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BERNHARD FUCHS

Georg B. DEUTSCH

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"Dr. Frankl, der stellvertretende Leiter des "Allgemeinen Pressebüros", war spät am Nachmittag noch auf einen Sprung ins Büro gekommen, um einen Blick in die Montagblätter zu tun. Es war nicht die Zeit seiner regulären Bürostunden. Die Beschäftigung in einem so unberechenbaren Ressort wie die Presse, der Verkehr mit so unregelmäßigen Herren wie Journalisten, ließ einen festen Stundenplan nicht zu. Wie in Redaktionen, so waren auch in seinem Büro die heißesten Arbeitsstunden die des Vormittags und die späten Abendstunden. Am Nachmittag pflegte Dr. Frankl nur ausnahmsweise im Büro zu erscheinen. Zwar schien an diesem Montag nichts Wichtiges vorzuliegen, aber zu seinen Obliegenheiten gehörte es vor allem, gerade das tägliche Gras der Zeitungen wachsen zu hören, das nicht er selber ausgesät hatte. Und da konnte man nie oft genug hinhorchen.

© ÖNB, Bildarchiv, Wien

Dr. Frankl griff nach dem Zeitungsstoß, der in einem Winkel seines großen Schreibtisches frisch aufgerichtet war. Seine Finger schienen ihre eigenen Augen zu haben. Sie tasteten nur obenhin den Stoß ab und gleich hatten Daumen und Zeigefinger das gesuchte Blatt an der Falte erfaßt. Auf den Inhalt des Blattes ging Dr. Frankl nicht ein. Er sichtete das Material. Ihm lag ja bloß daran, zur Stelle zu sein, wenn es dem Chef wichtig erscheinen sollte, Näheres über den Kongreß der Gesetzestreuen zu erfahren, bei dessen Eröffnungsfeier persönlich zu erscheinen er, wenn auch nicht offiziell, sich vorgenommen hatte. So war er eben im Büro: er saß vor seinem Schreibtisch und erwartete den telephonischen Ruf.

Dr. Frankl war von kleiner Statur, schmalschulterig, sehr mager, dennoch eine prägnante Figur, die sich wie ein moderner Linoleumschnitt gleichsam aus drei Farben zusammensetzte: dem Pechschwarz seiner Haare, der Tabakbräune seiner Haut und dem Weiß der vorgewölbten großen Augenbälle, die hinter dicken Brillengläsern im Büro eine langsame, lauernde, außerhalb der Büroräume eine mehr trauernde Schwere ausdrückten. Er war kaum über fünfzig, sah aber, vor dem Schreibtisch sitzend wie ein Vierziger aus, ein täuschender Eindruck, der aber gleich zum Nachteil ausschlug, wenn der kleine, mit nervöser Energie geladene Mann sich erhob und in vorgebeugter Haltung durch die Räume schritt. Da sah er eher schon wie bald ein Sechziger aus. Dieser Eindruck kam von der vorgebeugten Haltung des Oberkörpers, einer eingefleischten Pose, die der Physis des Doktors kaum entsprach, eigentlich bloß ein Ersatz für die erkünstelte Überlegenheit, die ein Mann in seiner Stellung als der jederzeit besser Informierte von Berufs wegen zur Schau zu tragen hatte, einer schier greisen Haltung, die übrigens eine entlehnte war. Dr. Frankl entlehnte sie seinem Chef, mit dem ihn auch eine amts- und stadtbekannte Freundschaft verband.

Einer telephonischen Bestellung gewärtig, vertrieb sich Dr. Frankl die Wartezeit mit äußerst flüchtiger Zeitungslektüre. Mit einer nervösen Bewegung der linken Hand – es war halb ein Hieb, halb ein Riß – glättete er ein Blatt zurecht, während die rechte über einen Aktenstoß hinweg nach dem Fläschchen Kölnisch Wasser langte, das zu den Utensilien seines Schreibtisches gehörte, ein paar Tropfen über die Fingerspitzen rinnen ließ und in langsamer, mechanischer Hebung mit den erfrischten Fingerspitzen an die Schläfen rechts und links tupfte. Es war dies eine Maßnahme zur Linderung der Kopfschmerzes. Obgleich ein früherer Reporter, litt Dr. Frankl infolge einer ausgiebigen Beschäftigung mit der Tagespresse an Migräne, die ihn mit pünktlicher Heftigkeit überfiel, wenn er nur in einem Blatt zu lesen sich anschickte. Sein Verbrauch an Kölnisch Wasser war aber auch als ein Art Kritik an der Publizistik aufzufassen. Und Dr. Frankl übte diese Kritik mit verschwenderischer Intensität, besonders in der Anwesenheit der Herren von der Presse...

Die flinken Bewegungen der rechten Hand, die sich des Fläschchens bedienten, hatten übrigens eine entfernte verwandtschaftliche Ähnlichkeit mit den schnellen Hantierungen Reb Welwels anläßlich der kleinen rituellen Waschung vor dem Morgengebet. Dr. Frankl war sich einer solchen Ritualähnlichkeit kaum bewußt, doch wäre er keinesfalls unangenehm überrascht gewesen, wenn man ihn einmal darauf hingewiesen hätte. Denn er gehörte durchaus nicht zu jenen Juden, die in gehobener Stellung nie von der Beängstigung frei sind, sie könnten für Juden gehalten werden. In einem westeuropäischen Sinne des Wortes war er sogar ein sogenannter Jude strenger Observanz."

Diese anschauliche Schilderung des Dr. Frankl stammt aus dem Roman "Der Sohn des verlorenen Sohnes" des österreichisch (-amerikanisch)en Autors Soma Morgenstern.1 Der Name "Dr. Frankl" und dessen weitere Rolle in dem Roman sind frei erfunden, alles andere hier Geschilderte stützt sich aber auf Szenen, die 1929 tatsächlich stattgefunden haben. Die obige Beschreibung ist, wie Morgenstern selber andernorts ausdrücklich festhält2 , ein getreues Porträt des stellvertretenden Bundespressechefs, des damals 55-jährigen Ministerialrates Dr. Bernhard Fuchs.

Wesentliche Eigenschaften dieser Persönlichkeit sind in dem zitierten Abschnitt bereits angedeutet: Bernhard Fuchs hatte, nachdem er selber Journalist gewesen war, eine offizielle amtliche, keineswegs unbedeutende Funktion im österreichischen Staat und war nicht nur der Herkunft her, sondern auch seiner Identität und Überzeugung nach Jude. Seine Identität und Überzeugung galt ebenso Österreich: "er hing seinem Lande mit ergebener Treue an, das er wie jeder andere Österreicher als sein Vaterland ansah."3

Bernhard Fuchs stammt aus einer Familie, die mehrere Mitglieder hervorgebracht hat, die für das österreichische Judentum bzw. für das jüdische Österreich bedeutend waren.4 Seine Vorfahren waren fromme Juden, die im Waagtal, etwa 100 Kilometer nordöstlich von Pressburg, als Branntweinbrenner, Pächter in der Landwirtschaft und in ähnlichen Berufen in relativ bescheidenen Verhältnissen lebten. Sein Vater Rudolf Fuchs (1826-1914), siebentes von acht Kindern, hat, wie so viele Juden seiner Generation, sich mühsam und ambitioniert gesellschaftlich verbessert, ohne aber dabei seine religiösen Wurzeln zu verlieren. Ganz im Gegenteil: Nach achtjährigem Studium an der Jeschiwa in Pressburg und einigen anderen Tätigkeiten wurde Rudolf Fuchs 1862 Lehrer an der Wiener Talmud-Thora-Schule, der er jahrzehntelang verbunden blieb.5 Durch diese Aufgabe wurde er dazu angeregt, zahlreiche Lehrmittel für den jüdischen Religionsunterricht zu verfassen. Seine Fibeln und Lehrbücher entwickelten sich zu Standardwerken in österreichischen Schulen und wurden bis lange nach seinem Tod immer wieder neu aufgelegt.6 Neben dieser erfolgreichen Tätigkeit als pädagogische Schriftsteller war Rudolf Fuchs auch Rabbinatssekretär in der Leopoldstadt bei Dr. Moritz Güdemann, später, nach dessen Berufung zum Oberrabbiner, auch bei ihm in der Innenstadt. Über seine Famile dürfte er auch Kontakt mit einer prominenten jüdischen Famile in Wien gehabt haben: sein jüngerer Bruder, bei dem Rudolf Fuchs eine Zeit lang gewohnt hatte, der Wiener Seidenhändler Leopold Fuchs, war mit dem Ottakringer Brauer Ignaz Edler von Kuffner verschwägert.

Bernhard Fuchs hatte – wie sein Vater Rudolf – sieben Geschwister. Mehrere der Geschwister haben Tätigkeiten ausgeübt, die mit den Berufen des Vaters in Beziehung stehen. Bernhard Fuchs’ Bruder Moritz Fuchs (1860-1934)7 hatte eine der schriftstellerischen Tätigkeit verwandte Aufgabe: er war langjähriger Auslandsredakteur der Neuen Freien Presse. Ein anderer Bruder, Joseph Fuchs (1862-1941), war als Rabbinatssekretär der IKG Wien ein direkter Nachfolger seines Vaters; außerdem war er auch der erste Sekretär der Israelitisch-theologischen Lehranstalt in Wien und von 1889 bis 1900 Vereinssekretär der Österreichischen-Israelitischen Union. Neben diesen älteren Brüdern, die Bernhard Fuchs als Vorbild gedient haben mögen, ist auch seine jüngere Schwester Adele (1875-1941)8 auf andere Weise einem Rabbinat verbunden gewesen: sie war mit Dr. Julius Max Bach verheiratet, dem damals prominenten Rabbiner des sogenannten "Hubertempels" in der Hubertgasse im 17. Bezirk. Auch deren Tochter, Margarete Bach war, vor allem in der Zwischenkriegszeit, prominent, allerdings auf anderem Gebiet. Sie war eine gefragte Rezitatorin, deren Karriere erst 1938 durch den Naziterror abgebrochen wurde.9

Bernhard (bzw. – Petachja Ze’éf)10 Fuchs wurde am 23. Oktober 1873 in Wien geboren und hat 1885 die Aufnahmeprüfung in die zweite Klasse des Wiener Staatsgymnasiums im zweiten Bezirk abgelegt.11 Ab der vierten Klasse war er vom Schulgeld dispensiert, was auf eine Verschlechterung der finanziellen Situation der Familie hinweisen könnte. Nach Auszeichnung der letzten Schuljahre schloss Bernhard Fuchs auch die Matura mit Auszeichnung ab. Ein sehr angepasstes Kind dürfte er dabei aber nicht unbedingt gewesen sein, denn die schlechteste Note in seinem Maturazeugnis vom Juli 1892 war ein auffälliges befriedigend im "Fach" Sittliches Betragen.

Nach einem nicht weiter dokumentierten Jahr12 schreibt er sich im Herbst 1893 sowohl als Hörer an der Israelitisch-theologischen Lehranstalt als auch an der philosophischen Fakultät der Universität Wien ein. An der Universität in Wien studiert Fuchs in den nächsten Jahren "orientalische Sprachen in Verbindung mit: orientalischer Geschichte", besucht auch philosophische Vorlesungen von Franz Brentano und Franz Mach. Die wichtigsten Lehrer in seinem Hauptfach waren die Orientalisten Gustav Bickell und Hofrat David Heinrich Müller. Der aus Galizien stammende Professor Müller war der Gründer des Wiener Orientalischen Institutes, Mitherausgeber der renommierten (heute noch erscheinenden) Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes (WZKM) und gilt als einer der ersten (österreichischen) Judaisten. Der Deutsche Gustav Bickell, der (wie Brentano) auch einmal als Priester geweiht worden war, hatte den Ruf eines hervorragenden Orientalisten und wurde Bernhard Fuchs’ Doktorvater. Fuchs nahm die Arbeit an seiner Dissertation vermutlich nach Beendigung seiner formellen Hörerschaft 1896 auf.

Neben dem Universitätsstudium war Bernhard Fuchs aber auch vier Jahre, bis zum Sommer 1897, Student des Wiener Rabbinerseminars in der Leopoldstädter Tempelgasse. Ob Fuchs jemals erwogen hatte, tatsächlich den Rabbinerberuf zu ergreifen, wissen wir nicht. Das Rabbinerseminar, wie die Israelitisch-theologische Lehranstalt auch genannt wurde,13 wurde erst im Oktober 1893 eröffnet. Bernhard Fuchs war also einer der ersten Studenten und, wie oben bereits erwähnt, sein Bruder Josef war von Anfang an Sekretär der Anstalt. Nach dem älteren, ersten derartigen Seminar in Breslau, galt das Wiener Institut gemeinsam mit den vergleichbaren in Berlin und Budapest als ein wichtiges Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit und der Wissenschaft des Judentums und verfügte z.B. auch über die umfangreichste österreichische jüdische Bibliothek. Die Anstalt, die bis 1938 existiert hat, wurde von dem eher als konservativ eingestuften Adolf Schwarz geleitet. Fuchs galt als einer seiner Lieblingsschüler. Einer der anderen Professoren war der - im Rabbinerseminar umstrittene - Hofrat Müller, der auch Fuchs’ Lehrer und Dissertationsreferent an der Universität war.

Fuchs arbeitet also wahrscheinlich ab 1896 auch an seiner Dissertation. Sie befasst sich mit Handschriften, die den Kreis der Achiqarsage behandeln.14 Fuchs vergleicht einen vatikanischen arabischen Text mit anderen arabischen Texten unter Einbeziehung syrischer und altslawischer Texte. Vermutlich war die Arbeit 1898 weitgehend fertiggestellt, als ein neues Standardwerk in England erscheint.15 Fuchs’ Doktorvater, Professor Bickell, wünscht eine Überarbeitung der Dissertation, die diese neue Arbeit mitberücksichtigt, aber Fuchs lehnt das ab. Anscheinend hat dieser Zwist die Promotion um ein paar Jahre hinausgezögert, denn die hat erst im Juli 1902 stattgefunden – ohne dass die Dissertation überarbeitet worden war.16

In der wahrscheinlich durch diese Unstimmigkeit entstandene Wartezeit wendet sich Fuchs offenbar aktiv der zionistischen Bewegung zu. Die Jahre seiner Dissertationsarbeit waren ja entscheidend für die Entwicklung des politischen Zionismus.17 Fuchs nimmt am 2. Zionistenkongress in Basel im August 1898 teil und trifft dort vermutlich auch Theodor Herzl, mit dem er jedenfalls später persönlich freundschaftlich bekannt war. Im Folgejahr, 1899, wird er Mitarbeiter von Herzls Zeitschrift Die Welt und verfasst dort im selben Jahr vier längere Artikel. Der 25-jährige Fuchs beurteilt damals die Diaspora unnuanciert negativ und vertritt dementsprechend einen recht kompromisslosen Zionismus. So schließt sein Artikel "Succoth" mit den folgenden Worten: In welchem Land wir Juden auch immer hinkommen, früher oder später wird es um uns wüste oder Wüste: das ist dasselbe. Wir sind flüchtige Leute, wir haben keinen wirklichen Wohnsitz, wir kennen keine Ruhe, keinen Bestand, kein Behagen. Für fahrendes Volk ist Succoth kein Fest. […] Trachten wir, dass das Erinnerungsfest wieder zum Freudenfeste werde! Unsere Succah muss in unserem Lande stehen. Dann ist das Succoth der Väter wieder unser!18

Womit sich Bernhard Fuchs in den nächsten Jahren um die Jahrhundertwende beschäftigt hat und womit er seinen Lebensunterhalt verdient hat, wissen wir nicht. Abgesehen von einem vereinzelten Beitrag in der Welt Ende 1901 ist erst wieder seine bereits erwähnte Promotion im Sommer 1902 dokumentiert. Bald darauf, Ende Dezember 1902, heiratet Fuchs die um vier Jahre jüngere ebenfalls in Wien geborene Emilie ("Milly") Grünmann. Knapp neun Monate später wird der erste Sohn geboren: Martin.19

Im selben Jahr 1903 erscheint auch Bernhard Fuchs’ einzige selbstständige Schrift, das polemische Werk Kaiser Wilhelm, Prof. Delitzsch und die babylonische Verwirrung20 , in dem die im Titel genannten Personen heftig kritisiert werden. Der führende deutsche Assyriologe Delitzsch hat den damals v.a. in Deutschland verbreiteten Panbabylonismus21 auf die Religion angewandt und das Alte Testament in seinen wesentlichen Inhalten auf babylonische Ursprünge reduziert und die Bibel letztlich als unredliches religiöses Machwerk qualifiziert. In den dadurch ausgelösten sog. Babel-Bibel-Streit (zwischen Assyriologen und Theologen) hatte sich auch der deutsche Kaiser Wilhelm II. auf der Seite Delitzschs eingeschaltet. Der Streit hat einen Höhepunkt durch einen Anfang 1902 von Delitzsch gehaltenen Vortrag erreicht, der weitbeachtet wurde und wohl auch Fuchs’ Schrift ausgelöst hat. Fuchs polemisiert gegen Delitzsch und kritisiert die Haltung des deutschen Kaisers als im Grunde arrogant, dumm und charakterlos. Neben seinen polemischen, teilweise auch sarkastischen Angriffen entkräftet Fuchs die Thesen Delitzschs auch mehr wissenschaftlich und mit philologischen Argumenten. Er verwendet dabei auch ausführlich als Beweismittel Ausführungen des angesehenen Professors Hofrat Müller22 , seinem ehemaligen Lehrer. Die schmale 55-seitige Kampfschrift scheint einigen Erfolg gehabt zu haben, wie man aufgrund einer zweiten Auflage (6.-10. Tausend) vermuten kann.

Möglicherweise hat sich Fuchs damals und in den kommenden Jahren als Schriftsteller empfunden. Die wenigen bekannten Verweise auf ihn aus der Zeit der Monarchie erwähnen jedenfalls nur den "Schriftsteller" Bernhard Fuchs23 , obwohl sicherlich kein weiteres Werk von ihm erschienen ist. 1906 oder 1907 schließlich tritt Fuchs "infolge verschiedener Umstände"24 zur Journalistik über. Man kann vermuten, diese "Umstände" bestanden in der Notwendigkeit des Broterwerbes, aber wir wissen es nicht; es ist ja auch unklar, wovon die Familie in den ersten vier Jahren der Ehe gelebt hat. Fuchs tritt jedenfalls in den Redaktionsverband der populären Wiener Wochenschrift Das interessante Blatt ein, was die Vermutung der rein finanziellen Motivation bestärkt: diese Zeitschrift erhob nicht den intellektuellen Anspruch, den Fuchs sonst erkennen lässt. Fuchs bleibt diesem Blatt bis zu seinem Tod verbunden.

Wenig später, wahrscheinlich 1907, tritt Fuchs auch in das hingegen sehr angesehene Fremdenblatt ein25 und wird dort Leitartikler für "auswärtige Themen". Ab Oktober 1908 - vier Monate nach der Geburt seines zweiten Sohnes Peter Joachim26 - wird diese Stellung brisant. Im Zusammenhang mit der umstrittenen Annexion Bosnien-Herzegowinas entwickelt sich eine lebhafte Zeitungsfehde, in der Fuchs mit Verve die Haltung der Regierung vertritt. Fuchs’ "hervorragendes Wissen, seine glänzende und klare Schreibweise erregte die Aufmerksamkeit des Ministers Aehrenthal"27 und Fuchs’ Haltung in der Annexionsfrage erregte vermutlich auch das Wohlwollen des Außenministers. Aehrenthal beruft 1909 Fuchs in sein Ministerium und zwar in das sog. "Literarische Bureau" (d.i. das Pressedepartement, der spätere Bundespressedienst)28 , wo er sich "bald die vollste Anerkennung seiner hohen Vorgesetzten erwarb und oft zu wichtigen Beratungen herangezogen wurde."29 1910 manifestiert sich diese Anerkennung in der Verleihung des Ritterkreuzes des Franz-Josef-Ordens.

Wahrscheinlich konnte der inzwischen zum Hofrat avancierte Fuchs während der Kriegsjahre im Amt bleiben, konkrete Informationen haben wir darüber allerdings nicht. Nach dem Umsturz 1918 wandert das Pressedepartement, nunmehr Bundespresseamt, in das Bundeskanzleramt, von dem Fuchs in seiner Funktion übernommen wird. Fuchs wird 1922 zum Ministerialrat befördert und steigt zum Stellvertreter des Bundespressedienstes auf.
Wenn wir die überlieferten Berichte richtig lesen, war Fuchs eigentlich das Herz des Bundespresse-dienstes. Er hat seine oft schwierige Aufgabe, der Öffentlichkeit die Politik Österreichs darzulegen, offenbar meisterhaft beherrscht. Er blieb dabei in seinem Wesen ein "Vollblutjournalist" und "Künstler", war "von stupender Belesenheit" und ein "scharfsinniger Beurteiler der Außenpolitik"30 , machte sich durch seine scharf pointierte Schlagfertigkeit viele Freunde in Journalistik und Politik, auch bei seinen Vorgesetzten, die seine hingebungsvolle Korrektheit und Pflichttreue besonders schätzten.31

Fuchs’ Vorgesetzte waren – neben seinem direkten Chef, "mit dem ihn auch eine amts- und stadtbekannte Freundschaft verband"32 – die jeweiligen Bundeskanzler. Deren Freundschaft ist unter anderem dadurch dokumentiert, dass die beiden letzten Kanzler, unter denen Fuchs gedient hatte, Dr. Schober und Dr. Seipel, Fuchs an seinem Krankenlager besuchten, an das er die letzten anderthalb Jahre seines Lebens gefesselt war 33 . Vor allem die Sympathien Seipels, des "Prälaten ohne Milde" hatte Fuchs erworben, nicht zuletzt auch, "weil beide als wissenschaftliches Steckenpferd Orientalistik ritten und sich stundenlang über semitische und chaldäische Sprachforschung unterhielten".34 Dieses in Zusammenhang mit Fuchs oft erwähnte Naheverhältnis wird auch von der anderen Seite dokumentiert: In Seipels Tagebüchern wird Bernhard Fuchs etwa drei dutzend mal erwähnt.35
In den Zeitraum der zweiten Amtsperiode von Seipel (1926-1929) fällt auch Fuchs’ freundschaftlicher Umgang mit Soma Morgenstern und Joseph Roth. Fuchs hilft auch Roth bei dessen Bemühungen um die österreichische Staatsbürgerschaft, die Roth erst so spät (wieder-)erlangt.36

Neben seinen Aktivitäten für Österreich hat Bernhard Fuchs aber sein jüdisches Bewusstsein keineswegs abgelegt und stand auch weiterhin der zionistischen Organisation nahe. 1929 trug er einen Artikel zu einer Gedenkschrift für Herzl bei.37 Im September desselben Jahres vertrat er die Regierung beim Agudas-Jisroel-Kongress in Wien in den Sophiensälen38 . In einem Nachruf auf Fuchs wird festgestellt: "Das Judentum hat durch seinen Tod einen großen Verlust erlitten."39

Fuchs’ gelebte Identifikation mit österreichischen Zielen hat Fuchs also keineswegs sein jüdisches Engagement beeinträchtigt, auch wenn man bezweifeln darf, ob der Fünfzigjährige die oben zitierte Formulierung des 25-jährigen Fuchs (im Artikel "Succoth") noch ganz richtig gefunden hätte. Dabei hätte er wohl kaum geahnt, wie sehr seine damalige Aussage "In welchem Land wir Juden auch immer hinkommen, früher oder später wird es um uns wüste oder Wüste" in seinem Österreich nur wenige Jahre nach seinem Tod Wirklichkeit werden würde.

Bernhard Fuchs ist am 9. Dezember 1932 in Wien gestorben.
"Fuchs traf es gut. Seit jeher von zarter Gesundheit, starb er einige Jahre, bevor die Nazi die Gelegenheit hatten, seinen Dienst am Vaterland auf die ihnen eigene Weise zu vergelten."40

1 Soma Morgenstern, Der Sohn des verlorenen Sohnes, Berlin 1935,. S.78ff; (Neuauflage: Lüneburg 1996, S. 68ff)
2 Soma Morgenstern, Roths Flucht und Ende (herausgegeben von Ingolf Schulte), Lüneburg 1994, S.67
3 So empfand es jedenfalls ein englischer Journalist, der Bernhard Fuchs beruflich gut gekannt hatte:
G.E.R. Gedye, Die Bastionen fielen. Wie der Faschismus Wien und Prag überrannte. Wien o.J. (1947), S.14 (Übersetzung aus: Fallen Bastions, New York 1939).
4 Angaben zu der Familie und dem Leben des Vaters stützen sich in erster Linie auf die Memoiren von Rudolf Fuchs: Unsere Familiengeschichte. Niedergeschrieben zu meinem 80. Geburtstage, Wien 1906.
5 Über die Talmud-Thora Schule ist anlässlich des 150-jährigen Jubiläums ein historischer Abriss in DAVID Nr. 59 (Dezember 2003) mit einer Ergänzung von Benno Kern in DAVID Nr. 60 (März 2004) erschienen.
6 So erlebte zB. sein Buch Tefillot Bne Israel. Lehrbuch für die israelitische Schuljugend noch 1932 eine 22. Auflage.
7 Angaben zu den Lebensdaten der Familie basieren meist auf die hilfreichen Auskünfte der Matrikenführung der IKG Wien (Frau Heidrun Weiß). Sonstige Angaben zu den Geschwistern stützen sich vor allem auf freundliche Hinweise von Dr. Evelyn Adunka, Wien.
8 Beide Geschwister sind, anders als das Sterbejahr vermuten lassen könnte, durch Krankheit in Wien gestorben. Nähere Umstände sind allerdings nicht bekannt.
9 Margarete Bach hat die Jahre des Holocaust überlebt und ist hochbetagt in Israel gestorben. Alle Angaben zur Familie Bach beziehen sich auf laufende, noch nicht veröffentlichte Arbeiten Evelyn Adunkas zum Wiener Judentum der Zwischenkriegszeit.
10 Der Name ist eine Referenz an den Großvater, den Vater von Rudolf Fuchs. Dieser Großvater hieß Bernhard Fuchs bzw. Petachja Wolf Fuchs. Petachja könnte von dem mährischen Gelehrten Eber ben Pethahia inspiriert sein, der im 18.Jh. in Ungarisch-Brod gelebt hat, wo die Mutter von diesem Bernhard Fuchs (sen.) begraben ist. Beim Enkel wurde statt des deutschen Wolf das Hebräische Ze’éf verwendet. Was die Häufung von Tiernamen veranlasst hat, bleibt unklar. Neben dem Fuchs und dem (im Namen Bernhard enthaltenen) Bären ist der Wolf das dritte Raubtier im Namen.
11 Das Staatsgymnasium befand sich damals in der Taborstraße 24 und hatte zu etwa zwei Drittel jüdische Schüler. Die Schule, das heutige Bundesgymnasium und Bundesrealgymnasium, befindet sich seit 1899 in der Zirkusgasse. Angaben über Bernhard Fuchs’ Schulerfolge waren durch die freundlichen Information des Direktoratsekretariats der "Zirkusgasse" (Frau Sylvia Breuer) möglich.
12 Es existieren, soweit bekannt, keine biographischen Skizzen über Bernhard Fuchs. Auch sind manche wesentliche Dokumente verschollen (v.a. sein Personalakt im Haus- Hof- und Staatsarchiv), und der (bekannte) Nachlass seines Sohnes Martin enthält keine Angaben zum Vater. Bernhard Fuchs’ Lebenslauf kann daher nur unvollständig rekonstruiert werden.
13 Zur Israelitisch-theologischen Lehranstalt siehe vor allem: Peter Landesmann: Rabbiner aus Wien. Ihre Ausbildung, ihre religiösen und nationalen Konflikte; Wien, (Böhlau) 1997. 289 S v.a. S. 123-264. Dr. Landesmann hat freundlicherweise auch Fuchs’ Hörerschaft verifiziert.
14 Über Achiqar, erfolgreicher Kanzler unter Sanherib in Ninive, wird aufgrund einer Verleumdung seines Adoptivsohnes die Todesstrafe verhängt, er entgeht aber durch Zufall dem Tod. Die Geschichte bildet den Rahmen für eine umfangreiche (Weisheits-)Spruch und Fabelsammlung, die Aesop beeinflusst haben dürfte. Im Buch Tobias wird auf die Achiqarsage Bezug genommen, die selber manchmal als apokryphe alttestamentliche Schrift eingestuft wird.
15 Das Buch von Rendel Harris, F.C. Conybeare und Agnes Lewis The Story of Ahikar, Cambridge 1898 gilt heute noch als Standardwerk zum Ahiqar-Sagenkreis.
16 Die Dissertation ist nicht auffindbar. Wohl aber befindet sich im Archiv der Universität Wien der Promotionsakt, von dem die Informationen stammen, die freundlicherweise Kurt Mühlberger vom Archiv vermittelt hat. Der Akt enthält auch Bickels Dissertationsbeurteilung, in der er u.a. die unterlassene Überarbeitung beklagt.
17 Herzls Der Judenstaat erschien 1896, der 1. Zionistische Kongress in Basel fand Ende August 1897 statt.
18 Die Welt, 3. Jahrgang,Nr.38, 22.September 1899, S.4.
19 Dr. jur. Martin Fuchs (1903-1969) wurde später bekannter als sein Vater und ist auch in der wissenschaftlichen Literatur (über das österreichische Exil) bereits beschrieben. Sein Lebensweg wird hier nur ganz kurz angedeutet: Nach Jusstudium Presseattaché an der österreichischen Botschaft in Paris; nach dem sog. Anschluss zahlreiche organisatorische und journalistische Aktivitäten in leitender Funktion im österreichischen legitimistisch-konservativen Widerstand in Paris, ab 1940 in New York; 1947 Rückkehr nach Österreich und Tätigkeit im diplomatischen Dienst, zuletzt Botschafter in Brüssel und Paris.
Literaturauswahl: Martin Fuchs: Showdown in Vienna. The Death of Austria, New York 1939; J.Rovan: L’emigration monarchiste autrichienne en France, Grenoble 1979; Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes: Österreicher im Exil, Frankreich 1938-1945, Wien 1984; F.Hausjell (Hrsg.): Vertriebene Wahrheit. Journalismus im Exil, Wien 1995.
Martin Fuchs’ Nachlass wird von Oliver Rathkolb im Rahmen der Kreiskystiftung betreut. Dr. Rathkolb hat freundlicherweise zu wesentlichen Informationen für diesen Artikel geholfen.
20 In Wien bei Holzwart und Ortony in der Reihe "Sammlung moderner Kampfschriften” erschienen.
21 Der Panbabylonismus hat versucht – im Überschwang der verständlichen Begeisterung über die damals relative neue Entzifferung der Keilschrift und die darauffolgende Entdeckung der babylonischen Kultur (der Codex Hammurapi ist z.B. erst 1890 entdeckt worden) – unnuanciert alle wesentlichen Kulturerrungenschaften der westlichen Welt auf die Babylonier zurückgeführt.
22 Im selben Jahr ist auch von David Heinrich Müller erschienen: Die Gesetze Hammurabis und ihr Verhältnis zur mosaischen Gesetzgebung, Wien 1903.
23 So sein Vater in seiner 1906 herausgegebenen Familiengeschichte und auch der Eintrag zu Bernhard Fuchs im 10. Jahrgang des High Life Almanach von 1914.
24 So formuliert es Fuchs’ späterer Kollege im Pressedepartment, Reg.Rat Jonas Kreppel, in seinem Nachruf auf Fuchs in Die Stimme vom 15. Dezember 1932.
25 Das offiziöse ("freiwillig gouvernemtale”) Fremdenblatt (1847-1919), das sich nach Eigendfinition an "vornehmste Kreise des Adels und des Bürgertums” richtete, fungierte als Sprachrohr der Außenministeriums, bezog dennoch häufig Position gegen Standpunkte der Regierung. Es war in der Grundausrichtung liberal-föderalistisch und großösterreichisch. Es war ein bevorzugtes Blatt von Kaiser Franz Joseph und hatte als Mitarbeiter u.a. Ludwig Hevesi und Theodor Herzl. Möglicherweise hat Herzl Fuchs die Stelle vermittelt; es gibt aber keinen konkreten Hinweis darauf.
Die Angaben über das Fremdenblatt gründen sich auf verschiedene Publikationen, die Dr. Josef Seethaler von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Kommission für historische Pressedokumentation) freundlicherweise vermittelt hat.
26 Peter Joachim Fuchs wurde Kapellmeister und Musiker flüchtete im Mai 1938 aus Wien nach Paris, vermutlich zu seinem älteren Bruder. Sein weiteres Schicksal ist unbekannt.
27 Nachruf auf Fuchs im Interessanten Blatt, 1932, Nr. 50
28 Fuchs behält aber seine Funktion im Interessanten Blatt.
29 Jonas Kreppel im oben (Anmerkung 24) zitierten Nachruf.
30 Formulierungen aus dem Nachruf in "Die Wahrheit” Nr. 51, 1932, S.5 (Gemeinde-Chronik); ähnliche Beurteilungen an anderen Stellen.
31 Diese Formulierungen folgen verschiedenen Nachrufen, vor allem dem im Interessanten Blatt, a.a.O.
32 S.o. Morgensterns Romanzitat
33 Laut Tagebucheintragung vom 7.Oktober 1931 ist Seipel "Nachmittags bei Ministerial-Rat Dr. Bernhard Fuchs im Cottagesanatorium." Vgl. dazu unten Anm. 35.
34 Kurt Paupié: Handbuch der österreichischen Pressegeschichte, Band II, Wien 1966, S.134.
35 Neben der in Anmerkung 33 erwähnten Stelle gibt es 33 weitere Nennungen. Sie umfassen den Zeitraum April 1924 bis November 1930. Die Erwähnungen betreffen überwiegend Sitzungen und andere Arbeitstreffen, einige wenige Meldungen suggerieren auch Persönlicheres: im August 1924 erwähnt Seipel, dass er Bernhard Fuchs von Mehrerau aus geschrieben hat; für den 29. Juli 1930 notiert Seipel: "Nachmittags mit Bernhard Fuchs im Café Volksgarten."
Die dieser Zusammenfasssung zugrunde liegenden Informationen wurden freundlicherweise von Prof. Sohn-Kronthaler zur Verfügung gestellt, die die für 2006 geplante Herausgabe der Seipel-Tagebücher vorbereitet:
Edition der Tagebücher und Reisetagebücher (1916-1932) von Prälat Dr. Ignaz Seipel, hg. von Michaela Sohn-Kronthaler, begonnen unter Maximilian Liebman (Publikation in Vorbereitung), Institut für Kirchengeschichte und Kirchliche Zeitgeschichte, A-8010 Graz.
36 Vgl. Soma Morgenstern: Josph Roths Flucht und Ende, Lüneburg 1994, S. 51f, S.65-71, S.112f und S.229.
37 Herzl der Takvolle und Leidende. In: T.Nussenblatt (Hrsg.): Zeitgenossen über Herzl, Brünn 1929 (freundlicher Hinweis von Evelyn Adunka)
38 Fuchs hat sich, soweit wir das sehen können, mit dieser Bewegung, die ja den Zionismus ablehnt, allerdings nicht voll identifiziert. Dieser Kongress der Agudas-Jisroel, bzw. der "Gesetzestreuen" wird auch in der eingangs zitierten "Dr.-Frankl-Passage" erwähnt.
39 Chajim Bloch in Die Stimme , Wien, 15. Dezember 1932
40 G.E.R. Gedye, a.a.O. , S. 32