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„Fremde im Visier“ – Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg

Alexander VERDNIK

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Bereits die vieldiskutierte Wehrmachtsausstellung der 1990er Jahre hat die Beteiligung von Wehrmachtseinheiten an Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt. Die Ausstellung „Fremde im Visier" im Grazer Joanneumsviertel (bis 1. September 2013) widmet sich nun den subjektiven Eindrücken und Erinnerungen von „einfachen" Kriegsteilnehmern.

In den letzten beiden Jahrzehnten haben private Erinnerungsspuren in den Geschichtswissenschaften, aber auch im öffentlichen Interesse stark an Bedeutung gewonnen. Für den Zweiten Weltkrieg sind die Hauptquellen dieser Rezeptionsgeschichte Feldpostbriefe, Kriegstagebücher und Privatfotos von Wehrmachtssoldaten. Letztere bieten uns eine differenzierte Darstellung des Kriegsverlaufs an und hinter der Front, die sich manchmal erheblich von der der öffentlichen NS-Propagandafotografie unterschieden hat. Im privaten Bilderfundus des einfachen Soldaten tauchen durchaus auch solche Bilder auf, die eigentlich nicht für die Augen in der „Heimat" bestimmt waren: Fotos von Erschiessungen, Kriegsverbrechen, Gewalt gegenüber Zivilisten sowie Aufnahmen von Drangsalierungsmassnahmen in den jüdischen Ghettos. Solche Aufnahmen, die der offiziellen Bildpropaganda keinesfalls genehm waren, bilden jedoch eher die Ausnahme. Viel häufiger versuchten die Soldaten die propagierte Ästhetik und Aussage, also die eigene Überlegenheit gegenüber den Eroberten, zu imitieren.

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Foto: Mit freundlicher Genehmigung des Joanneumsviertel Graz.

Verräterische Leerstellen   

In den Bildern haben die Frontsoldaten ihre Sicht auf das Fremde, das Unbekannte und die Extremsituation Krieg festgehalten. Private Kriegserinnerungen erzählen viele subjektive Geschichten des Zweiten Weltkrieges. Obwohl auch private Fotografien nicht den wahren Verlauf der Kriegsgeschehnisse festhalten, sind sie oft interessante Fingerzeige für die Erforschung der Mentalitätsgeschichte; unterschieden sich die Wahrnehmungen und gewonnen Eindrücke des einfachen Soldaten doch erheblich von der offiziellen propagierten Berichterstattung, die den Krieg verschönt und Gräueltaten vollkommen ausgeblendet hat. Private Fotografien sind ein individueller, aber auch stark selektiver Speicher der historischen Ereignisse. Aufnahmen von Kriegsverbrechen wie Exekutionen waren zwar offiziell verboten, trotzdem finden sich solche in vielen Privatbeständen. In vielen Alben, die nachträglich vom Besitzer oder dessen Nachkommen eine (Selbst-)Zensur erfahren haben, verweisen Leerstellen (entfernte Fotos) mit oder ohne Bildunterschrift auf das einstige Vorhandensein solcher Aufnahmen. Viele Alben wurden zudem erst nach Ende des Krieges angelegt. Dadurch entstanden „entnazifizierte" Varianten, die sich von der zuvor intendierten Version erheblich unterscheiden konnten.

Die in der Ausstellung gezeigten Fotografien demonstrieren uns die verschiedenen Blicke der Soldaten auf die ihnen fremden Menschen und Kulturen. Der Bogen dieses Blickes spannt sich vom touristischen über einen ethnographisch-neugierigen bis hin zu einem stark rassistisch gefärbten, der die eigene Überlegenheit zum Ausdruck bringen sollte. Beliebte Motive waren Gefangene, die Zivilbevölkerung und deren Alltag, russische Bauern, muslimische Frauen und die Kolonialtruppen der französischen Armee. Die meisten Aufnahmen sind im Zuge des Überfalls auf Polen 1939, der Besetzung Frankreichs 1940, dem Krieg gegen die Sowjetunion (ab Sommer 1941) und des Krieges auf dem Balkan (ab 1941) entstanden. Aufnahmen toter deutscher Soldaten, die der Schwächung der Kampfmoral und den Glauben an den „Endsieg" beeinträchtigen konnten, waren tabu. Der Heimat durften lediglich „Heldengräber" präsentiert werden. Kriegserinnerungen sind meist chronologisch aufgebaut und zeigen die Stationen des Soldatenlebens vom Eintritt in die Wehrmacht, der militärischen Ausbildung bis hin zu den Eindrücken am jeweiligen Kriegsschauplatz. Die letzten Albenseiten sind geprägt von den Motiven Tod, Verwundung oder Gefangenschaft sowie Heimkehr. Der Ausstellungskatalog verweist daneben auf die „Bedeutung der Auslassung": „An Erlebnisse, die nicht fotografiert wurden, möchte man sich später auch nicht erinnern".1 Dies ist auch der Grund, warum Aufnahmen von direkten Kampfhandlungen die absolute Ausnahme bilden.

Auch der unmenschliche Kriegsalltag wird in der Ausstellung veranschaulicht. So finden sich beispielsweise im Einsatzbefehl des Kommandeurs des rückwärtigen Armeegebietes vom 9. September 1942 unter Punkt 9 „Minen" folgende Anweisungen: „Da mit Verminung zu rechnen ist, ist für Bereitstellung von Minensuchgerät 42 (Juden oder gefangenen Bandenmitgliedern mit Eggen und Walzen) in ausreichender Zahl zu sorgen. Die Einheiten haben sich selbst mit Stricken auszurüsten, um die Juden oder Bandenangehörigen mit langen Halsstricken zu versehen. Zur Beseitigung von Minensperren sind allen Kampfgruppen Pioniere in ausreichender Zahl mitzugeben." Eine Sequenz von vier Aufnahmen bezeugt, dass Menschen tatsächlich als „Minensuchgeräte" eingesetzt wurden. Auf dem ersten Foto dieser Reihe ist eine Frau zu sehen, die durch einen Wasserlauf zum Ufer watet. Auf der Rückseite der Fotografie steht handschriftlich „Die Minenprobe". Die drei folgenden Aufnahmen zeigen Lastwagen, die nach der Frau durchs Wasser fahren. Zwei bleiben unversehrt, ein dritter bleibt zerbombt zurück.

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Foto: Mit freundlicher Genehmigung des Joanneumsviertel Graz.

Feldpostkarten als weitere Brücken zur Heimat

In einem weiteren Bereich der Ausstellung erlauben Audioinstallationen, dem Ausstellungsbesucher den Erzählungen dreier ehemaliger Kriegsteilnehmer, die ihre Eindrücke fotografisch dokumentiert haben, zu lauschen. Aus dem Ausstellungskatalog: „Diese Erinnerungen stehen in einem Spannungsfeld zwischen der eingeübten wiederholten Erzählung und dem dennoch verborgenen Schrecken des Erlebten. Ihre Fotos beeinflussen auch unsere Vorstellungen vom Zweiten Weltkrieg, sie sind Teil der Erinnerungskultur bis heute."2

Neben Fotografien bildeten Feldpostkarten eine Brücke zur Heimat. Im November 1939 erreichte eine solche das Kriegslokal des Reichskriegerbundes in Irdning. Absender waren die Kameraden der 1. Kompanie des Nachschub-Battalions 518, die sich zu diesem Zeitpunkt in Tarnow aufhielten. Auf der Karte steht zu lesen: „Für die lieben Kartengrüsse aus den verschiedenen feuchten Ecken senden wir dieselben mit Alkohol bespritzen zurück, es wird manchmal ganz gemütlich in unserer Judenstadt, vor kurzen [sic!] haben wir die Tempel dem Verein Flam(m)e übergeben, die obdachlosen Juden bringen wir als dauernde Erinnerung für Euch mit z[u] Haus! Sieg Heil unserem Führer, gottseidank das [sic!] wir in [sic!] noch haben, ..."  Dem folgt eine namentliche Nennung einiger Kameraden.

Zusätzlich zur Ausstellung, die noch bis zum 1. September 2013 gezeigt wird, wird ein umfangreiches und spannendes Begleitprogramm angeboten. Mehr Informationen über die Ausstellung und das Programm kann man auf der Website der Multimedialen Sammlung des Joanneumsviertels beziehen.