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Reuven „Rubi“ Rivlin, Israels neuer Präsident

Johannes GERLOFF

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Aus Gewissensgründen isst er kein Fleisch, erzählt gern „schrullige" Witze, und kommentierte die Sahnetorte, mit der er als Kommunikationsminister beworfen wurde, mit den Worten: „Ich bin gegen vieles versichert, nur nicht gegen Schlagsahne!" Am Dienstag, den 10. Juni 2014, wurde Reuven Rivlin zum 10. Präsidenten des Staates Israel gewählt.

Bereits im Vorfeld der Abstimmung in der Knesset hatten Umfragen den 74-Jährigen als populärsten Kandidaten erwiesen. Am 24. Juli legte er als Nachfolger von Schimon Peres seinen Amtseid ab.
Reuven Rivlin wurde am 9. September 1939 in Jerusalem geboren. Aufgewachsen ist er im Jerusalemer Viertel Rechavja, wo er auch das Gymnasium besuchte. Nach seiner Armeezeit studierte Rivlin Rechtswissenschaften an der Hebräischen Universität. Während des Sechstagekriegs im Juni 1967 gehörte er unter Mordechai „Motta" Gur zu der Division, die die Klagemauer befreite. 1978 wurde Reuven Rivlin in den Magistrat von Jerusalem gewählt, wo er es bis zum stellvertretenden Bürgermeister brachte. Im November 1988 zog er als Abgeordneter des rechts-konservativen Likud-Blocks in die Knesset ein.
Unter Ariel Scharon war Rivlin fast zwei Jahre lang Kommunikationsminister und im Februar 2003 wurde er Sprecher der 16. Knesset. 104 von 120 Abgeordneten stimmten damals für ihn. Zu Tränen gerührt versprach er, „Knessetsprecher für alle" zu sein. Bemerkenswert ist, dass niemand im äusserst korruptions- und skandalsensiblen Israel seine Integrität zu hinterfragen scheint.
Die Beziehung zwischen Rivlin und Premierminister Netanjahu stellte im Vorfeld der Wahl alle anderen Themen in den Schatten. Netanjahu habe, so spekulierten selbst ernannte „Insider", alles getan, um einen „Präsidenten Rivlin" zu verhindern. Einen Tag nach der Wahl traten Benjamin Netanjahu und Reuven Rivlin dann aber demonstrativ versöhnt vor die Presse, versicherten fast schon übertrieben einstimmig, es gebe „keinerlei böses Blut" zwischen ihnen.
Tatsächlich stammt Israels neuer Präsident aus einer illustren Jerusalemer Sippe. Sein Vorfahr, Rabbi Hillel Rivlin, war Anfang des 19. Jahrhunderts auf Geheiss seines Lehrers, des „Gaon von Wilna" ins Land gekommen, um eine jüdische Gemeinde aufzubauen.
Offiziell darf sich das Staatsoberhaupt Israels nicht politisch äussern. Es soll das chronisch zerstrittene Volk einend vertreten. Aber persönliche Meinungen sind im diskussionsfreudigen Israel nie Nebensache - auch nicht bei „Staatsbürger Nummer Eins". Eindeutig gehört Rivlin im politischen Spektrum dem rechts-konservativen Flügel an. Vehement hat er sich gegen die Räumung des Gazastreifens ausgesprochen. Jerusalem ist für ihn die ewig unteilbare Hauptstadt seines Landes, die Schaffung eines Palästinenserstaates keine Option. Wiederholt hat er sich offen für eine Konföderation mit den Palästinensern oder gar einen bi-nationalen Staat ausgesprochen. Rivlin will „Judäa und Samaria", wie er das Westjordanland nennt, annektieren und die Palästinenser zu Staatsbürgern machen.
Bei alledem ist sich Reuven Rivlin darüber im Klaren, dass er mit seinem Widerstand gegen jede Teilung des Landes Israel in der aktuellen politischen Situation als „Utopist" gehandelt wird. Immer wieder verleiht er seiner Hoffnung Ausdruck, irgendwann würden doch noch alle Juden weltweit nach Israel zurückkehren.
Selbst die kompromisslos rechtskritische Tageszeitung „HaAretz" anerkennt im Falle Rivlin, dass „Siedlerfreund" nicht gleich „Araberfeind" sein muss. Nachhaltig setzt sich Rivlin für ein gutes Miteinander von Juden und Arabern ein. Wiederholt hat er in der Knesset für die Rechte und Sensibilitäten seiner arabischen Mitbürger geworben. Deshalb haben selbst Abgeordnete der teils sehr israelkritischen arabischen Parteien in der Knesset für Rivlin als Staatspräsident gestimmt. Letztendlich hat er seinen Wahlsieg Abgeordneten von der Siedlerpartei „Jüdisches Haus" ebenso wie Kollegen der kommunistisch-linksliberalen „Meretz"-Partei, Arabern und Ultraorthodoxen gleichermassen zu verdanken.
Der im Ausland nur wenig bekannte Reuven Rivlin hat in der Politikerszene seines Heimatlandes ein breites Spektrum an Freunden, die den altgedienten Parlamentarier hoch schätzen. Auch politische Gegner geben zu, dass der als „bodenständig und bescheiden" geltende Mann - wie man Jiddisch sagt - „a Mensch" ist.
Definitiv ist die Wahl Rivlins ein Symptom dafür, wo die israelische Gesellschaft im Sommer 2014 steht: Man wünscht sich „Israeliut" („Israelisch-Sein"), ein gelöstes aber festes und eindeutiges Ja zum Jüdischsein, zum Land Israel und zur uralten Verwurzelung des jüdischen Volkes in diesem Land zwischen Jordan und Mittelmeer - ohne damit arabische Mitbürger zwangsweise ablehnen oder gar hassen zu müssen. Rivlin ist ein greifbarer Beweis dafür, dass das ersatzlos propagierte Lieblingskind westlicher Nahostpolitik, die Zweistaatenlösung, an Boden verliert.
Die Wahl Rivlins zeigt, wie wenig Israels Gesellschaft und Politik sich heute noch in die Zwangsjacke von „Rechts und Links" packen lässt. Es sind Persönlichkeiten, die auf dem Parkett den Ausschlag geben. Schimon Peres war der Staatsmann, der selbstbewusst, ruhig, optimistisch und weltoffen dem höchsten Amt im jüdischen Staat wieder das Gewicht und die Ehre verschafft hat, die ihm gebührt - nachdem sein Vorgänger wegen sexueller Vergehen im Gefängnis gelandet ist. Reuven Rivlin ist der volksnahe Grossvater der Nation, der sich bei seiner Antrittsrede der Tränen nicht schämt, stürmisch seine geliebte Frau umarmt, die offensichtlich überrascht von der neuen Aufmerksamkeit mit dem für Jerusalemer Grossmütter so typischen Rucksack auf dem Rücken unmittelbar nach der Wahl in die Knesset kommt.
Nein, geliebt wird Reuven Rivlin nicht von allen Israelis. Aber er ist populär und wird selbst von Gegnern und Kritikern gemütlich mit „Rubi" angesprochen. Ein „Herr Rivlin" passt irgendwie nicht zu ihm - und an das „Mr. President" muss sich der eingefleischte „Jeruschalmi", der Bürger Jerusalems, irgendwie noch gewöhnen.