Ausgabe

Die reformierte Synagoge in Bratislava,1969 abgerissen

Julia Palyoova

Die reformierte Synagoge in Bratislava (dt. Pressburg, ungar. Pozsony) wurde in den Jahren 1893 -1895 nach dem Entwurf des Wiener Architekten ­Dionys Milch gebaut. Mit der Ausführung wurde der ortsansässige Baumeister Ignaz Feigler beauftragt. Ihr prominenter Standort neben dem Martinsdom im Zentrum von Bratislava zeugte von ihrer ­Symbolkraft für Toleranz und ­Multikulturalität.

 

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Virtuelle Rekonstruktion – ­Längsschnitt

Quelle: DI Julia Palyoova

Inhalt

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Abbruch der Synagoge, April 1969

Quelle: www.judaica.cz
(Herr František Bányai)

 

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Historische Fotografie
der ­Synagoge, Blick von der
Weidritzer Strasse

Quelle: www.judaica.cz
(Herr František Bányai)

 

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Virtuelle Rekonstruktion –
Blick auf die
­Synagoge vom Fischplatz

Quelle: DI Julia Palyoova

 

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Virtuelle Rekonstruktion-
Innenraum – Thora-Schrein

Quelle: DI Julia Palyoova

 

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Virtuelle Rekonstruktion-
Blick vom Balkon (Orgelgeschoss)

Quelle: DI Julia Palyoova

 

 

Virtuelle Rekonstruktion der reformieten Synagoge in Bratislava

 

Die neologe (reformierte) jüdische Gemeinde in Bratislava

Erste Belege für die Anwesenheit einer jüdischen Bevölkerung in Bratislava stammen schon aus dem 1. oder 2. Jahrhundert n. Chr. Dies belegen die archäologischen Funde von jüdischen Grabsteinen und rituellen Gegenständen. Am Ende des 17. Jahrhunderts wurde in Bratislava eine Jeshiva (Rabbinerschule) gegründet. Die Pressburger Gemeinde gewann an Bedeutung, nachdem im Jahre 1806 der Rabbiner Mosche Schreiber aus Frankfurt, auch bekannt unter dem Namen Chatam Sofer, zum Oberrabbiner von Bratislava ernannt wurde. Er unterichtete in der erwähnten Jeshiva und war Vertreter der streng orthodoxen Linie des Judentums. Während seiner Tätigkeit wurde Bratislava zu einem Zentrum des orthodoxen Judentums der Habsburgermonarchie.

Die reformierte jüdische Gemeinde hingegen wurde im Jahre 1872 als Folge des Jüdischen Kongresses 1868 von Budapest gegründet. In den 1870er Jahren zählte sie nur etwa 60 bis 70 Familien, die aus der orthodoxen Gemeinde ausgetreten waren. Diese reformierten Juden strebten eine gewisse Assimilation an die Mehrheitsbevölkerung und dadurch auch eine Gleichstellung an.

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Virtuelle
Rekon­struktion-Blick von der Weidritzer Strasse (die ganze Strasse wurde 1968 - 69 ebenfalls abgerissen)

Quelle: DI Julia Palyoova

Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte die vertriebene reformierte jüdische Gemeinde nie wieder zurück. Juden, die nach Bratislava zurückkehrten, gründeten eine neue orthodoxe jüdische Gemeinde und versammelten sich in zwei weiteren Synagogen, die es in Bratislava damals noch gab.

Die Zeit des Kommunismus in den Jahren 1969-1989 war gezeichnet vom Verfall und der Zerstörung jüdischer Denkmäler, Synagogen und Friedhöfe. Nach der politischen Wende im Jahr 1989 zählte die jüdische Gemeinde in Bratislava noch ungefähr 700 Mitglieder.

 

Die reformierte Synagoge am Fischplatz
(Slowak. Rybné námestie)

Das Raumprogramm der Synagoge wurde auf das reformierte Judentum zugeschnitten. Die Synagoge war durch einen Vorraum mit fünf Eingangstüren zu betreten. Aus dem Vorraum gelangte man in den Gebetsraum für Männer im Erdgeschoss. Die Bimah war an der Ostseite des Raumes nahe dem Thoraschrein situiert, was der Altar-Situation in christlichen Kirchen ähnelte. Der Gebetsraum war auf drei Seiten von der Frauengalerie umgeben. Die Galerie wurde durch ein Treppenhaus im rechten Turm betreten. Im zweiten Stock befand sich in einem kleinen Raum mit Balkon die Orgel. Die liberalen Juden („Reformjuden“) bevorzugten einen „geregelten G‘ttesdienst“ mit Chor und Orgelspiel, der dem katholischen Ritus sehr ähnlich war.

Die Synagoge wurde im neomaurischen Stil mit eklektischen Merkmalen gebaut. Der neomaurische Stil zeichnet sich durch pflanzliche Ornamentierung und Farbgebung aus, welche sich auf architektonische Vorbilder der Araber und der zeitweise mit ihnen verbündeten islamisierten Berber im Maghreb und in Andalusien während der Zeit des 8. bis 18. Jahrhunderts beziehen. Das bedeutendste Vorbild für diesen Baustil war die Festung Alhambra in Granada.

 

Abbruch der Altstadt und Synagoge
im Zuge der Errichtung einer neuen Brücke über die Donau

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Synagoge nur mehr als Lager genutzt. In den 1960er Jahren wurde dort ein Studio des öffentlichen tschechoslowakischen Fernsehens eingerichtet. Eugen Bárkány, ein jüdischer Architekt, der sich für die Erhaltung des jüdischen Erbes in der Slowakei einsetzte, plante in dieser Synagoge ein Museum der jüdischen Kultur einzurichten. In den Nebenräumen des Gebäudes lagerte er Gegenstände aus Synagogen und Gebetshäusern aus verschiedenen Orten der Slowakei.

Der Bau einer heute weithin sichtbaren Plattenbau-Siedlung am rechten Donauufer, im Stadtteil Petržalka (dt. Engerau, ung. Pozsonyligetfalu), Ende der 1960er Jahre war für das Schicksal der Synagoge und des gesamten Stadtviertels am Südhang der Burg entscheidend. So sollten Wohnungen für 100.000 Menschen entstehen. Im Jahr 1967 wurde mit dem Bau einer neuen Brücke, die das Stadtzentrum von Bratislava mit Petržalka verbinden sollte, begonnen. Die Brücke wurde als die einzige Anbindung der Siedlung so gross dimensioniert, dass dieser Brückenausdehnung unglücklicherweise viele historische Gebäude weichen mussten. Im Jahre 1969 wurde die reformierte Synagoge trotz Protests der Öffentlichkeit und der Jüdischen Kultusgemeinde abgerissen.

Es ist fragwürdig, ob der Abbruch nötig war. Durch eine alternative Situierung der neuen Brücke hätte viel mehr vom historischen Bestand erhalten werden können. Für die Brücke wären noch zwei andere Standorte in Frage gekommen, aber unglücklicherweise zeigte sich die Streckenführung durch den Fischplatz aus wirtschaftlicher und verkehrstechnischer Sicht als die günstigste Variante. Des Weiteren wurde ein architektonischer Wettbewerb für die Brücke ausgeschrieben. Mehrere Entwürfe sahen die Erhaltung der Synagoge vor.

Unter seltsamen Umständen gelangte aber ein Projekt zur Ausführung, das aus denkmalpflegerischer Sicht nicht das Beste war. So kam es in relativ kurzer Zeit zum Abbruch vieler historischer Bauten. Ein wichtiges Argument für diese unfassbare Zerstörung der Altstadt war damals auch deren desolater Zustand. Die ursprünglichen Eigentümer der Häuser waren während des Krieges oder kurz danach ausgesiedelt worden, ihre Häuse, enteignet, wurden nicht mehr gepflegt. Dies führte zu einem totalen Verfall, sodass der Abbruch des gesamten Stadtviertels unter dem Burghügel als die einzige Lösung erschien.

 

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Virtuelle ­Rekonstruktion-
Panorama von ­Bratislava um 1900

Panorama um 1970

Quellen: DI Julia Palyoova


Virtuelle Rekonstruktion der Synagoge


Die virtuelle Rekonstruktion der Synagoge am Fischplatz erfolgte nach einer langen Recherche in Archiven, Museen, im Internet, in Fachliteratur und in historischen Zeitungen. Von besonderer Bedeutung waren die Einreichpläne vom Architekten der Synagoge Dionys Milch aus dem Jahr 1893. Ausserdem wurde im Archiv des slowakischen Denkmalamtes in Bratislava eine vor dem Abbruch durchgeführte Bauaufnahme entdeckt.

Es war eine Vielzahl an Fotografien des Fischplatzes vorhanden, wohingegen das Fehlen von Innenraumaufnahmen die Rekonstruktion erschwerte. Aus diesem Grund ist die Innenraumrekonstruktion nicht vollständig. Einige Bereiche (wie beispielsweise der Thoraschrein) wurden nur vereinfacht dargestellt.

Die Innenraumrekonstruktion basiert auf dem Vergleich der Pläne mit anderen Synagogen im maurischen Stil aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, sowie Fotografien des Abbruches.

Es bleibt nur zu hoffen, dass weitere Innenraumbilder gefunden werden und damit eine komplette Rekonstruktion des Innenraumes möglich wird.

Quellen:

PALYOOVA Julia, Die virtuelle Rekonstruktion
der reformierten Synagoge in Bratislava
(Rybné námestie/Fischplatz),
TU Wien: Diplomarbeit 2017

BÚTORA, Ivan, NIŽŇANSKÝ, Eduard; (2011);
Stratené mesto / Verlorene Stadt Bratislava-­Pozsony-Pressburg. Bratislava: Marenčin PT

HRADSKÁ, Katarína (2008); Židovská Bratislava [Das Jüdische Bratislava]. Bratislava: Marenčin PT

TANAKA, Satoko (2009), Wilhelm Stiassny
(1842–1910) Synagogenbau, Orientalismus
und jüdische Identität. Wien: Dissertation