| Kann jüdische Kunst nur                als religiöse Kunst definiert werden? Oder darf man                Werke jüdischer Künstler auch als "Kunst                der Juden" interpretieren? Diese und ähnliche                Fragen stellen sich einem unwillkürlich, besucht                man eine Ausstellung, von Konzept und Aufbau her bisher                europaweit einmalig, die derzeit im Haus der Kunst, München,                zu sehen ist. Als Veranstaltung des Los Angeles County                Museum of Art, des Center for German Expressionist Studies                in Los Angeles (USA) und des Martin-Gropius-Baus, Berlin,                wird bis zum 10. Oktober 2002, unter dem weitgespannten                Titel "Avantgarden in Mitteleuropa, 1910-1930",                zum erstenmal ein breiter Querschnitt durch teils noch                wenig bekannte Bewegungen kreativer Erneuerung geboten.  Es waren vierzehn Städte – Wien, Prag, Budapest, Berlin, Weimar, Dessau, Bukarest, Zagreb (Agram), Belgrad, Ljubljana (Laibach), Posen, Krakau, Warschau und Lódz –, wo sich, vor Beginn des Naziterrors die Wege zahlreicher Künstler kreuzten und so weltoffene Gemeinschaften entstehen ließen, deren beispielsloser Zusammenhalt, innovativer Geist und schöpferischer Austausch das westeuropäische Kulturgeschehen damals gelenkt und geprägt hat und bis heute mitbestimmt. Weniger bewußt ist die Tatsache, daß sich unter diesen, inzwischen international bekannten Künstlern auch eine repräsentative Reihe jüdischer Maler, Grafiker, Bildhauer und Theoretiker befindet. Marc Chagall: "Der Viehhändler" (Öl), 1922/23 Nun wären wir wieder bei den eingangs gestellten                  Fragen, und jetzt könnte eine vorsichtige Antwort                  vielleicht so lauten: Es gibt, trotz dem einst einschränkendem                  Bilderverbot, auch in der Bildenden Kunst Maler und                  Grafiker – wie z.B. Ephraim Mose Lilien (1874-1924),                  Marc Chagall (1887-1985), Anatoli Kaplan, um drei große                  Namen aus Galizien bzw. Rußland zu nennen –,                  die man primär als jüdische Künstler                  bezeichnen darf, weil sie einerseits der ostjüdischen                  Kultur- und Traditionswelt entstammen und andererseits                  ihre Thematik primär auf die vielfältige Darstellung                  des Judentums ausgerichtet ist. Und es gibt wohl kaum                  andere Künstler, die den ostjüdische Menschen                  in seinem ethnospezifischen Alltag, aus der Sichtweise                  des feinsinnigen Beobachters und Kenners, so prägnant                  herausgestellt haben. Das könnte ein Argument sein,                  Lilien, Chagall und Kaplan vor allem als jüdische                  Künstler zu betrachten, auch wenn es in der einschlägigen                  Literatur meist heißt, Lilien gehöre, als                  Mitarbeiter der Münchener Kunstzeitschrift "Jugend",                  zur "deutschen" Jugenstil-Bewegung, und von                  den anderen beiden sei der eine "ein Franzose russischer                  Herkunft" und der andere "ein Russe"                  gewesen. Lajos Tihany:  Die ungarische Avantgarde, repräsentiert durch                  zweiundzwanzig Künstler, gruppierte sich einst                  hauptsächlich um die Budapester Zeitschrift "MA"                  (Heute), deren Herausgeber, Lajos Kassák, "die                  Köpfe dieser neuen Kultur, zumeist assimilierte                  Juden und deklassierte Mitglieder des Kleinadels"                  (Lee Congdon) um sich versammelte, da diese sich scharf                  gegen  El Lissitzky: "Proun 93" (Mischtechnik), 1923 Es ist unmöglich, im Rahmen dieses Beitrags alle                  bedeutsamen Künstler, deren Werk in der Münchener                  Retrospektive vertreten ist, auch nur aufzuzählen,                  und so sollte hier abschließend noch auf einige                  elitäre jüdische Namen der europäischen                  Avantgarde hingewiesen werden. So ist der aus Potschinok                  bei Smolensk stammende, inzwischen weltbekannte El Lissitzky                  (Elieser Markowitsch Lissitzki, 1890-1941), Maler, Architekt,                  Fotograph, Theoretiker, der zusammen mit Kasimir Sewerinowitsch                  Malewitsch (1875-1934) die konstruktivistische Kunst                  mitprägte, mit fünf Arbeiten, darunter die                  berühmte Komposition "Proun" (1920),                  vertreten. Von Konrad Winkler (1882-1962), der ebenfalls                  wie Bruno Schulz (1892-1942) als Maler, Grafiker und                  Schriftsteller bekannt wurde, jedoch nicht dessen tragisches                  Schicksal hatte, sind einige Ölgemälde zu                  sehen, die ihn als einen bedeutenden Vertreter der polnischen                  Moderne ausweisen. Junkiel Adler: "Meine Eltern" (Mischtechnik), 1921 Aus dem Avantgardezentrum Bukarest, einer Stadt, die                  einst "das Tor zum Osten", doch auch "Klein-Paris"                  genannt wurde, wo, neben vielen kleineren Publikationen,                  die Zeitschrift "Contimporanul" (Der Zeitgenosse)                  eine herausragende Rolle spielte, werden repräsentative                  Werke jüdischer Künstler, wie Marcel Janco,                  Sasa Pana, Ion Vinea, Arthur Segal, Victor Brauner,                  Tristan Tzara, Henri Bad, Stephan Roll u.a. ausgestellt.                  Unter den Exponaten befindet sich, als einziges Objekt                  dieser Art avantgardistischer Formgestaltung, auch ein                  großer handgewebter Bodenteppich mit kubistischem                  Dekor von Maximilian H. Maxy. Neben der "jüdischen                  Mehrheit" – im Bereich der modernen Kunst                  sei hier diese statistische Wertung erlaubt – sind                  selbstverständlich immer wieder auch Arbeiten anderer                  bekannter Künstler zu sehen, wie z.B. von Constantin                  Brancusi, Hans Mattis-Teutsch und Henri Nouveau-Neugeboren.   |