomplex unter die Lupe nehmen. Die untersuchten Texte reichen von der Antike und Spätantike über das Mittelalter bis zur Neuzeit. Die im Band enthaltenen Beiträge gehen zurück auf das internationales Symposium „Wein und Judentum", das am 5. und 6. September 2012 vom Lehrstuhl für Judaistik in Mainz in Zusammenarbeit mit dem Verband der Judaisten in Deutschland an der Johannes-Gutenberg-Universität ausgerichtet wurde.

Sowohl die Einführung als auch die einzelnen Beiträge, insgesamt elf, geben in ihrer Einleitung stets einen kurzen Überblick über den Stand der Forschung zum Thema Juden und Wein, Wein und Judentum. Die Geschichte der Verbindung von Judentum und Wein beginnt damit, dass im Tempel in Jerusalem keine „Trankopfer", wie die Verfasser im vorliegenden Band meinen, sondern „Gussopfer", wie sie korrekt genannt werden, dargebracht wurden. Dafür wird zu Tempelzeiten nur der beste Wein verwendet, den die judäischen Weinberge hervorbringen. Nach der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 d.Z. durch die Römer setzt sich allgemein der Kiddusch durch - zelebriert in einer besonderen Zeremonie vor dem Schabbath und an seinem Ausgang ebenso wie zu Beginn und am Ende aller jüdischen Feiertage und auch bei einschneidenden Zeremonien des jüdischen Lebens wie Beschneidung, Bar-Mitzva und Hochzeit. In allen Fällen wird ein besonderer Segensspruch über mindestens ein Glas Wein gesagt, der Wein anschliessend getrunken.

Dafür braucht man „koscheren" Wein, also Wein, der ausschliesslich von Juden hergestellt wird. Nicht umsonst hat man bei Ausgrabungen im heutigen Israel, verstreut über das ganze Land, Weinkelter gefunden. Später gab es jüdische Winzer unter anderem auch in Deutschland, die damals Wein vor allem für den eigenen rituellen Bedarf anbauten, bis ihnen der Weinanbau untersagt wurde. Soweit die Einführung in dieses Thema.

Gleich zu Beginn des Bandes findet sich der wohl interessanteste Beitrag, verfasst von Tal Ilan, einer israelischen Professorin, in dem sie dem Zusammenhang zwischen Frauen und Wein im Babylonischen Talmud nachgeht.

In seinem Beitrag über italienischen Wein in der rabbinischen Literatur wundert sich Giuseppe Veltri darüber, dass in Herodes Palast auf Massada Fässer mit „italienischem Wein" gefunden wurden. Er sei getröstet: Herodes ist nach jüdischem Verständnis kein Jude (denn seine Mutter war die Araberin Kypros), deshalb war es ihm gestattet, italienischen Wein zu trinken.

Susanne Pleitzsch geht hauptsächlich der Frage nach, was genau Noachs Sohn Ham seinem Vater angetan und warum Noach seinen Enkel Kanaan verflucht hat. Während aus jüdischer Sicht mit dieser Geschichte hauptsächlich vor übertriebenem Weingenuss gewarnt werden soll, wird aus patristischen Sicht, also aus Sicht der Kirchenväter, die „frühjüdische Linie der ungebrochenen Perfektion aufgenommen", wobei Noach als „Typus Christi" erscheint.

In Artikel „Geheimnisse durch Wein entdecken in der rabbinischen Literatur" befasst sich Farina Marx eingehend mit der Gematria, einer jüdisch-hermeneutischen Technik, die zur Interpretation von Textpassagen mithilfe der Zahlenwerte von hebräischen Buchstaben dient. Die Gematria ist, zusammen mit der Kabbala, ein Thema, das Nichtjuden immer und überall fasziniert hat.

Mit dem zweiten Teil sind wir ins Mittelalter gelangt, und hier untersucht Bill Rebiger den Wein in der jüdischen Magie. Nach einem Exkurs in die Kairoer Genisa und einer Besprechung der dort vorgefundenen Texte, die sich in irgendeiner Weise mit Wein befassen, kommt Rebiger zu dem Schluss, dass Wein in der jüdischen Magie als „materia magica" ausschliesslich für allgemein positiv bewertete Zwecke verwendet werde. Also keinerlei schwarze Magie!

Anhand von Elke Morloks „Zwischen Ekstase und Gottesfurcht. Wein in der Kabbala und im Chassidismus" nimmt man erleichtert zur Kenntnis, dass die Chassidim, die Frommen seit 1700 bis heute, keinen Wein brauchten, um die gewünschte Ekstase zu erreichen. Auch in diesem Beitrag wird häufig und gern von der Kabbala Gebrauch gemacht.

Der Herausgeber Andreas Lehnardt kommt am Ende seines Beitrags über die profane jüdische Wein-Dichtung des Mittelalters zu dem Schluss, dass Wein nicht überhöht oder als Symbol gedeutet wird; er gilt lediglich als gegorener Traubensaft, der aufgrund seines Alkoholgehalts Freude bereiten oder aber auch, wenn zu viel davon genossen wird, Kummer bringen kann.

Im dritten Teil begegnen wird der Spiegelung des Themas in der Neuzeit, und gleich der erste Beitrag von Uta Lohmann über „David Friedländer (1750-1834) und die Berliner Aufklärung", erscheint völlig überflüssig. Abgesehen davon, dass dort zu erfahren ist, dass der „philosophische Arzt Marcus Herz" dank Immanuel Kant den Wein trinken und schätzen lernte, ist nachzulesen, dass Kant dennoch Juden gegenüber mehr als kritisch eingestellt war.

Der letzte Beitrag dieses Bandes befasst sich schliesslich mit Wein und Judentum im 19. Jahrhundert. Der Verfasser Kevin D. Goldberg kritisiert gleich eingangs, dass Juden in der Historiographie des Weinhandels gerne übersehen werden. Um diesen Eindruck zu korrigieren, bringt er eine Zusammenfassung über Juden im Weinhandel, denn Juden lebten nicht nur in Berlin, Dresden und Breslau, sondern auch im Rheingau und anderenorts und waren dort auch Winzer. Es erhebt sich schnell die Frage nach dem „Kunstwein", denn gerne wirft man Juden vor, den Wein zu verfälschen. Immer wieder gibt es Prozesse, in denen jüdische Händler dafür verantwortlich gemacht werden, dass sie am Niedergang der Weinkultur die Hauptschuld trügen.

Etwas fehlt in diesem Band, meine ich: Der Weinanbau in Israel und seine Geschichte dort. Schon die Pharaonen wussten Wein aus Kanaan zu schätzen. In römischer Zeit wird Wein aus Judäa in die damals bekannte römische Welt in Massen exportiert, nach der Einnahme dieses Landstrichs durch Muslime kommt der Weinanbau praktisch zum Erliegen. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts beginnt die allmähliche Erholung der Weinindustrie mit dem erneuten systematischen Anbau von Wein. Seit den 1970er Jahren gilt Wein aus Israel als ein Spitzenprodukt, das den Vergleich mit  den Produkten aus anderen Ländern nicht zu scheuen braucht.

Jahrhundertelang haben Christen Jüdisches durch ihre christliche Brille betrachtet und beurteilt - und auch der vorliegende Band setzt diese Tradition leider fort. Hinzu kommt die unsägliche „wissenschaftliche" Transkription hebräischer Wörter, die Wortungetüme wie be-rak-hot, pe-ri ha-gafen oder Ha-si-de Asch-ke-naz hervorbringt, bei denen sich ein Nicht-Eingeweihter fragt, wie sie denn nun korrekt ausgesprochen werden.