
An dieser Stelle wurde in                          den vergangenen Jahren auch immer wieder das Pflänzchen                          Hoffnung genährt, das im Nahostkonflikt ja nicht                          erst einmal zertreten wurde. Hoffnung ist ja zu Beginn                          eines neuen Jahres die natürlichste menschliche Annäherung                          an die noch ungewisse Zukunft. Hoffnung lebt nicht von                          bloßem Wunschdenken, sondern hat einen, wenn auch                          noch so schwachen Rückhalt in der Realität.                          Aber nicht nur in der harten Realität des Alltags                          sondern auch in dem realen Imperativ ethischer und religiöser                          Normen, denen man sich verpflichtet weiß und von                          denen man erwartet, daß sie auch für andere                          Gültigkeit haben mögen. Rosch ha-Schana mit                          seinem Gedächtnis der Schöpfung – die Zahl                          5763, nach biblischer Zählung die seit der Erschaffung                          der Welt vergangene Zahl der Jahre, erinnert ja nicht                          zuletzt daran, daß G’tt der ganzen Schöpfung                          ein Gesetz gegeben hat. Ein Gesetz, das vor allem dem                          Menschen dient, von dem es heißt:
 Dann sprach Gott: Laßt uns Menschen machen als unser                          Abbild, uns ähnlich. (1Mos 1,26).
 Ist es nicht utopisch zu meinen, daß dieses theoretische                          Wissen eine wie immer geartete reale Hoffnungsgrundlage                          bilden kann? Immerhin hat eine um Frieden bemühte                          israelische Bewegung eben dieses Wort (betselem=im Abbild)                          zu ihrem Wahlspruch gemacht. Ein zartes Pflänzchen                          der Hoffnung: Bewußtseinsbildung im Inneren und                          Erwartung einer ausgestreckten Hand von außen. Kann                          man aber wirklich davon träumen, daß diejenigen,                          die mit Sprengstoff umgürtet oder mit Panzern und                          Bulldozern Gerechtigkeit zu schaffen suchen, von solchen                          subtilen Überlegungen berührt sein könnten?                          Die Sachlage wird ja dadurch noch zusätzlich komplizierter,                          daß das Postulat jeglichen Gewaltverzichts unhaltbar                          ist. Recht muß auch erzwingbar sein, sonst ist es                          Schall und Rauch und der Staat würde zum bloßen                          Nachtwächterstaat, in dem das Leben der Menschen                          von der Gewalt des Unrechts beherrscht wäre. 
 Im zivilen Leben hat es sich daher bewährt, nicht                          den die Gewalt anwenden zu lassen, der ein Recht einfordert,                          das er zu haben meint, sondern zunächst seinen Anspruch                          durch ein Gericht zu prüfen und mit staatlicher Autorität                          und nicht mit Selbstjustiz durchzusetzen. Daß das                          auf der Ebene von Staaten de facto anders läuft,                          ist jedermann klar. Es hat überdies den Anschein,                          als ob im Nahostkonflikt ein sehr starkes Element des                          corporate-personality-Denkens wirksam ist. Nicht individuelle                          Schuld, sondern die Zugehörigkeit zur feindlichen                          Gruppe legitimiert Gewaltanwendung. Das führt de                          facto zu einer für Generationen unüberwindlichen                          Spirale des Hasses. Wer freilich nicht diesem Prinzip                          folgt, riskiert als Schwächling zu gelten. Schon                          die Bibel kannte dieses Problem. "Lamech sagte zu                          seinen Frauen: Ada und Zilla, hört auf meine Stimme,                          ihr Frauen Lamechs, lauscht meiner Rede! Ja, einen Mann                          erschlage ich für eine Wunde und einen Knaben für                          eine Strieme. Wird Kain siebenfach gerächt, dann                          Lamech siebenundsiebzigfach." (1Mos 4,23f). Die Tora                          setzte dagegen das wohltuende, so oft mißverstandene                          Prinzip "Aug um Aug": "Bruch um Bruch,                          Auge um Auge, Zahn um Zahn. Der Schaden, den er einem                          Menschen zugefügt hat, soll ihm zugefügt werden."                          (3Mos 24,20).
 Moses Maimonides formulierte sehr klar die Voraussetzung                          unter der ein König überhaupt Krieg führen                          darf: Es bedarf der Zustimmung des Sanhedrin. Darunter                          verbirgt sich wohl ein tiefes Mißtrauen der rabbinischen                          Halacha gegen die Allmacht der Könige. Das Ganze                          ist nicht so lebensfern, wenn man die in diesen Tagen                          laufende Diskussion um die Berechtigung des Präsidenten                          zu geplanten Kriegsführungen im Namen der Terrorismusbekämpfung                          beobachtet. Gewaltanwendung bedarf, wenn sie schon nicht                          vermeidbar ist, der Kontrolle. Einer Kontrolle, die nicht                          nur vom Gedanken der technisch optimalen Durchsetzung,                          sondern eben von der Unterwerfung unter die Schöpfungsordnung                          bestimmt ist. Dem Schreiber dieser Zeilen ist sehr bewußt,                          daß die wohlwollendste Reaktion auf solche Utopie                          bei vielen Lesern ein mitleidiges Lächeln sein wird.                          Die Utopie sei aber dem verziehen, der das Pflänzchen                          Hoffnung zu Rosch ha-Schana unter zerfetzten Menschenkörpern                          und zerstörten Hausruinen mit Kinderleichen sucht.                          Das Bild von der als Pflanze keimenden Hoffnung bedarf                          aber auch der Konkretisierung: Gibt es gesellschaftlich-politische                          Strömungen, die ein Gedankengut propagieren, das                          zur Deskalation der Gewalt führen könnte? Aber                          verbirgt sich nicht schon hinter dieser Frage ein Vorurteil?                          Wer sagt denn eigentlich, daß in diesem konkreten                          Fall weniger Gewalt zum Ziel führt? Wäre nicht                          ein höheres Maß an Gewalt besser geeignet,                          eine radikale Änderung der Situation zu erreichen?                          Scharon scheint davon überzeugt, die Hamas scheint                          davon überzeugt und da auch Präsident Busch                          davon überzeugt ist, gibt es niemanden, der die Kontrahenten                          vom Gegenteil überzeugen könnte. Solange es                          also gelingt, die jeweiligen Bevölkerungen und Anhänger                          über das im Unklaren zu lassen, was tatsächlich                          ihrem Wohle dient, kann es auf ihrem Rücken munter                          so weitergehen. Den naiven Beobachter irritiert dabei                          der Umstand, daß sowenig über die jeweiligen                          längerfristigen Zielvorstellungen bekannt wird. Hier                          liegt sicher einer der Gründe für die nahezu                          ausweglose Situation. Beide Seiten sind im tiefsten Herzen                          davon überzeugt, daß es dem jeweils anderen                          nur um Maximallösungen geht: Zerstörung des                          Staates Israel bzw. Vetreibung der Palästinenser.
 Wenn man die Vorgänge als Außenstehender verfolgt,                          so läßt sich erkennen, daß dieses leider                          nicht ganz unberechtigte Mißtrauen bewirkt(e), daß                          die Lösungsmodelle halbherzig bleiben (müssen).                          Ein Staat ohne zusammenhängendes Territorium, von                          Siedlungen und exterritorialen Korridoren unterbrochen                          ist ebenso wenig attraktiv, wie die Aussicht auf einen                          souveränen Nachbarstaat als bedrohliches militärisches                          Aufmarschgebiet.
 Wo bleibt die Hoffnung? Sie liegt ausschließlich                          darin, daß pragmatisch denkende Politiker, zu einem                          minimalen gemeinsamen Nenner hinsichtlich der zu schaffenden                          Sicherheits-und Lebensbedingungen gelangen. Was aber noch                          schwieriger sein dürfte, sie haben die Aufgabe ihre                          emotional überforderten Bevölkerungen hinter                          sich zu scharen. Dem kann sich gerade der nicht entziehen,                          dem es um die Verwirklichung der zionistischen Ideale                          geht. Denn im Augenblick ist jüdisches Leben nirgendwo                          so gefährdet, wie im jüdischen Staat. Es steht                          nicht zuletzt zu hoffen, daß sich jemand findet,                          der Arik Scharon, wie damals im Jom Kippurkrieg vor 30                          Jahren, als er die dritte ägyptische Armee einkesseln                          wollte und damit die reale Voraussetzung für den                          späteren Friedensschluß mit Ägypten zunichte                          gemacht hätte, daran hindert, seinen Stil weiterzuführen.                          Das ist keine einseitige, antiisraelische Sicht, sondern                          die klare Konsequenz aus der absoluten militärischen                          Überlegenheit Israels. Sozusagen die Anwendung des                          Sprichworts "Der Stärkere gibt nach..."                          Daß diese Gedanken nicht an den Haaren herbeigezogen                          sind, belegt wohl der Umstand, daß die Tochter des                          ermordeten ehemaligen Ministerpräsidenten Rabin ihr                          politisches Amt in der Koalitionsregierung kürzlich                          zurücklegte, um sich dem Werk ihres Vaters zu widmen.                          Das von ihm eingesetzte Pflänzchen der Hoffnung hatte                          nicht Gelegenheit sich in der Geschichte zu bewähren,                          wurde es doch von blinder, mörderischer Gewalt niedergetreten.
 Dennoch gibt es immer wieder starke Zeichen eines innerisraelischen                          Reflexionsprozesses, der nach neuen Wegen sucht. Verfolgt                          man die in hebräischer Sprache geführten Diskussionen                          etwa in der angesehenen Tageszeitung Ha-Aretz, so wird                          einem die Lebendigkeit aber auch die Radikalität                          dieser Auseinanderstzung bewußt. Manchmal würde                          man sich wünschen, daß Diskussionsbeiträge                          außerhalb des Landes Israel dasselbe Niveau erreichen                          und derselben Toleranz begegnen würden. So aber handeln                          sich kritische Beiträge nur zu leicht den Vorwurf                          ein, aus opportunistischer Gesinnung geschrieben zu sein,                          die nur nach Akzeptanz seitens der Antisemiten lechzt.                          Die Überschrift eines Artikels von Naomi Klein bringt                          das Problem auf den Punkt:"Nein der Besetzung und                          Nein dem Antisemitismus." (Ha-Aretz, 3.Mai 2002 S.                          1B). Schade, daß oft übersehen wird, daß                          die eben beschriebene Gedanken-und Pressefreiheit in Israel                          das Rückgrat des mit Recht betonten wesenhaft demokratischen                          Charakters der israelischen Gesellschaft bildet. In gewisser                          Weise erging es den palästinensischen Persönlichkeiten,                          die sich mit einem Aufruf gegen die Selbstmordanschläge                          wandten (Al-Quds 20.Juni 2002) nicht anders. Sari Nouseibe                          und Hanan Ashrawi handelten sich so den Vorwurf ein, in                          ausländischem Sold zu stehen (vgl. Die Gemeinde Nr                          539 Juli 2002, S. 14). Solidariät ist gut, wenn sie                          jedoch aufhört problemorientiert zu sein, wird sie                          selbstzerstörerisch. Es wäre naiv zu übersehen,                          daß gerade die Linke in Israel von der Ergebnisnlosigkeit                          ihrer Bemühungen und dem Mangel an Echo auf der palästinensischen                          Seite enttäuscht wurde. Dennoch versucht es Jossi                          Beilin mit einer neuen Partei, der er den hoffnungsvollen                          Namen "Morgenröte" gegeben hat. Die Problematik                          ist keineswegs einfach. Jede Friedenslösung setzt                          ja aus israelischer Sicht neben allen Sicherheitsüberlegungen                          auch die Selbstdefinition des Charakters des eigenen Staates                          voraus. Das kommt etwa in den Worten von Roman Bronfman,                          des Führers der linken Kleinpartei "Demokratische                          Wahl" zum Ausdruck: " Ich persönlich tendiere                          dazu, daß wir kein jüdisch-demokratisches Land                          sein sollten, sondern ein demokratisches, in dem das Judentum                          eine eher symbolische Rolle einnimmt." (Die Presse                          1.Aug.2002 S. 4). Man sollte nicht übersehen, daß                          es innerisraelische Reflexionsprozesse gegeben hat, die                          heute bereits vergessen sind, obwohl sie größte                          Bedeutung haben. Noch bis in die 70er Jahre war es verpönt                          überhaupt von Palästinensern zu sprechen. Auch                          das hat eine Kehrseite. In dieser Auseinandersetzung und                          nicht zuletzt durch die gegenwärtigen Ereignisse,                          wird in eben dieser Bevölkerungsgruppe immer stärker                          das Bewußtsein gefestigt, ein Volk, mit dem Recht                          auf Selbstbestimmung zu sein. 
 Welchen Aspekt also immer man auch aufgreift, nahezu jeder                          führt in eine ausweglose Sackgasse. Vielleicht ist                          aber gerade das das einzig Positive an der gegenwärtigen                          Lage, daß sie das Lösungsmodell "Gewalt"                          ad absurdum geführt hat. Was läge näher,                          als mit den Worten des etwas melancholischen biblischen                          Buches Kohelet zu schließen:
 "Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen                          unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit:eine Zeit                          zum Töten und eine Zeit zum Heilen, eine Zeit zum                          Niederreißen und eine Zeit zum Bauen,.... eine Zeit                          zum Lieben und eine Zeit zum Hassen, eine Zeit für                          den Krieg und eine Zeit für den Frieden.“