Ausgabe

Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh

Stephan Templ

Präsident
Marko M. Feingold s.A. (1913–2019)

Inhalt

Der Regen prasselte auf das Dach des Zeltes der Trauerredner. Ihre Worte drangen nicht weit, der „Wetterg‘tt“ hatte das Sagen. Eine illustre Gemeinde versammelte sich da um das ausgehobene Grab Marko Feingolds, alle politischen und religiösen Repräsentanten Salzburgs waren da, selbst die Burschenschafter.

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Präsident Marko Feingold
und seine Frau Hanna, 2010.

Foto: T. Walzer, mit freundlicher Genehmigung.

 

Marko Feingolds Weg war wohlbekannt, er selbst hat ihn in seiner Autobiographie Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh völlig ungeschminkt dargestellt: von der Geburt im ungarischen Neusohl, dem heutigen slowakischen Banská Bystrica – der Vater war gerade als Eisenbahnarbeiter hier tätig – über sein Aufwachsen in der Wiener Mazzesinsel, den aufkommenden Nationalsozialismus, die „irrtümliche“ Verhaftung und Verurteilung seines Bruders Nathan wegen nazistischer Betätigung, dessen dreimonatige Haft, das machte den jungen Marko hellhörig.  Dieses Klima und die Arbeitslosigkeit liessen ihn und seinen Bruder Ernst als Vertreter nach Italien gehen. Seine Rückkehr im Februar 1938 zwecks Passverlängerung wurde zum Lebensverhängnis. Es folgten Verhaftung, Flucht, die KZs Auschwitz, Neuengamme, Dachau, die Befreiung in Buchenwald. Feingold wollte nach Wien, um zu sehen, ob jemand aus seiner Familie überlebt hatte. Doch der Weg endete an der Zonengrenze in Enns, dank Staatskanzlers Renner – der wollte,  so Feingold,  keine rückkehrenden Juden in Wien. Der Zufall verschlägt ihn nach Salzburg. Hier organisiert er die DPs (Displaced Persons), begleitet Hunderttausende über den Brenner auf ihrem Weg nach Palästina. Als die Briten dem einen Riegel vorschieben, kundschaftet er eine neue Route nach Italien aus und schafft es in Zusammenarbeit mit einer Hüttenwirtin, tausende Flüchtlinge vorbei an den Briten über das Hochgebirge der Krimmler Tauern nach Italien zu schleusen.

Feingold selbst folgte ihnen nicht, schlug auch ein Visum in die Vereinigten Staaten aus, blieb in Salzburg, trotz des stets offen geäusserten Antisemitismus Prominenter, wie des Journalisten Alfons Dalma, damals Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Feingold eröffnete dann ein Modegeschäft, „Wiener Mode“, das er bis 1977 führte. Seit damals war er dann also für fast vier Jahrzehnte Präsident der Salzburger Kultusgemeinde, stand als Zeitzeuge unermüdlich in Schulen, besuchte wegen Wiederbetätigung Verurteilte im Gefängnis. Mit 105 Jahren holte er sich noch eine Lungenentzündung, als er Schüler auf einer Fahrt zur KZ-Gedenkstätte Auschwitz begleitete, und überlebte auch das. Er war Österreichs ältester Shoah-Überlebender. Er war der einzige Überlebende seiner Familie: Seine Brüder Fritz Nathan und Ernst, seine Schwester Rosa Selinger kamen alle um. Am 20. September 2019 verstarb Präsident Marko Feingold in Salzburg im Alter von 106 Jahren.

 

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Das Begräbnis von Marko Feingold,
am jüdischen Friedhof Salzburg-Aigen.

Foto: St. Templ, mit freundlicher Genehmigung.