Modewellen aller Art schwappen in kurzer Abfolge von Jahren  immer wieder über uns hinweg, sei es aus den Bereichen Musik, Film und Fashion  oder aber in Form ganzer Lebenswelten anderer Kulturen, die in der westlichen  Hemisphäre zum schnelllebigen Trend erhoben werden. 
 
 In den letzten zehn Jahren  durften wir beobachten, wie im Zuge einer immer enger vernetzten Welt  Fernöstliches (man denke an ungezählte Sushi-Bars, Feng Shui oder Mangas),  Asiatisches (z. B. in Form cineastischer Konkurrenzprodukte zum amerikanischen  Markt aus Bollywood) oder auch Europäisches (Nahreisen an die Ostseeküste oder  in die Toscana als Folge des 11. September 2001) die westliche Welt des Konsums  quasi über Nacht erweiterten. Dass mit diesen Trends auch jeweils ein Stück der  großen weiten Welt in unsere Kühlschränke und Wohnzimmer Einzug hielt, ist dabei  durchaus als kulturelle Bereicherung zu verstehen. 
 
 Der Mensch stillt seine naive  Neugierde damit, dass er das Fremde und im besten Fall Exotische bis zu einem  gewissen Grad in sein Leben lässt, allerdings nur soweit, dass er sich in seiner  eigenen kulturellen Identität nicht gestört fühlt. Imitation kann, sogar wenn  sie schlecht gemacht ist, zu einem besseren Verständnis der jeweils anderen  kulturellen Identität führen, auch wenn sie vorläufig im pervertierten  Konsumrausch in der Dekorationsabteilung eines Möbelhauses endet. Nichts ist  mehr fremd, was einmal imitiert wurde, was nicht mehr fremd ist, wirkt weniger  bedrohlich. Dass dabei kein wirklicher kultureller Austausch stattfindet, ist  von diesem Standpunkt aus betrachtet vorläufig zweitrangig.
 
 Die genannten Überlegungen sind weder neu noch unbestritten, sie gewinnen jedoch  an Aktualität durch einen neuen Trend, der sich seit knapp einem Jahr  abzuzeichnen beginnt, nämlich die »Entdeckung« vermeintlicher und auch  tatsächlicher jüdischer Kultur durch Prominente aus Film- und Musikbusiness,  allen voran Madonnas Einsatz für die kabbalistische Sekte des Philip Berg. Mit  nahezu unübersehbarem missionarischen Einsatz wirbt die Sängerin für die Lehren  der Kabbala und setzt damit eine Welle in Gang, die derzeit halb Hollywood  ergriffen hat. So nennt die deutsche Glamour im Juli 2004 u. a. Britney Spears,  Barbara Streisand oder auch Elisabeth Taylor als Anhänger der kabbalistischen  Lehre in der Auslegung des Laien und Gurus Philip Berg, der u. a. in Los Angeles  und London Kabbalazentren betreibt. 
 
 Wie alle Gruppen greift auch diese auf identitätsstiftende Symbole zurück, so etwa auf ein zartes rotes Bändchen am  Handgelenk, das Böses abwehren soll und zum unverzichtbaren Accessoire für alle  Stars und Sternchen geworden ist, die ihrem Vorbild folgen wollen. Dabei ist die  Überzeugungskraft eines Opinion Leaders wie Madonna gar nicht zu unterschätzen.  Was sich die Stars von ihrer Zuwendung zu einer Lehre erhoffen, die zwar  Anknüpfungen an die traditionelle jüdische Exegese aufweist, die jedoch in einer  ganz eigenen Tradition steht, beginnend mit dem 12. Jahrhundert, und in ihrer  Auslegung durch moderne Sektenführer ihren Bezug zur jüdischen Tradition nahezu  vollständig verloren hat, bleibt ihr Geheimnis. 
 
 Bis sich eine Modewelle aus der Welt der Oberen Zehntausend in den Sphären der  unteren Millionen durchsetzt, vergehen durchschnittlich ein bis zwei Jahre und  selbst wenn die Ausläufer einer möglichen Welle der Kabbalistik, so sie denn  nicht nur einen kleinen Kreis von Auserwählten betrifft, über die Massen  hinwegläuft, muss man nicht zwangsläufig mit Zehntausenden neuen Anhängern der  Kabbalasekten rechnen. Sich ein rotes Bändchen für 30 Dollar um die Hand zu  binden, bedeutet noch nicht, seinen Verstand an der Tür eines Zentrums  abzugeben, das von seinen Mitgliedern zehn Prozent ihres Gehalts für sich  beansprucht. Allerdings wirft dieser Trend auch einige Fragen auf, etwa die, ob  die Mode der Kabbalistik das Bild konventioneller jüdischer  Glaubensgemeinschaften in der Öffentlichkeit beeinflusst und ob sich eine  seriöse Ausübung der Kabbalistik von dieser Modeerscheinung überhaupt noch  absetzen kann. 
 
 Noch ist es zu früh, um die Folgen dieser Modewelle, so sie sich denn zu einer  solchen ausweiten wird, abwägen zu können. Beachtenswert ist sie allemal. Wir  haben es hier jedoch keineswegs mit einem völlig neuartigen Phänomen zu tun:  Moden kommen und gehen, auch in der Glaubenswelt. War noch vor wenigen Jahren  Richard Gere als, übrigens immer noch, gläubiger Buddhist Trendsetter in diesem  Bereich und entfesselte der Film »Sieben Jahre in Tibet« eine Massenfaszination  für die Welt des Buddhismus, was nebenbei auch zum immensen Erfolg der Bücher  des Dalai Lama beigetragen hat, so kann nach Madonna und der Kabbalistik einem  anderen Prominenten diese Rolle zufallen und damit auch einer anderen  Glaubensrichtung. Parallel dazu entwickeln sich Erscheinungen wie etwa die der  christlichen Schmusebarden »Söhne Mannheims«, die sich durch penetranten, aber  harmlosen Missionarswillen ihres Bandleaders Xavier Naidoo bemühen, Zeichen für  die Völkerverständigung im Sinne traditioneller christlicher Werte zu setzen.  Gemeinsam wären Richard Gere und Xavier Naidoo damit der überzeugte Einsatz für  eine anerkannte Glaubensgemeinschaft, was sie von Madonnas Hinwendung zu einer  Kabbalasekte unterscheidet. 
 
 Popstars wie Madonna setzen im Showbusiness Akzente, die sich in ihrer Imitation  in der realen Welt zum Trend entwickeln können. Damit stellt sich die provokante  Frage, ob etwa mediale Größen wie Madonna einen Beitrag zum Kampf gegen  Antisemitismus leisten können, allein aus dem Grund, da sie als  Identifikationsfiguren Millionen von Menschen beeinflussen. Dass sich die Fans  mit Hilfe von Konsumartikeln, wie etwa dem im Preisniveau so manchen  Mittelklasseweinen vergleichbarem Kabbalawasser, ein Stück jüdischer Identität  in ihre Wohnzimmer holen und in ihr Alltagsleben integrieren, ist wohl kaum zu  erwarten, doch viel schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob dies überhaupt  wünschenswert wäre.
 
 Wenn wir von der Prämisse ausgehen, dass jede Imitation zu positiven Effekten  führen kann, dann müssten wir dies bejahen. Wirft man aber einen genaueren Blick  auf das, was dort imitiert wird, fällt die Antwort nicht mehr ganz so leicht. Um  es überspitzt auszudrücken: Kann man es gut heißen, dass, nur weil Madonna ein  Faible für Kabbalistik entwickelt hat, Antisemitismus und Antijudaismus gerade  »out« sind? Ganz abgesehen davon zeigt uns die Realität in Europa, dass  Antisemitismus offenbar keineswegs »aus der Mode gekommen« ist. Dass Parteien  wie die rechtsextreme NPD im letzten Jahr in den Sachsener Landtag einziehen  konnten, liegt zum großen Teil an der mangelnden Bereitschaft der Bürger,  antisemitische Parteiinhalte als solche wahrzunehmen, sie zu verurteilen und in  letzter Konsequenz der NPD ihre Stimme zu verweigern. Die Gedenkfeiern zum  Jahrestag des Bombardements auf Dresden vor 60 Jahren, bei der die Dresdner  Bevölkerung in Lichterketten die Worte "Diese Stadt hat Nazis satt" formte,  waren dagegen ein gutes Zeichen, ebenso die Wahlabsage an die NPD in  Schleswig-Holstein im Februar dieses Jahres. 
 
 Die Antisemitismusdiskussion mit einer Frage nach Trends in der Welt des Showbiz  zu verbinden, scheint beinahe frivol und auch unangebracht zu sein. Auf den  zweiten Blick aber muss man sich die Frage gefallen lassen, ob sich aus  derartigen Trends, wenn sie nun schon einmal unsere Konsumwelt überfluten, nicht  auch positive Aspekte ableiten lassen. Wenn Hollywood oder die Popwelt in der  Lage sind, religiöse Modewellen, wie im Falle des Buddhismus, auszulösen, wäre  es immerhin denkbar, dass diese auch für das Judentum eine positive Wirkung  entfalten könnten. Bedenklich ist dabei allerdings, dass es dazu eine Madonna  braucht, die zwar über künstlerische Qualitäten verfügen mag, deren  Urteilsvermögen bei ihrer Identitätsfindung aber sehr wohl angezweifelt werden  darf. Nichts desto trotz wird es hier wahrscheinlich ein Trend in unseren Alltag  schaffen, den zu ignorieren uns schwer fallen, den wertfrei zu kommentieren uns  aber nahezu unmöglich sein wird.