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Strategische Überlegungen zum Gaza-Krieg

Gustav C. GRESSEL

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Nach der Entführung und Ermordung dreier israelischer Jugendlicher eskalierte erneut der seit Jahren schwelende Konflikt zwischen der radikalislamischen Hamas und Israel zu einem Krieg. Man könnte meinen, dass dieser wie schon 2008/09 oder 2012 zu „Routine" in den Beziehungen zwischen Hamas und Israel gehört. Doch steht der Konflikt heute unter ganz anderen strategischen Vorzeichen als noch vor zwei Jahren.

Erstens operiert die Hamas heute aus der strategischen Schwäche, nicht Stärke. Sie war in der Spenden- und Aufmerksamkeitsgunst unter radikalislamischen Kräften ständig gesunken. Die Muslimbruderschaft war in Ägypten von den Schalthebeln der Macht verdrängt worden. Die Förderer radikaler Kräfte aus den Golfstaaten und der islamischen Diaspora im Westen haben sich ISIS und anderer fundamentalistischer Splittergruppen im syrischen bzw. syrisch-irakischen Bürgerkrieg zugewandt. Der Iran hat alle Hände voll zu tun um Maliki und Assad zu stützen und kein Interesse an irgend einer sunnitischen Splittergruppe, die sich zudem 2012 von Teheran distanzierte und sich bei den Golfstaaten einschleimen wollte. Selbst Erdoğan scheint angesichts anhaltender innen- und aussenpolitischer Schwierigkeiten die Lust vergangen zu sein, sich als Schirmherr der Palästinenser aufzuspielen. Die militärische Eskalation war - so zynisch dies klingen mag - ein Schrei nach Aufmerksamkeit und Geld.

Der „ISIS-Schock", also die Furcht vor dem Aufstieg radikal-islamischer Gruppierungen haben jedoch zumindest unter den Nachbarstaaten Israels (Jordanien, Libanon, Ägypten) die Bereitschaft, sich für den durch die Hamas regierten Gazastreifen einzusetzen gegen Null schwinden lassen. Der Versuch der Hamas, sich durch eine Eskalation wieder in die erste Reihe regionaler Fürsorgefälle zu katapultieren, scheint daher vorerst vergebens zu sein.

Dass heisst aber noch nicht, dass Israel deshalb gute Karten in der Hand hat. Die strategischen Optionen Tel Avivs sind in diesen Tagen ähnlich trist. Durch eine begrenzte militärische Aktion kann die Hamas und ihre Infrastruktur zwar geschwächt werden, aber zerstörte militärische Infrastruktur kann rasch wieder instand gesetzt werden (meist weit schneller als die zivile). Weder 2008/09 noch 2012 wurde die Hamas so nachhaltig geschwächt, als dass sie nicht bald wieder mit Provokationen begann. Für eine dauerhafte Besetzung des Gaza-Streifens und eine daraus resultierende Stadtguerilla gegen die Hamas fehlen Israel die Kräfte - und vermutlich auch auf lange Sicht der Durchhaltewillen. Angesichts der Unsicherheiten in der Region, wird man die Armee kaum über Jahre in Gaza binden wollen. Man wird sie auch anderenorts brauchen (müssen). Ägypten will den Gazastreifen nicht zurück.. Und eine Ablöse der Hamas steht auch nicht zu Diskussion. Die Fatah ist durch anhaltende Verhandlungsmisserfolge gegenüber Israel so geschwächt, dass sie kein ernsthafter Rivale der Hamas mehr ist. Vielmehr drängen auch in der Westbank noch radikalere, fundamentalistischere Gruppen als der Hamas nach. ISIS und ihr im syrisch-arabischen Grenzgebiet eingerichtete Terrorstaat lassen die Hamas geradezu moderat wirken. Wieweit kann man daher die Hamas noch schwächen? Und wie weit soll Tel Aviv damit überhaupt gehen?

Die dauerhafte Weigerung Netanjahus und Libermanns in ernsthafte Nahostverhandlungen und dadurch Abbas politisch kalt zu stellen muss als schwerer strategischer Fehler betrachtet werden. Allerdings kann dieser Fehler in der gegenwärtigen Situation nicht mehr revidiert werden. Besseres kommt nicht nach! Verhandlungstechnisch hätte Israel eine Karte gegenüber den Nachbarn im Ärmel: die Furcht vor einem zweiten Gaza/Syrien ist unter den Nachbarn - etwa Jordanien - stärker ausgeprägt als je zuvor. Eine Regierung, die dies geschickt spielt, könnte die regionalen Nachbarn stärker in die Verantwortung pressen als dies noch vor drei Jahren möglich gewesen wäre. Ob man diese Chance nützt, ist allerdings eine andere Frage.