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haSchulchan arukh

Martin MALEK

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Am 5. Jänner 2005 veröffentlichte das Außenministerium der USA seinen "Report on Global Anti-Semitism", der einige kritische Anmerkungen zur Lage in Rußland enthielt.1 Nicht einmal eine Woche später reagierte das Moskauer Außenministerium mit einer in beleidigtem Ton gehaltenen Verlautbarung, welche die Besorgnis Washingtons über Erscheinungen religiöser und nationaler Intoleranz in mehreren russischen Parteien "künstlich" nannte. So gäbe es Skinheads nicht nur in Rußland,2 sondern überall. "Schulmeisterei und grundlose Beschuldigungen" der USA seien überhaupt "unzulässig".3

Am 13. Jänner – und damit genau zwei Wochen vor den Gedenkfeiern anläßlich des 60. Jahrestages der Befreiung des KZ Auschwitz-Birkenau – wurde ein Brief an die russische Generalstaatsanwaltschaft geschickt, in dem es hieß, daß Juden selbst Anschläge auf Synagogen sowie Schändungen jüdischer Friedhöfe verübten, um "Strafmaßnahmen gegen (russische) Patrioten zu erreichen". Zudem sei die jüdische Religion "antichristlich und menschenfeindlich". Sie trage auch an im zaristischen Rußland "gerichtlich bewiesenen Ritualmorden" Schuld.4 Weiteres wurde dem Generalstaatsanwalt versichert, daß "in der ganzen Welt eine große Zahl von allgemein anerkannten Fakten und Quellen existiert, auf deren Grundlage man einen unstrittigen Schluß ziehen kann: die ablehnenden Einschätzungen der für das Judentum typischen Eigenschaften und Aktivitäten gegen Nichtjuden durch russische Patrioten entsprechen der Wahrheit, wobei diese Aktivitäten nicht zufällig, sondern im Judaismus vorgeschrieben sind und seit zwei Jahrtausenden praktiziert werden …"

Konkret haben gerade die Juden einen wütenden Widerstand gegen die Einführung des Faches ‚Grundlagen der orthodoxen Kultur’ in den Schulen geleistet, und gerade auf Initiative der Juden ist es uns, dem staatsbildenden russischen Volk, verboten, im Paß unsere Nationalität anzuführen.

"Daher müssen wir uns zum Schutz unserer Heimat wie auch der persönlichen Selbstverteidigung an Sie, Herr Generalstaatsanwalt, mit der nachdrücklichen Bitte wenden, in kürzester Zeit die oben dargelegten himmelschreienden Fakten zu prüfen und, wenn sie sich bestätigen, auf der Grundlage der entsprechenden Artikel des Strafgesetzbuches der Ruß-ländischen Föderation, des Gesetzes "Über den Widerstand gegen extremistische Tätigkeit" (2002) und des Artikels 13 der Verfassung der Rußländischen Föderation ("Gründung und Tätigkeit gesellschaftlicher Vereinigungen, deren Ziele auf die Schürung von sozialem, rassischem, nationalem und religiösem Hader gerichtet sind, sind verboten") offiziell eine Strafsache über das Verbot aller religiöser und nationaler jüdischer Vereinigungen als extremistisch einzuleiten. Personen, die dafür verantwortlich sind, diesen Vereinigungen staatliches und Gemeinde-Eigentum, Privilegien und staatliche Finanzierung zur Verfügung zu stellen, bitten wir auch zur Verantwortung zu ziehen, ungeachtet der von ihnen bekleideten Posten".5

Diese in der (sich selbst "patriotisch" nennenden) Zeitung "Orthodoxe Rus" veröffentlichte Eingabe wurde von etwa 500 Personen unterzeichnet, darunter folgenden Abgeordneten des Unterhauses des Parlaments (Staatsduma): Sergej Glotow, Anatolij Greschnewikow, Sergej Grigorjew, Alexander Krutow, Nikolaj Leonow, Igor Rodionow (ein ehemaliger russischer Verteidigungsminister), Andrej Saweljow, Jurij Saweljow, Irina Saweljowa, Iwan Chartschenko, Alexander Tschujew (alle von der linksnationalistischen Fraktion "Rodina"/"Heimat") sowie Nikolaj Jeserskij, Wladimir Kaschin, Nikolaj Kondratenko (ein früherer Gouverneur der Region Krasnodar), Albert Makaschow (ein General a.D.), Pjotr Swetschnikow und Sergej Sobko (alle von der Fraktion der Kommunistischen Partei der Rußländischen Föderation/KPRF). Vertreter der ultranationalistischen und nur dem Namen nach "Liberal-demokratischen Partei" (LDPR) Wladimir Schirinowskijs, der – obwohl selbst jüdischer Abstammung (seine Aussage "Meine Mutter war Russin, mein Vater Jurist" wurde geradezu sprichwörtlich) – in der Vergangenheit immer wieder durch antisemitische Ausfälle von sich reden gemacht hatte, fehlten zur Überraschung nicht weniger Beobachter.

Einige der letzten nicht vom Kreml kontrollierten und demokratischen Presseorgane drückten ihre Verwunderung darüber aus, daß die Generalstaatsanwaltschaft keine Verfahren gegen die Unterzeichner des Briefes wegen nationaler Verhetzung einleitete.6 Generalstaatsanwalt Wladimir Ustinow verglich ihn wörtlich mit "Küchengesprächen", die keine Aufmerksamkeit wert seien.

Der Oberrabbiner der Föderation der jüdischen Gemeinden Rußlands, Berl Lazar, nannte die Unterzeichner des Dokuments "psychisch abnormale Leute, die ärztliche Hilfe brauchen".7 Präsident Wladimir Putin erklärte in Auschwitz, daß es in Rußland "manchmal" antisemitische "Erscheinungen" gäbe, für die er sich schäme.8 Sein Außenministerium kritisierte den Brief als "offen antisemitisch", und am 4. Februar beschloß die Mehrheit der Abgeordneten der Staatsduma auf Initiative der pro-Putin-Partei "Einheitliches Rußland" eine ihn verurteilende Resolution. Allerdings verlief die begleitende Debatte wieder nicht ohne mehr als eindeutige Akzente. So forderte die kommunistische Abgeordnete Tamara Pletnewa, die Feststellung, daß es "in Rußland keinen Platz für Antisemitismus geben" dürfe, durch "und Zionismus" zu ergänzen.9

Der Initiator des "Briefes der 500", der Abgeordnete Krutow, zog den Brief am 25. Jänner zwar zurück, doch keineswegs aus später Einsicht: Am 15. Februar kündigte er in der Staatsduma an, daß der Text "umgeschrieben" und wieder bei den "entsprechenden Instanzen" eingereicht werde. Seine von neuerlichen antisemitischen Tiraden gespickte Rede beendete er mit einem Aufruf zu einem "Gebet für die Rettung Rußlands".10 Am 21. März ging tatsächlich ein neuer Brief mit der Forderung nach dem Verbot jüdischer Organisationen an die Staatsanwaltschaft. Die Website von "Orthodoxe Rus" sprach von einer "Rechtsschutz-Aktion russischer orthodoxer Patrioten".11 Abgeordnete waren dieses Mal nicht unter den über 5.000 Unterzeichnern. Dafür fanden sich die Unterschriften von Ex-Schachweltmeister Boris Spasskij, des Schriftstellers Wassilij Below, des Mathematikers Igor Schafarewitsch und des bekannten Generals a.D. Leonid Iwaschow. Die St.Petersburger Staatsanwaltschaft mochte in dem "Brief der 5.000" nichts Antisemitisches erkennen und lehnte die Einleitung einer Strafsache gegen seine Urheber wegen Volksverhetzung ab.

Im Ausland fanden die Vorfälle um die beiden Briefe nur in Israel eine gewisse Resonanz. Der mehrfache israelische Minister und ehemalige sowjetische Dissident Natan Sharansky meinte zum "Brief der 500": "In der christlichen Welt hat es so etwas mit der Ausnahme des faschistischen Deutschland im 20. Jahrhundert und dann schon im jetzigen Jahrhundert nicht gegeben".12 Politik und Medien des Westens zogen ganz überwiegend Schweigen vor. Das war umso erstaunlicher angesichts des Umstandes, daß es keineswegs um isolierte Vorfälle ging. Eine russische demokratische Internetzeitung meinte: "Es handelt sich nicht – wie es scheinen mag – um ein spontanes Aufflackern des Antisemitismus, sondern um eine lange vorbereitete ideologische Attacke. Die Grundlage dazu hat der Staat selbst gelegt".13 Die russische Exekutive (Präsident und Regierung) fördert den Antisemitismus nicht offiziell, duldet ihn aber und macht sich entsprechende Stimmungen in der Bevölkerung wie in den Eliten zunutze. So ist es kaum ein Zufall, daß alle drei beim Kreml in Ungnade gefallene Großunternehmer ("Oligarchen"), nämlich Wladimir Gusinskij, Boris Beresowskij und Michail Chodorkowskij, jüdischer Abstammung sind. Im nationalistisch aufgeheizten Klima in Rußland (so erfreut sich der Slogan "Rußland den Russen" steigender Beliebtheit) sind auch gewaltsame rassistische Übergriffe – bis hin zum Mord – keine Seltenheit, auch wenn sie sich nicht in erster Linie gegen Juden richten: Besonders bedroht sind Personen mit dünklerer Hautfarbe wie Afrikaner und die besonders verhaßten Kaukasier. Die Behörden sprechen jedoch – offenkundig wider besseres Wissen – meist von "Hooliganismus", der keine rassistische Komponente aufweise.

1 Report on Global Anti-Semitism. Online-Dokument: http://www.state.gov/g/drl/rls/40258.htm; abgerufen 22.2.2005.
2 Ihre Zahl wird auf 30.000 bis 70.000 geschätzt.
3 Kommentarij Departamenta informacii i peèati MID Rossii v svjazi s voprosom ITAR-TASS otnositel’no ezegodnogo doklada Gosudarstvennogo departamenta SŠA po probleme rasprostranenija antisemitizma v mire. Online-Dokument:
http://www.ln.mid.ru/brp_4.nsf/sps/C63A5CC13515246FC3256F86005D0C44;
abgerufen 22.2.2005.
4 Zitiert nach Vremja novostej, 25.1.2005, S.3; Izvestija, 25.1.2005, S.1.
5 Zitiert nach Novoe vremja, 6/2005, S.15.
6 Vgl. z.B. Novaja gazeta, 27.1.2005, S.17.
7 Zitiert nach Vremja novostej, 25.1.2005, S.3.
8 Allerdings hatte Putin wenige Tage zuvor noch den neuen ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko vor "antirussischen und zionistischen Kräften" in seiner Umgebung gewarnt. Der Pressedienst des Kreml sprach dann von einem "Versprecher" Putins (vgl. Die Presse, 8.1.2005, S.5).
9 Kommersant’’, 5.2.2005, S.2.
10 "My dorabotaem dokument i obratimsja v sootvetstvujušèie instancii". Vystuplenie deputata A. Krutova v Gosdume 15.02.2005. Online-Dokument: http://www.rusprav.ru/2005/new/9.htm, abgerufen 28.2.2005.
11 N. V. Dmitriev: "Pis’mo pjatisot" prevratilos v "pis’mo pjati tysjaè". Online-Dokument: http://www.rusprav.ru/2005/new/18.htm, abgerufen 30.3.2005.
12 Zitiert nach: "Natan Šèaranskij: Rossija vošla v trojku stran po rostu antisemitizma". Online-Dokument: http://www.newsru.com/russia/24apr2005/shg.html, abgerufen 24.4.2005.
13 Aleksandr Verchovskij: Pis’mo pjati tysjaè: antisemitizm v zakone. Online-Dokument: http://www.ej.ru/comments/entry/585/, abgerufen 29.3.2005.